Wirtschaft
anders denken.

Hitze, Hitze, Hitze: Kurzer Lehrgang in Sachen Lohnarbeit und Sommer

31.05.2018
Andrew Butko, Lizenz: CC BY-SA 3.0Schön wärs.

Wenn die Temperaturen steigen werden Menschen… tja. Gute Frage. Es gibt Antworten für jeden. Für die Antreiber unter den Chefs. Und genauso für den Betriebsrat. Produktivität? Konzentration? Acht Hitze-Probleme und ein optimistischer Ausgang bei 33 Grad Celsius. 

Alles, was Sie hier nun lesen, ist durch die Umstände sowohl beglaubigt als auch entschuldigt. Es geht um Hitze und Lohnarbeit, es geht darum, ob mit den Temperaturen die Demotivation wächst oder die Produktivität steigt, es geht um gefühlte Wahrnehmung und reale Arbeitsleistung. Geschrieben wurde dieser kurzer Lehrgang bei über 30 Grad. In einem verdunkelten Raum. Bei fiesem Zug, der die ganzen Papiere wegbläst. Die Tür ist offen, man hört Gespräche der anderen Büros mit, die Leute reden über Einkäufe und Verwandte. Ist aber auch ein Ding mit der Schwiegermutter von dem Typ zwei Türen weiter. Und Spülmaschinentabs sind auch alle. Was wollte ich hier eigentlich? Ach so, ja: Hitze.

Hitze-Problem 1: Wir fühlen uns matt, sind es aber in Wahrheit gar nicht. Wie bitte? »Wird es im Büro wärmer, steigen Hauttemperatur und Herzfrequenz«, hat 2012 eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit lebenden Versuchspersonen herausgefunden. »Außerdem steigt die Hautfeuchte spürbar an und die Probanden haben größeren Durst.« Und dann kommt es: »Erstaunlich ist das Ergebnis der kognitiven Tests. Denn entgegen der ursprünglichen Annahme der Forscher sank die Leistungsfähigkeit während der vierstündigen Versuchszeit nicht ab.« Die Probanden berichteten zwar, dass sie »sich bei 30 Grad Celsius durch die Aufgaben deutlich angestrengter fühlten«. Und es zeigte sich auch, dass mit dem Anstieg der Temperatur »die Bereitschaft sich anzustrengen« abnahm, während »Erschöpfung sowie Schläfrigkeit« zunahmen. Jedoch: Bei Tests »zu Konzentration, numerischem und verbalem Denken ließ sich kein deutlicher Leistungsabfall nachweisen«. Die Forscher der Bundesanstalt meinen, »dass der Mensch in der Lage ist, die Hitzebeanspruchung – zumindest für eine gewisse Zeit – im Interesse seiner geistigen Leistung zu kompensieren«.

Hitze-Problem 2: Das machen sich die Chefs ganz cool für ihre Antreiberei zu nutze. »Eine Ausrede für mangelnde Produktivität« sei Hitze »Studien zufolge nicht. Denn UV-Licht regt Stoffwechsel und Vitamin-D-Produktion an – das zusammen macht wach und fit. Doch nur mit den richtigen Tricks können Manager die Leistungsfähigkeit des Teams auch ausnutzen.« Wenigstens ist das Personaler-Portal Experteer in der Sache ehrlich: Es geht ums »ausnutzen«.

Hitze-Problem 3: Was sind das eigentlich für Maßstäbe, »Leistung« und »Produktivität«? Die Kaufmännische Krankenkasse hat 2013 Beschäftigte zu ihren Erfahrungen mit Arbeit bei Hitze gefragt – und siehe da: »Insgesamt 55 Prozent, also jeder zweite Arbeitnehmer, fühlen sich in ihrer Konzentration und ihrer Produktivität beeinträchtigt«, hieß es seinerzeit zu der Untersuchung. Bei den 18- bis 28-Jährigen »trafen sogar 65 Prozent diese Aussage. 13 Prozent der Befragten gaben an, sich bei Hitze ›deutlich weniger produktiv‹ zu fühlen als an kühlen Arbeitstagen«. Man kann sich gut fühlen, oder schlecht. Aber warum sollte man sich »produktiv« fühlen, es sei denn, man hat dies als Norm schon derart verinnerlicht und akzeptiert, dass man über die eigene »Leistung« gar nicht mehr anders reden kann als in der Sprache ökonomischer Indikatoren.

