Wirtschaft
anders denken.

Hochschneidern! Wie Mode auch politisch sein kann

29.08.2017
Mode, Designerinnen auf der Barrikade, eine Fahne schwenkendFoto: LISA D.Wo Lisa D. ihre Mode inszeniert, geht es auch immer um ein politisches Statement. Ihre Ideen stehen für Wertschätzung in einer reparaturbedürftigen Welt.

Es klingt plausibel: Frauen mit Gespür für alles Textile, für Körper, Proportionen und Design und mit dem Wunsch, sich kreativ auszuleben, gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann ein eigenes Modelabel. Oberflächlich betrachtet trifft das auch auf Elisabeth Prantner zu. 1984 gründet die Österreicherin ihr Fashionlabel Lisa D., zieht Anfang der 1990er-Jahre in die Hackeschen Höfe in Berlin, dem Hotspot für alles Kreative in Berlins neuer Mitte.

Doch der Modedesignerin Lisa D. geht es um weit mehr als um Trendfarben und Rocklängen, schwingende Säume und geschnürte Taillen. Lisa D. setzt auf kluge, kritische Käuferinnen. Sie ist eine Anarchistin unter all den Modedesignpüppchen, die auf Markt, Markt-anteile und Modellverkauf setzen.

Wenn Prantner für ihre Shows den Tränenpalast, die ehemalige Ausreisehalle des Bahnhofs Friedrichstraße, mit großen Eisblöcken auslegt und die Models auf Eiskufen über den »Laufsteg« schickt, dann ist das ein politisches Statement an symbolischem Ort, an der Schnittstelle zwischen Ost und West. Wenn sie aus ausgedienten Militärmänteln tragbare Mode für die emanzipierte Großstädterin kreiert, dann ist es ein politisches Statement zu Abrüstung, Aufrüstung, Umrüstung.

Daraus entsteht viele Jahre später die Idee, vorhandene Kleidung nicht einfach zu entsorgen, sondern auf- oder umzurüsten. Bis es mir vom Leibe fällt nennt Lisa D. dieses Fashion-Konzept, ein »Ver-Änderungsatelier«, bei dem es einzig darum geht, vorhandene Lieblingsmodelle zu retten, zu reparieren, zu erneuern, wachzuküssen. Lisa D. sagt »hochschneidern, vereinzigartigen, personalisieren«. Und meint damit, vorhandene Kleidungsstücke »länger in der Welt zu halten«.

Aus zwei alten Hemden vom Großvater könnte nicht nur eine gute Erinnerung, sondern ein Lieblingskleid werden, aus alten Nadelstreifenhosen eine coole Jacke. Ressourcenverschwendung empört sie, wenn in Deutschland rund 40 Prozent gekaufter Kleidung ungetragen im Müll landen, wie Greenpeace herausgefunden hat. »Wichtig ist mir, Nachhaltigkeit mit einem designerischen und ästhetischen Witz zu verbinden.«

Doch das ist ökonomisch komplex, sehr komplex. Vielfach ausgezeichnet und preisgekrönt ist Lisa D. aber nicht reich geworden mit ihrer Kreativität, ihrer künstlerischen Ader, ihrem überschäumenden Temperament und mit ihren insgesamt sieben Mitarbeiterinnen in beiden Fashion-Labels. Die Mitarbeiterinnen sind übrigens fest angestellt, keine Dauerpraktikantinnen, sind selber Designerinnen und versierte Handwerkerinnen. Ihre Ideen sind unbedingt gewollt und tragen zum Erfolg der Unternehmung bei. Die Hierarchie ist flach. »Ich muss aber ehrlich zugeben, dass ich nie den Wunsch hatte, an großen Rädern zu drehen.« Es wäre total gegen ihre Vorstellungen eines geglückten Lebens gewesen. »Wenn du an großen Rädern drehen willst, dann wird für dich als Frau die Luft dünn.«

Das Atelier Bis es mir vom Leibe fällt schlug in Berlin zwar ein wie eine Bombe und der Andrang, die Lieblingsstücke aufzupeppen, ist hoch, doch in die schwarzen Zahlen kam und kommt Prantner damit nicht. »Ich war und bleibe diesbezüglich ein Hippie«, sagt sie. Die lustvolle, gemeinschaftliche Arbeit sei ihr wichtig. »Die für mich ideale Form wäre eine Genossenschaft«, doch sie wäre verwaltungstechnisch und steuerlich zu aufwendig. »Und so wage ich jetzt das Experiment, Bis es mir vom Leibe fällt in einem Verein fortzuführen.«

Seit Juli 2017 gibt es diesen nun als gemeinnützigen Verein zur Förderung nachhaltiger Alltagskultur. Und damit ein Angebot für andere, die Dinge der Veränderung selbst in die Hand zu nehmen, kreativ das Vorhandene zu retten, zu reparieren, zu erneuern, wachzuküssen. »Schule des Veränderns« nennt Lisa D. diese Möglichkeit für den »kreativen Umgang mit gebrauchten Textilien in einer reparaturbedürftigen Welt«. Verein und Atelier sind weit mehr, als ein Lieblingsstück »hochzuschneidern«.

Mit Verwandeln und Fair-Wandeln hat ihr Modeunternehmen sowieso immer zu tun. Vielleicht stünde Lisa D. die Bezeichnung Fair-Änderung auch gut zu Gesicht.

Bis es mir vom Leibe fällt e.V.

Dieser Beitrag erschien in OXI 3/2017 und wurde aktualisiert.

Geschrieben von:

Ina Krauß

Journalistin

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