Tausende Metaller weiter im Streik, Gericht weist Unternehmerklage zurück: der OXI-Überblick
Die Auseinandersetzung in der Metall- und Elektrobranche geht weiter. In zahlreichen Betrieben macht die Gewerkschaft am Donnerstag mit Streiks weiter Druck. An der juristischen Front holte die IG Metall einen Erfolg. Der OXI-Überblick.
In Krefeld hat das Arbeitsgericht einen Antrag eines Unternehmens auf einstweilige Verfügung gegen die ganztägigen Warnstreiks abgewiesen. Das Gericht habe erläutert, heißt es in einer Presseerklärung, »dass die hohen Anforderungen, die für die endgültige Untersagung eines Streiks aufgrund des für Arbeitskämpfe bestehenden Grundrechtsschutzes erfüllt sein müssten, nicht eingehalten seien«.
Bundesweit wollen Unternehmen gegen die Arbeitskämpfe vorgehen, weil sie die Forderung nach einem Lohnausgleich für bestimmte Beschäftigte mit reduzierter Arbeitszeit als Diskriminierung anderer Teilzeitbeschäftigte bei gleicher Arbeit ansehen. Unternehmerverbände wie Südwestmetall haben Arbeitsgerichte in Stuttgart, München, Berlin, Brandenburg und Sachsen sowie im Saarland deshalb angerufen.
Worum geht es vor Gericht?
In Krefeld wurde nun zunächst entschieden, dass kein Anspruch auf Untersagung der Warnstreiks glaubhaft gemacht worden sei. »Ob und aus welchem Grund die Zahlung einer Zulage für Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit befristet für maximal zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden reduzieren, andere Teilzeitbeschäftigte diskriminiert, die bereits unbefristet in Teilzeit arbeiten und keine Zulage bekommen, setze eine Angemessenheitsprüfung im Einzelfall voraus. Rechtswidrig wäre die Zulage nur dann, wenn sie keinem schutzwürdigen Interesse, zum Beispiel der Vermeidung von Fachkräftemangel oder der Erleichterung von Betreuung von Kindern, dienen würde. Im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens sei dies nicht mit der für eine Untersagung eines Streiks erforderlichen Eindeutigkeit dargelegt worden.«
Zur angeblichen Unzulässigkeit des Tagesstreiks als Vorstufe zu einem Erzwingungsstreik sagte das Gericht, es habe darüber »keiner Entscheidung bedurft, weil aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen des Streiks für das klagende Unternehmen nicht offensichtlich sei, dass ein 24 Stunden andauernder Streik zu einer unzumutbaren Belastung führen würde«.
Die IG Metall hatte das juristische Vorgehen der Unternehmer zuvor als Eskalation kritisiert. IG Metall-Chef Hofmann sagte, sollten die Unternehmer das Streikrecht in Frage stellen, betrachte die Gewerkschaft dies als »Angriff auf die Grundrechte aller Beschäftigten in Deutschland«. Wenn sich die Unternehmerseite nicht bewegt, könnten schon nächste Woche Urabstimmungen zu flächendeckenden Streiks folgen.
Warum sind die 24-Stunden-Warnstreiks so mächtig?