Hitze-Problem 4:  Schlimm? Oder gar nicht schlimm? Man findet für jede Meinung eine Studie. »Die Zahl der Angestellten, die sich abgelenkt fühlen, steigt zwischen Juni und August um 45 Prozent. Die Produktivität dagegen sinkt um 20 Prozent. Im Schnitt dauert es 13 Prozent länger, Projekte abzuschließen, als in kühleren Jahreszeiten«, heißt es hier unter Hinweis auf Zahlen einer Firma, die mit Software für Arbeitszeitverwaltung Geld verdient, also umso besser, je mehr Leute an sich selbst Messlatten der Produktivität anlegen. Oder man liest die schon genannte Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, und findet dort dieses: »In den letzten Jahrzehnten wurde eine Reihe von Leistungstests durchgeführt, die den Einfluss von erhöhter Raumtemperatur auf die Leistungsfähigkeit untersuchten. In einer Mehrzahl der Studien wurden keine signifikanten Effekte gefunden«. Wat denn nun?

Hitze-Problem 5: Die Cola ist alle. Bin gleich zurück.

Hitze-Problem 6: Das eigentliche Problem ist vielleicht gar nicht der Job im überhitzten Büro, sondern die Fahrt dorthin. Der Lobbyverein für Beton und Raserei ADAC hat das Unfallrisiko bei höheren Temperaturen untersucht. Ergebnis: Jeder siebte schwere Unfall ereignet sich an Tagen, in denen das Thermometer mindestens 25 Grad Celsius erreicht. Hat alles mit Konzentration zu tun: So genannte »konzentrationsrelevante Unfälle« machen an kühlen Tagen unter 15 Grad Celsius nur 47 Prozent aller schlimmen Crashs aus, an sehr warmen Tagen dagegen 63 Prozent. Und nein, jetzt kommt hier keine Ermahnung, doch lieber das Fahrrad zu nehmen. Denn wie gesagt: Der Autofahrer wird im Sommer zum noch schlimmeren weil noch unkonzentriertem Feind.

Hitze-Problem 7: Warum soll man das hier Aufgeschriebene überhaupt glauben? Denn es gilt doch für heiße Tage wie diesen: »Menschen werden schneller müde, unkritischer, aber auch aggressiver.« Unkritischer! Da schreibt jemand was auf, dass aus Studien stammt, deren Ergebnisse einfach so akzeptiert werden. So geht das doch nicht! Diese Idioten!! Das kann doch alles nicht wahr sein!!!! Das wird man doch noch sagen dürfen!!!!! Merkel muss weg!!!!!! Was? »Am besten untersucht allerdings ist die Vermutung, dass Hitze feindseliger und impulsiver macht«, steht in einer Zeitung. Das Ganze hat sogar einen Namen: »Heat hypothesis«.

Hitze-Problem 8: Wie soll man so einen Text optimistisch enden lassen? Zumal der Wetterbericht keine Erlösung verspricht und auch das nächste Gewitter sicher wieder über Charlottenburg abregnet, aber der Osten weiter schmoren darf? Ah, zum Glück gibt es dazu auch eine Untersuchung, steht jedenfalls hier. Die stammt aus dem Jahr 1984 und zeigte, dass Hitze Angstgefühle und Skepsis reduziert, also optimistischer macht. Alles wird gut! Ganz bestimmt!

Foto: Andrew Butko / CC BY-SA 3.0

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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