»Historischer Systembruch«: Rechtsregierung will Hartz IV in Österreich – der OXI-Überblick
Die Pläne werden als Beitrag für »Beschäftigungsanreize und Effizienz in der Arbeitslosenversicherung« verkauft. Doch die neue Rechtsregierung in Österreich will nichts anderes als Hartz IV einführen. Besser gesagt: Kurz IV. Die Kritik daran wird lauter.
Am Mittwoch steht die erste Regierungserklärung des neuen österreichischen Bundeskanzlers an, Sebastian Kurz will die Grundzüge seiner Rechtskoalition vorstellen. Dabei wird es nicht mehr viele Überraschungen geben, die wichtigsten Punkte sind bekannt und man kann es wie Zeit online in einem Satz sagen: »Ein Land rückt nach rechts.« Das gilt auch sozialpolitisch, denn in Österreich muss nun mit einer »Arbeitsmarktreform« gerechnet werden, die dem Geiste von Hartz IV in Deutschland nachempfunden wird.
Die Aufmerksamkeit der Nachbarn gilt dabei der Seite 143 des Regierungsprogramms der nach rechts gerückten ÖVP und der Rechtspartei FPÖ: Dort geht es um »Beschäftigungsanreize und Effizienz in der Arbeitslosenversicherung«, und zu einem »neuen« Arbeitslosengeld wird dort als Ziel eine »degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen
Verlauf und Integration der Notstandshilfe« sowie die »Berücksichtigung der Beitragsdauer« ausgegeben.
Pläne laufen auf einen »historischen Systembruch« hinaus
In der »Presse« wird Helmut Mahringer vom Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut mit den Worten wiedergegeben, dies könne nur bedeuten, dass die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für manche nach einer Zeit ausläuft. »Langzeitarbeitslose werden somit, nach einem noch nicht festgelegten Zeitraum, mit Auslaufen der Existenzsicherung« durch das Arbeitsamt »und sofern sie keinen Job finden, von der bedarfsorientierten Mindestsicherung abhängig, falls sie nicht über andere Einkommensquellen im Haushalt (wie Einkommen anderer Haushaltsmitglieder, Unterhaltsansprüche) oder Vermögen verfügen. Für die Gewährung der bedarfsorientierten Mindestsicherung wird dies jedenfalls geprüft und die Leistungen werden gegebenenfalls entsprechend reduziert oder fallen weg.“
Die Zeitung zitiert Judith Pühringer von »arbeit plus«, einem Netzwerk von Sozialen Unternehmen, mit den Worten, die Pläne liefen auf einen »historischen Systembruch« hinaus. Derzeit erhalten Erwerbslose unter bestimmten Voraussetzungen für mindestens 20 Wochen Arbeitslosengeld, der Grundbetrag liegt bei 55 Prozent des früheren Nettoeinkommens und wird gegebenenfalls durch Familienzuschlag und Ergänzungsbeitrag erhöht. Wer nach Auslaufen der Leistung keine neue Stelle gefunden hat, kann Notstandshilfe beantragen – diese beträgt bis zu 95 Prozent des vorher bezogenen Grundbetrags des Arbeitslosengeldes. Sie wird zunächst für ein Jahr gewährt, kann aber immer wieder verlängert werden. Bisher jedenfalls.
»Generalangriff auf soziale Errungenschaften und die soziale Demokratie«
In Österreich gab es 2011 etwa mehr als 113.000 Bezieher von Notstandshilfe – 2016 waren es bereits über 182.000. Die Zahl der Bezieher des Arbeitslosengeldes lag im vergangenen Jahr bei über 164.000
Arbeiterkammer, Armutskonferenz und Opposition äußern sich besorgt – nach dem Vorbild von Hartz IV stehe nun »Kurz IV« vor der Tür. Klaudia Paiha, die Bundessprecherin der »Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen« sagt, Schwarz-Blau plane einen »Generalangriff auf soziale Errungenschaften und die soziale Demokratie. Denn neben massiven Verschlechterungen bei den Arbeitszeiten und der Zerstörungswut gegen die Arbeiterkammern« strebe die Rechtskoalition die »Abschaffung der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen, die Abschaffung der Notstandshilfe und Zusammenführung mit der Mindestsicherung – also Hartz IV auf österreichisch« an.
