Herrschaftsfragen im Homeoffice
Wie auch ein sehr sozialdemokratisch-vorsichtiger Gesetzesvorschlag große Fragen aufwirft. Ein Beitrag aus OXI 11/20 mit hoher Aktualität in der Homeoffice-Debatte.
Eins hat Hubertus Heil mit seinem »24 Tage pro Jahr Recht auf mobiles Arbeiten«-Gesetzentwurf in jedem Fall erreicht: Die CDU hat klargestellt, wer Herr im Haus und damit auch im Homeoffice ist. »Sozialismus und der Staat haben in den Betrieben nichts zu suchen«, empörte sich beispielsweise Thomas Heilmann, seit 2017 CDU-Direktkandidat des Bezirks Steglitz-Zehlendorf im Bundestag. Davor Justizsenator in Berlin, davor an diversen Unternehmen wie den Werbe- und Medienagenturen Scholz & Friends, Pixelpark, und Facebook so erfolgreich beteiligt, dass er seit dem Verkauf seiner Anteile »als wohlhabend gilt«, wie Wikipedia schreibt. Es darf angenommen werden, dass Thomas Heilmann in seinem Haus in Berlin-Dahlem ein Arbeitszimmer hat.
Damit befindet er sich in der exklusiven Gesellschaft jener, für die Homeoffice schon immer eine Möglichkeit, wenn nicht Selbstverständlichkeit, war. Freiberufler, Selbstständige, gehobenes Management, Besserverdienende. Diejenigen, deren monatliches Haushaltseinkommen netto unter 1.500 Euro liegt, wollen laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung nach der Pandemie mehrheitlich lieber weniger oder gar nicht im Homeoffice arbeiten. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass aktuell 48 Prozent der Beamten von zu Hause arbeiten, aber nur 6 Prozent der Arbeiter. Noch im Jahr 2019 sagten laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 90 Prozent der befragten Unternehmer, die manchmal auch Unternehmerinnen sind, bei ihnen sei Arbeiten von zu Hause leider nicht möglich. Die Frauen, die diese Büroarbeit verrichten, hätten vermutlich anders geantwortet. Denn was genau möglich ist und gemacht werden muss, hängt nicht nur vom Arbeitszimmer ab, sondern auch vom Geschlecht.
»Seid leise, Vati muss arbeiten« ist ein Satz, den Thomas Heilmann vermutlich noch aus seiner Kindheit kennt, denn sein Vater, der Philosoph, Hochschullehrer und Fabrikantensohn Wolfgang Heilmann, hat sicher oft daheim gearbeitet. Die bei Wikipedia namenlose, aber als Hausfrau geführte Mutter hielt ihm währenddessen den kleinen Thomas und seine fünf Geschwister vom Leib. Fest steht, so zeigt es die Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels aus der Vor-Corona-Zeit, dass Väter auch mit Homeoffice und anderen flexiblen Arbeitsmöglichkeiten kaum über 10 Stunden Kinderbetreuung pro Arbeitswoche hinauskommen. Bei Müttern hingegen erhöht sich der Wert von rund 18 auf über 21 Stunden, sobald sie nicht mehr ins Büro müssen. Nicht überraschend in einem Land, in dem die Geschlechterrollen so haltbar sind wie das Ehegattensplitting und die Karrierechancen an der Präsenzkultur hängen.
Wobei von allen systemrelevanten Kassiererinnen, Pflegerinnen, Busfahrerinnen noch nicht die Rede war, die auch einen Teil ihrer Arbeit am Computer verrichten – denn insgesamt 87 Prozent aller Erwerbstätigen tun das mittlerweile. Sie aber können den Rechner nicht einfach dahin mitnehmen, wo es für ihr Leben gerade gut oder besser wäre. Weswegen der interessante Teil am Gesetzesentwurf von Hubertus Heil nicht das »mobile Arbeiten« ist, sondern der »Rechtsanspruch«. Der hat ihm so prompt den Sozialismus-Vorwurf eingebracht, wie es auch jede andere Forderung nach mehr verbrieften Rechten der Lohnabhängigen, Arbeitenden, Erwerbstätigen getan hätte. Zum Beispiel auf Löhne die zum Leben reichen, Vier-Tage- oder 20-Stunden-Woche, oder dass niemand mehr an irgendetwas arbeiten muss, dessen Notwendigkeit sie oder er nicht einsieht.
Der pandemiebedingte Zwang zum Zu-Hause-Bleiben und Weiterarbeiten ist nicht mehr als eine Gelegenheit, damit solche Machtfragen mal wieder gestellt werden können. Gerade von all denen, die mangels Rückzugsmöglichkeiten ins Arbeitszimmer noch mehr als sonst spüren, dass es Wichtigeres zu tun gibt als die Bearbeitung eines auf dem Bildschirm aufploppenden »Tickets«, die Beantwortung eines genervten Kunden- oder Chefanrufs. Also das Befassen mit einem der winzigen Teilvorgänge, in die die neue Netzwerkökonomie beinahe jedes noch so großspurig klingende Projekt aufspalten kann. Womit, das ist die gute Nachricht, auch diejenigen Mühe haben, die irreführenderweise noch immer »Arbeitgeber« genannt werden. Die Frage, wer Chefin ist und den Gewinn abkassieren darf, ist auch in Unternehmerkreisen komplizierter geworden, seit jedes Smartphone ein Produktionsmittel sein kann.
Weswegen in der Heil-versus-Heilmann-Kontroverse nicht nur über die naheliegenden Fragen von Arbeitszeiterfassung, digitaler Überwachung, körpergerechter Möblierung und Kinderbetreuung gesprochen werden muss. Sondern dringend darüber, wie sich verhindern lässt, dass aus dem heimelig klingenden Homeoffice die unheimliche Vereinzelungsfalle und mitbestimmungsfreie Zone wird, zu der heute schon viel zu viele Zulieferbetriebe und Subunternehmen verkommen sind. Gewerkschaften und Betriebsräte müssen sich als Erste von der »Präsenzkultur« verabschieden und so mobil werden wie eine wachsende Zahl von Arbeitenden. Damit weiter gemeinsame Interessen formuliert und durchgesetzt werden können. Wenn wir im Homeoffice streikfähig bleiben, lassen sich vielleicht noch ganz andere Rechtsansprüche anmelden: auf wohnortnahe kostenfreie Co-Working-Spaces beispielsweise. Wo nicht nur die Software-Entwicklerin neben dem Software-Nutzer arbeitet, sondern auch Krankenpfleger Berichte schreiben, und Kurierfahrerinnen ihre Auftragslisten sortieren. Selbstverständlich wären an diesen Orten auch gemeinsame Küchen, Spielzimmer, Bibliotheken und Ruheräume. Das könnten wir dann Homeoffice nennen. Und dort einem zukünftigen Heilmann endlich sagen: »Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, entscheide ich, was hier gearbeitet wird. Aber erst, nachdem ich dem kleinen Hubertus die Geschichte vom Generalstreik während der Pandemie vorgelesen habe.«
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