»Die Macht der IG Metall ist gewachsen«, schreibt die »Schwäbische Zeitung«. Warum? »Die sogenannte Just-in-time-Produktion, das weitgehende Auflösen von Lagern, hat die Unternehmen verwundbar gemacht. Das zeigen die nun erstmals eingesetzten 24-Stunden-Streiks. Anders als bei Urabstimmungen über Flächenstreiks müssen nur die Gewerkschaftsmitglieder in den ausgewählten Betrieben ihre Zustimmung geben. Und angesichts voller Auftragsbücher reichen die Folgen solcher Warnstreiks schon fast an Flächenstreiks heran. Stehen die Bänder bei einem Autobauer wie Daimler, müssen die Zulieferer ihre Produktion drosseln, weil sie nicht ausliefern können. Streikt die Belegschaft eines Zuliefers, können die Autobauer keine Autos mehr bauen, weil die Teile fehlen.«
Im »nd« heißt es zu den Tagesstreiks: »Anders als bei den stundenweisen Warnstreiks der letzten Wochen würde die IG Metall für die neue Form des Arbeitskampfes in die Streikkasse greifen. Das heißt, sie übernimmt einen Großteil des Lohnausfalls, den Beschäftigte durch ihren Arbeitsausstand haben. Die Unternehmen werden rechnen müssen, wie viel Ausfall sie sich leisten wollen. Die Auftragsbücher sind voll – liegt die Produktion einen ganzen Tag lahm, wird es schmerzhaft.«
Wie stark der »Schmerz« ausfällt, hängt von vielen Faktoren ab. Aber das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft hat mal nachgerechnet: Die durch Tagesstreiks verursachten Streikkosten sind »enorm. Treten pro bestreiktem Betrieb im Schnitt 200 Beschäftigte – also insgesamt 50.000 Beschäftigte – in den Tagesstreik, verlieren die betroffenen Betriebe insgesamt 62 Millionen Euro pro Tag, ausgehend von einer Fünf-Tage-Woche.« Findet ein Tagesstreik in einem der größeren Betriebe statt wie nun bei Ford in Köln, »steigt der Umsatzausfall stark an. Treten die Beschäftigten in Betrieben mit 1.000 Mitarbeitern in den Ausstand, liegen die Umsatzausfälle in der Metall- und Elektro-Industrie bei 90 Millionen Euro. Dazu kommen potenzielle Fernwirkungen, wenn es auch in anderen Branchen zu Produktionsausfällen kommt: beispielsweise in der Textilindustrie, weil von den Autobauern keine Sitzbezüge mehr abgenommen werden.«
Zum Vergleich: Der zehntägige Lohnstreik in der Metall- und Elektroindustrie vim Frühjahr 2002, an dem sich rund 200.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligten, führte laut IW Köln zu Umsatzausfällen von insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Dabei waren so genannte Fernwirkungen noch nicht berücksichtigt. Der Arm der Gewerkschaft ist also durchaus stark, wenn er will.
Wo wird am Donnerstag gestreikt?
In der Nacht zum Donnerstag gingen die Kölner Ford-Werke in den Warnstreik. In NRW sollen über 20.000 Beschäftigte in 22 Betrieben an Aktionen teilnehmen. In Bayern sollen am Donnerstag 18 Betriebe stillstehen, Schwerpunkt sind die Autozulieferer Bosch, Mahle, Getrag, Pressmetall, ZF Gusstechnologie und Federal Mogul sowie alle vier BMW-Standorte sowie Audi in Ingolstadt. Die IG Metall Küste will unter anderen die Firmen Daimler und Lear in Bremen, Mercedes in Hamburg und Kolbenschmidt im niedersächsischen Papenburg bestreiken. In Schleswig-Holstein sind Aktionen bei GKN Driveline in Kiel sowie beim Pumpenhersteller Flowserve SIHI in Itzehoe geplant – insgesamt sind über 15.000 Beschäftigte zum Warnstreik aufgerufen. In Hessen und Rheinland-Pfalz soll es Streiks beim Autozulieferer AVO Carbon und der GEA Westfalia geben. In Sachsen steht ein ganztägiger Streik der Beschäftigten im Porsche-Werk Leipzig an; in Thüringen wurde zur Arbeitsniederlegungen beim Werkzeughersteller Widia aufgerufen.
Worum dreht sich die Auseinandersetzung?
Die IG Metall verlangt für die bundesweit rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Branche sechs Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitszeit auf 28 Wochenstunden. Bestimmte Gruppen wie Schichtarbeiter, pflegende Angehörige oder Eltern junger Kinder sollen dabei einen Teil-Ausgleich für entgangenen Lohn erhalten. Die Unternehmen haben bisher nur eine Einmalzahlung von 200 Euro und zwei Prozent mehr Einkommen für 15 Monate geboten.
