Wirtschaft
anders denken.

»Wir machen keine Wahrsagerei«

Der ifo-Geschäftsklimaindex blickt monatlich auf die Lage der deutschen Wirtschaft. Aus OXI 10/22.

26.07.2023
Porträt von Klaus WohlrabeFoto: ifo-Institut
Klaus Wohlrabe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter der Befragungen beim Münchener ifo-Institut. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Methoden und Evaluierung der Konjunkturumfragen und die Zeitreihenökonomik. Über den ifo-Geschäftsklimaindex sprach mit ihm Philip Blees.

Herr Wohlrabe, Sie verantworten am ifo-Institut den Geschäftsklimaindex. Er soll der »wichtigste Frühindikator der deutschen Wirtschaft« sein. Warum?

Das Bruttoinlandsprodukt wird vom statistischen Bundesamt vierteljährlich und mit Verzögerung veröffentlicht. Mit unserem Geschäftsklimaindex kann man diesen Zeitraum verkürzen. Das heißt allerdings nicht, dass wir eine genaue Wachstumsrate berechnen können. Aber er zeigt sehr zuverlässig die Richtung an. Wenn er im Schnitt hoch geht, wirkt sich das positiv auf die Wachstumsraten aus. Wenn er sinkt, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession. Das hängt auch immer mit dem Niveau zusammen, auf dem man sich bewegt. Einmal pro Monat zeigen wir somit der Öffentlichkeit, wo die deutsche Wirtschaft steht – gerade bei aktuellen Ereignissen ist das wichtig. Das ist der Mehrwert unserer Umfrage.

Das Ergebnis des Geschäftsklimaindex ist eine Zahl. Im Juli lag er bei 88,6. Was sagt das aus?

Wir schicken jeden Monat rund 9.000 Unternehmen in allen wichtigen Bereichen der deutschen Wirtschaft – Industrie, Handel, Dienstleistungen und Baugewerbe – einen Fragebogen. Darin sind sehr viele Fragen enthalten, für den Geschäftsklimaindex sind jedoch zwei relevant. Einmal werden sie gefragt, wie ihre aktuelle Lage ist. Sie können antworten, dass sie gut, befriedigend oder schlecht ist. Und die Unternehmen werden gefragt, wie sich die Geschäftslage in den nächsten sechs Monaten entwickelt. Darauf können sie antworten, dass es besser wird, gleich bleibt oder schlechtere Aussichten gibt. Wir machen keine Wahrsagerei, aber für eine Prognose braucht man eine Idee, wo es hingeht.

Dann Durchschnitt nehmen, ausrechnen und fertig?

Die Antworten werden aggregiert. Es kommt auch darauf an, wie groß die jeweiligen Unternehmen sind. Sie werden gewichtet. Und die Branche ist relevant: In Deutschland ist die Automobilbranche sehr wichtig, deswegen haben Antworten aus diesem Bereich auch ein höheres Gewicht als beispielsweise die Textilbranche. Alle Mikrodaten werden so von unten nach oben zusammengefasst und als Ergebnis kommt diese Zahl heraus.

Hat diese Zahl dann noch irgendeine Bedeutung?

Nein, die ist nur eine mathematisch errechnete Zahl, die man im Verhältnis zu den Vormonaten interpretiert. Das Niveau an sich hat keine Aussagekraft und es ist auch kein prozentualer Anteil vom perfekten Zustand mit 100 oder Ähnliches.

Und das ist »repräsentativ«, wie man so schön sagt?

Die Umfrage soll natürlich, soweit es geht, repräsentativ sein. Wir decken aber einige Bereiche nicht ab. Zum Beispiel den medizinischen Sektor, der mehr durch strukturelle Gegebenheiten als durch konjunkturelle beeinflusst wird. Zudem haben wir relativ gesehen mehr größere Betriebe als kleinere unter 50 Mitarbeiter:innen in der Stichprobe, obwohl Letztere die große Mehrheit in Deutschland bilden. Für die Konjunktur spielen die größeren eine viel wichtigere Rolle. Unsere Stichprobe ist bewusst so gewählt und in dem Sinne nicht vollkommen repräsentativ. Wir decken mit unseren Unternehmen aber 25 Prozent der Beschäftigten in Deutschland ab. Und auch darüber hinaus bildet der Index die deutsche Wirtschaftsentwicklung über alle unsere untersuchten Bereiche sehr gut ab.