160.000 Menschen werden in Einkommensarmut getrieben
Die österreichische Armutskonferenz protestierte bereits am Dienstag in mehreren Städten gegen »die Angriffe auf das soziale Netz«. Armutsbetroffene fragten bei öffentlichen Aktionen „Wer sieht unsere Sorgen und Ängste?“ – und verwiesen auf unbezahlbare Mietkosten, prekäre Arbeit, Kürzungen bei Kindern, Altersarmut und die »öffentlichen Diffamierungen der letzten Monate«.
Die Armutskonferenz hatte bereits während der Debatten der vergangenen Monate, seit eine Studie des Finanzministeriums in Wien die Einführung von Hartz IV in Österreich andachte, auf die Folgen der Reform in Deutschland hingewiesen. Dort habe »sich die Zahl der Menschen, die arbeiten und trotzdem arm sind, seit 2005 verdoppelt. Der Anteil an absturzgefährdeten Arbeitslosen ist einer der höchsten in Europa«. In Österreich würde sich die »Zahl der Personen in sozialer Not massiv erhöhen würde: 160.000 Menschen würden in die Einkommensarmut getrieben«.
In dem Zusammenhang wird auch der Jenaer Sozialforscher Klaus Dörre zitiert, der auf ein zentrales Problem hinweist: »Wer rund um Hartz IV verdient, ist gesellschaftlich nicht mehr respektiert.« Kurz IV bedeute also auch »die Verschiebung der Schwelle der Respektabilität nach unten. Die Betroffenen werden gesellschaftlich missachtet«, so die Armustkonferenz.
Angestachelt vom angeblichen Beschäftigungswunder in Deutschland
Auch die Arbeiterkammer hat sich besorgt geäußert: »Manche Formulierungen geben uns Anlass zur Sorge, wie sie zu verstehen sind«, erklärte der Direktor Christoph Klein. So könnten etwa die Formulierungen zum neuen Arbeitslosengeld »den Schluss zulassen, dass Österreich die fatale Weichenstellung in Richtung Altersarmut wiederholt, die Deutschland mit Hartz IV getan hat: Wenn tatsächlich der Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung zeitlich begrenzt wird, werden etwa ältere Langzeitarbeitslose, die bloß wegen ihres Alters von den Betrieben nicht mehr gewollt werden, in die Mindestsicherung gedrängt. Das hieße Verlust des bescheidenen Vermögens, das man sich in einem langen Arbeitsleben angespart hat, einschließlich einer Eigentumswohnung, des Autos usw.«
Der Gewerkschaftsbund ÖGB hatte im Lichte der Diskussion über mögliche »Arbeitsmarktreformen« bereits zuvor gewarnt, »angestachelt vom angeblichen Beschäftigungswunder in Deutschland, fordern neoliberale Kräfte in Österreich die Übernahme des Hartz-IV-Modells«. Und in der Tat ist eine Ersetzung der Notstandshilfe, die Anschlussleistung an das Arbeitslosengeld, durch eine bedarfsorientierte Mindestsicherung recht genau auf der Logik der Agenda-Reform. Zur Untermauerung der Kritik legte der ÖGB eine Kurzstudie der Arbeiterkammer zu den deutschen Hartz-Reformen und ihren Folgen vor.
Die »Presse« schreibt zu den Details der anstehenden Reform in Österreich, »das neue System hätte für die Betroffenen gravierende Konsequenzen. Denn im Gegensatz zur Notstandshilfe wird bei der Mindestsicherung auf das Vermögen des Leistungsbeziehers zugegriffen«. So müssten etwa bei der Mindestsicherung nicht benötigte Autos oder Sparguthaben über 4.189 Euro verwertet werden. Und: »Bei selbst bewohnten Häusern und Eigentumswohnungen kann das Sozialamt nach sechs Monaten eine grundbücherliche Sicherstellung seiner Forderung vornehmen lassen.«
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