Wie lief der Streik am Mittwoch?
Die IG Metall bilanzierte derweil den ersten Streiktag: »In über 80 Betrieben mit rund 68.000 Beschäftigten« habe die Produktion stillgestanden. »Wer sich nicht bewegt muss geschoben werden«, sagte Gewerkschafter Hofmann. Das Ziel sei »weiterhin ein Ergebnis ohne Flächenstreiks. Eine Lösung kann es aber nur geben, wenn die Arbeitgeber bei allen drei Themen nachlegen: beim Geld, beim Anspruch auf eine befristete Arbeitszeitverkürzung und beim Entgeltzuschuss für Beschäftigte in familiären oder beruflichen Belastungssituationen«, so die Gewerkschaft. Hier gibt es eine Übersicht mit den Streikmeldungen der einzelnen Regionen.
Warum ist die Tarifrunde so wichtig?
Erstens, weil Tarifauseinandersetzung in der Branche immer eine gewisse Leitwirkung haben. Zweitens: Die IG Metall habe »endlich einen längst überfälligen Richtungswechsel vollzogen. Lange bildete das Einkommen des männlichen Facharbeiters, das für die ganze Familie reichen sollte, auch für sie das Maß aller Dinge.« Jetzt aber sollten die Gewerkschafter »Arbeit neu denken« und »in der zugespitzten Auseinandersetzung der kommenden Wochen in der Zeitfrage hart bleiben«, schreibt Thomas Gesterkamp. Mit der Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten ist es den Gewerkschaftern in der Metall-Tarifrunde das erste Mal seit langem wieder gelungen, als moderne Organisation wahrgenommen zu werden, »die offen ist für veränderte Einstellungen und Lebensstile«. Die Unternehmen stünden »im Vergleich eher altbacken da«.
Rudolf Walther meint auf dem gewerkschaftlichen Portal »Gegenblende«, die IG Metall erweise sich »mit ihrer aufgeklärt-emanzipatorischen Arbeitszeitforderung als zeitgemäß«. Für die Arbeitenden und die Gesellschaft gehe es darum, »die Arbeitszeit »auf ein fallendes Minimum zu reduzieren, und so die Zeit aller frei für ihre Entwicklung zu machen. (…) Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen«, so Walther unter Verweis auf Karl Marx und das eigentliche Wesen der Freiheit.
Die Forscherin Ursula Stöger analysiert im »nd«, die individuelle Möglichkeit einer vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit auf 28 Stunden mit einem teilweisen finanziellen Ausgleich bei belastenden Arbeitszeiten oder für die Betreuung von Kindern bzw. Angehörigen sei »eine mutige Forderung, die einen Kurswechsel in der Tarifpolitik einläuten könnte«. Einen Haken habe »die Tarifforderung der IG Metall dennoch: Sie bleibt einem Grundprinzip des traditionellen westdeutschen Produktionsmodels verhaftet. Der ›Taylorismus‹ war lange Jahre das Leitbild für die gesellschaftliche Organisation der Produktion und des Zusammenlebens. Er zeichnet sich durch Massenproduktion, das Normalarbeitsverhältnis, ein darauf aufbauendes Sozialversicherungssystem und durch die sogenannte Versorgerehe aus, nach der Männer Vollzeit arbeiten und Frauen für Hausarbeit und Kinderbetreuung zuständig sind und dabei allenfalls einer Teilzeitarbeit nachgehen. Eine Folge ist die ökonomische Abhängigkeit vieler Frauen.« Es lohne »sich also, über ein neues gesellschaftliches Produktionsmodell nachzudenken, dessen Grundlage eine radikale und kollektive Arbeitszeitverkürzung sein könnte«, so Stöger.
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