Sie befragen jedes Mal die gleichen Unternehmen?

Ja, formal gesehen ist es ein sogenanntes Panel. Jeden Monat werden die gleichen Unternehmen wieder befragt. Das hat den großen Vorteil, dass sich Routinen im Betriebsablauf entwickeln und man aus methodischer Sicht schauen kann, ob die Unternehmen konsistent antworten. Diese Konsistenz ist sehr wichtig, weswegen wir auch seit mehr als 50 Jahren genau die gleichen Fragen stellen. Sonst könnte man die Antworten gar nicht über die Zeit vergleichen.

Sie schicken diesen immer gleichen Fragebogen dann per Mail an die Unternehmen und nach 15 Minuten kriegen Sie eine Antwort? Oder wie kann man sich das vorstellen?

Das ist recht interessant. Gerade im europäischen Vergleich fällt mir auf: Die deutschen Unternehmen lieben noch das Papier. Organisatorisch wäre es sicher auch einfacher für mich, wenn alles online gehen würde, aber ein Drittel der Befragten nimmt noch per Papier teil. Die schicken uns wirklich noch einen Brief zurück. Noch beliebter ist aber das Fax.

Wieso nehmen die Unternehmen daran teil? Das ist freiwillig, kein Gesetz zwingt sie dazu und auf den ersten Blick haben die Unternehmen nichts davon.

Wenn irgendjemand auf unserer Website nach dem einzelnen Geschäftsklimaindex einer speziellen Branche sucht, findet man nichts. Auf unserer Website veröffentlichen wir nur unsere obersten Ergebnisse. Das machen wir mit voller Absicht. Nur wenn das Unternehmen an der Umfrage teilnimmt, kriegt es Zugang zu einem Datenportal und den Ergebnissen der jeweiligen Branche. Sie können sich dann mit anderen vergleichen. Besonders für große Unternehmen mit eigener Analyseabteilung ist das relevant.

Wie interpretieren Sie die einzelnen Ergebnisse?

Wir schauen uns erst mal den Vergleich zum Vormonat an. Oder auch die letzten drei oder vier Monate, um eine grundlegende Tendenz zu sehen. Wenn der Index einmal ein bisschen gesunken oder gestiegen ist, bin ich vorsichtig, ob das eine grundlegende Tendenz ist. Manchmal sind es einfach statistische Schwankungen ohne wirkliche Aussage. Die Kunst ist es, die Schwankungen in ein Gesamtbild einzuordnen und zu interpretieren. Dabei helfen auch die vielen anderen Fragen, die wir im Fragebogen stellen, zum Beispiel zur Preisentwicklung.

Wie gut sind Ihre Ergebnisse? Haben Sie das mal untersuchen lassen?

Wenn der Index durchgehend Schrott produzieren würde, dann würde er auch nicht genutzt werden. Erwartungsblasen gibt es trotzdem. In der Dotcom-Blase waren die Unternehmen beispielsweise sehr optimistisch, aber die Realität ist dem nicht ganz gefolgt. Unsere Zahlen haben den Aufschwung da überschätzt. In der Corona-Krise war es umgekehrt. Die Erwartungen sind viel stärker gesunken, als der Einschnitt wirklich war. Im Durchschnitt funktioniert unser Geschäftsklimaindex aber ganz gut. Das haben wir auch systematisch untersuchen lassen. Diese Studien zeigen mit großer Mehrheit, dass der ifo-Geschäftsklimaindex beim BIP und seinen Teilaggregaten zu guten Ergebnissen kommt.

Wieso ist der Geschäftsklimaindex für die Politik relevant?

Gerade die Ministerien möchten wissen, wie der Status quo der Wirtschaft ist. Muss man reagieren? Kommt eine Rezession? Wie stark wird die? Unseren Informationen geben ihnen einige Antworten. Manchmal arbeiten wir mit den Ministerien aber auch direkt zusammen. Das Finanzministerium wollte im Frühjahr beispielsweise etwas zur Abhängigkeit der Industrie vom Gas wissen. Dann haben wir im April viele Sonderfragen zu dem Thema gestellt. Was sie mit den Ergebnissen machen, ist dann Aufgabe der Politik. Aber wir geben ihnen die Informationen dazu.

Das Interview führte:

Philip Blees

OXI-Redakteur

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