Wirtschaft
anders denken.

Ihr habt doch alle keinen Plan!

08.10.2017

Nur nicht den kapitalistischen Markt und seine große Weisheit stören, warnen die Kritiker öffentlicher Steuerung. Doch die Zukunft will gestaltet sein. Wir brauchen mehr demokratische Planwirtschaft. / Ein Text aus dem Schwerpunkt »Planwirtschaft« der aktuellen OXI-Printausgabe.

Man kann natürlich darüber froh sein, dass der Wahlkampf vorbei ist. Man sollte aber auch darüber nachdenken, was es heißt, wenn in der parteipolitischen Wahlkonkurrenz Grundfragen der zukünftigen Gesellschaft praktisch keine Rolle spielen. Wenn die Performance von Spitzenkandidaten das Maß der Dinge ist, wenn die Rede von »Gerechtigkeit« zwar laut vorgetragen wird, aber jede und jeder darunter etwas Anderes verstehen darf. Wenn es zwar »Pläne« im Dutzend gibt, die aber gar keine sind, stattdessen bloß Papiere, die dem Politmarketing als Wimpel dienen. Wenn der Wahlkampf so läuft, dann hat eine Gesellschaft ein großes Problem. Denn was sollten Wahlen denn sonst sein, wenn nicht demokratische Entscheidungen darüber, welche Richtung eine Gesellschaft einschlagen will? Welchen Plan sie hat für die nächste Zeit?

Es hat in diesem Wahlkampf durchaus eine Gelegenheit gegeben, die aber ungenutzt blieb. Eine Gelegenheit, zum Thema zu machen, welche Rolle Ökonomie eigentlich spielt, welche Maßstäbe wir an Wirtschaft anlegen und wie weit wir politische Steuerung als vernünftig erachten, um gesellschaftlichen Bedürfnissen Vorrang gegenüber den Partikularinteressen einzelner Marktakteure zu verschaffen.

Der Streit, von dem hier die Rede ist, drehte sich um Peter Bofinger. Der Würzburger Ökonom sitzt im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und nimmt dort in der Regel die Position des Minderheitenvotums ein.

Das klingt nach Randständigkeit, aber dies ist eine Frage des Beobachterstandpunktes. Denn wo es »Minderheiten« gibt, müssen auch Mehrheiten sein – Bofinger ist der keynesianisch argumentierende Wirtschaftswissenschaftler unter den »Weisen«, der auf einem Gewerkschaftsticket in dem Gremium sitzt. Wenn er ein Minderheitenvotum abgibt, dann kommt darin in der Regel auch das Interesse von Beschäftigten, von Öffentlicher Hand zur Geltung – man könnte von einer Sichtweise sprechen, bei der die Bedürfnisse der Mehrheit in den Blick genommen werden.

Auf der anderen Seite in diesem Streit stehen drei Ökonomen und eine Ökonomin, deren Argumentation sich zwar als Position der Mehrheit verkleidet, die in Wahrheit aber eine Sache der Minderheit ist: Was die anderen »Weisen« Lars P. Feld, Christoph M. Schmidt, Isabel Schnabel und Volker Wieland in diesem Streit hochleben ließen, die »Kräfte des Wettbewerbs«, soll eine Marktlogik vor gesellschaftlicher Einhegung schützen, die wirklich wenigen zugutekommt. Nicht der Mehrheit also.

Ein Beispiel: Es ist ein paar Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise schon ein starkes Stück, »die exzessive Risikobereitschaft der Banken« auf ein Zuviel an staatlicher Einflussnahme zurückzuführen und auf mehr »freien Wettbewerb« zu pochen, statt auf mehr Kontrolle, mehr Zähmung, mehr gesellschaftliche Entscheidung. »Vertraut dem Markt!«, schmetterten die vier »Weisen« Bofinger entgegen, der zuvor »Mehr Zentralismus wagen!« gefordert hatte.

Was in dieser Debatte steckt, hätte den Wahlkampf zu einer Auseinandersetzung über die Entwicklungsrichtung dieser Gesellschaft machen können. Zu einer Entscheidung darüber, ob eine Wiederherstellung des Primates der Politik nicht eine Veränderung des wirtschaftspolitischen Denkklimas braucht, also mindestens mehr Bofinger. Es hätte deutlich werden können, dass es um eine Politik geht,

in der die Ökonomie nicht als Nebenrubrik betrachtet wird, sondern als der zentrale Ort der gesellschaftlichen Produktion von Reichtum, also die Arena, in der es um die Frage geht, in wessen Interesse und nach wessen Bedürfnis programmiert, gebaut, hergestellt, transportiert und gehandelt wird. Es geht also um eine Perspektive, die wieder möglich machte, die Welt nach gesellschaftlichen, demokratisch ausgehandelten Plänen zu gestalten.

Ist das etwa unvernünftig? Bofinger hatte nicht viel mehr zur Geltung bringen wollen, als den naheliegenden Gedanken, dass erstens ohnehin viel geplant wird, dass es aber zweitens darauf ankommt, in welche Richtung diese Pläne zielen und wie sie verabredet werden, dass es drittens um Rahmensetzungen, Regeln, Richtungsentscheidungen geht. Die Aggressivität, mit der vier »Wirtschaftsweise« zurückschlugen, zeigte freilich, wie weit eine der bloßen Marktlogik unterworfene Denkweise hierzulande als die eigentlich vernünftige gilt.

Das hat auch etwas mit der Karriere des Plangedankens in der Ökonomie zu tun, eine Geschichte, die von vielen Irrtümern, Misserfolgen, Fehlentwicklungen gezeichnet ist. Aber was steht eigentlich in der Biografie des Marktradikalismus? Ist die Idee demokratischer Planung, die heute nicht mehr auf staatliche Kommissionen setzen würde, stattdessen auf regionale Gremien, auf die verschiedenen Ebenen des Betriebs selbst, auf die Verwaltungen und die Nachbarschaften, wirklich so abwegig angesichts der Spuren, die über 40 Jahre Neoliberalismus hinterlassen haben?

Und vor allem: Wollen wir nicht endlich anfangen, Alternativen zu planen angesichts der globalen Herausforderungen – vom immer noch grassierenden Elend in einer superreichen Welt angefangen über die wohl nur noch gemeinsam gestaltbare Fundamentalkraft des Klimawandels bis hin zu den Befreiungspotenzialen neuer Technologien? Müssen wir nicht endlich anfangen?

Hier finden Sie die OXI-Asugabe vom Oktober 2017.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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