Wirtschaft
anders denken.

Mit Konvention gegen Sexismus

18.05.2021
Gewalt hat auch etwas mit Machtverhältnissen zu tun: Ein Mann im Anzug sitzt bei einer BesprechungBild von StockSnap auf PixabayOft sind es Männer in Führungspositionen, die durch sexuelle Belästigung ihre Macht erhalten wollen

Die ILO-Konvention gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt gilt ab Juni in zwei Ländern. Aus OXI 5/21.

Mehr als zehn Jahre haben Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und auch einige Unternehmensvertreter dafür gestritten, am 21. Juni 2019 wurde sie dann beschlossen: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedete an diesem Tag das Übereinkommen gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt. Die Konvention »ist ein inhaltlich starkes Regelwerk«, sagt die Juristin und Wissenschaftlerin Jana Hertwig vom Harriet-Taylor-Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Ende Juni dieses Jahres tritt die Vereinbarung in zwei Ländern in Kraft, drei weitere Staaten folgen in den kommenden Monaten.

Das Problem ist seit Langem bekannt: »Weltweit sind 35 Prozent der Frauen Opfer direkter Gewalt am Arbeitsplatz, zwischen 40 und 50 Prozent der Frauen haben unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche, unerwünschten Körperkontakt oder andere Formen sexueller Belästigung erfahren«, heißt es etwa in einer Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses von 2015. Das Gremium, in dem Gewerkschaften und Unternehmerorganisationen vertreten sind, sprach sich schon damals für ein ILO-Übereinkommen gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz aus. Der Ausschuss, der die EU berät, betonte, dass auch in der Europäischen Union 45 Prozent der Frauen in Studien angegeben hätten, schon einmal Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt gewesen zu sein. Zwischen 40 und 45 Prozent seien nach eigenen Angaben sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen.

Besonders gefährdet seien beispielsweise Frauen, die direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit haben, etwa in der Bildung, im Gesundheitssektor und in der Sozialarbeit, heißt es in einem Bericht der Internationalen Arbeitskonferenz von 2018. Auch in Privathaushalten oder Nachtschichten kommen Übergriffe häufig vor, ebenso bei hoher Arbeitslosigkeit und schwachem Arbeitnehmerschutz, ergänzt Jana Hertwig.

Übergriffe gegen Beschäftigte finden innerhalb ungleicher Machtverhältnisse statt und sind zugleich ein Machtmittel, mit dem auch der Status quo durchgesetzt wird. Die Internationale Arbeitskonferenz nennt hierfür Beispiele: Wenn Frauen in traditionell männlich dominierte Wirtschaftszweige vordringen, versuchten einige Männer, ihre Macht durch sexuelle Belästigung zu behaupten. Die Durchsetzung der Geschlechterrollen richte sich auch gegen Mitarbeiter, die nicht der ihnen zugewiesenen Rolle entsprechen.

Ob globale Standards gegen Gewalt und Belästigung nötig sind, war dennoch lange Zeit strittig. Die MeToo-Debatte habe geholfen, das Projekt voranzubringen, erzählt Hertwig. Im Juni 2019 stimmte eine große Mehrheit der Länder-Delegationen, in denen die nationalen Regierungen, Gewerkschaften und Unternehmen vertreten sind, der ILO-Konvention zu. Ursprünglich zielte die Vereinbarung auf geschlechtsspezifische Gewalt, unter der vor allem Frauen leiden, erläutert die Lehrbeauftragte für Frauenrechte, Verfassungs- und Europarecht. Dann hätten sich die ILO-Vertreter aber darauf verständigt, Standards zu entwickeln, die sich gegen jedwede Gewalt und Belästigung im Berufsleben richten.

Das Übereinkommen hat aus ihrer Sicht insbesondere zwei Stärken: Zum einen sei der Geltungsbereich weit gefasst. Die Konvention gilt für Beschäftigte, Auszubildende, Jobsuchende, Stellenbewerber:innen und Erwerbstätige im informellen Sektor. Sie gilt für die Arbeitsstätte ebenso wie für den Arbeitsweg, Geschäftsreisen und von Unternehmen bereitgestellte Unterkünfte, und auch für die E-Mail-Kommunikation im Homeoffice.

Zum anderen würden Gewalt und Belästigung umfassend definiert. Laut ILO-Konvention handelt es sich hierbei um »inakzeptable Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung, die auf physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden abzielen, diesen zur Folge haben oder wahrscheinlich zur Folge haben«. Explizit erwähnt wird, dass dies auch geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung umfasst.

Nun lässt sich einwenden, dass etwa der Begriff »inakzeptable Verhaltensweisen« schwammig ist. Die Völkerrechtlerin Hertwig verweist jedoch darauf, dass es sich um internationale Standards handelt, die in konkrete, nationale Regelungen umgesetzt werden müssen. Richtig sei, dass den Ländern Spielraum bleibe.

Bislang haben lediglich fünf Staaten die Konvention ratifiziert: die Republik Fidschi, Namibia, Somalia, Uruguay und Argentinien, wo es seit einiger Zeit starken zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Gewalt gegen Frauen gibt. Uruguay und die Republik Fidschi haben die Konvention zuerst ratifiziert, in diesen Ländern tritt sie darum in diesem Sommer in Kraft. In Namibia gilt sie ab Dezember, in Argentinien und Somalia ab Anfang nächsten Jahres. Sie müssen die Vorgaben dann in nationales Recht umsetzen, nach fünf Jahren prüft die ILO den Stand der Dinge und gibt gegebenenfalls Hinweise, wo die Länder nachbessern sollten.

»Auf der EU-Ebene hapert es noch«, sagt die Forscherin und erklärt: Die ILO-Übereinkunft berührt Bereiche, für die die EU zuständig ist. Sie muss zunächst ihre Mitgliedsstaaten ermächtigen, die Konvention zu ratifizieren. Diese Erlaubnis blockierten bislang Bulgarien, Ungarn und die Slowakei. »Die EU-Kommission sucht derzeit eine Lösung«, so Hertwig.

Die deutsche Bundesregierung hatte sich bereits 2019 für das Projekt ausgesprochen: »Deutschland wird eine schnelle Ratifizierung des Übereinkommens in Angriff nehmen«, erklärte damals Arbeitsminister Hubertus Heil. Abzuwarten bleibt, ob das Vorhaben noch vor der Bundestagswahl vom Parlament beschlossen wird.

Um Beschäftigte zu schützen, fordert die Konvention von den Unterzeichnerstaaten ein gesetzliches Verbot von Gewalt und Belästigung. Um dies durchzusetzen, schlägt die ILO unter anderem Sanktionen vor. Beschäftigte sollen zudem das Recht haben, sich »von einer Arbeitssituation zu entfernen«, wenn sie fürchten, »dass diese Situation aufgrund von Gewalt und Belästigung eine unmittelbare und ernste Gefahr für ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihre Sicherheit darstellt«. Für Opfer soll es sichere Meldeverfahren geben. Auch wenn erst fünf Länder die Konvention ratifiziert haben, sei es ein großer Erfolg, dass es nun globale Standards gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz gebe, betont Hertwig. Der Ratifizierungsprozess ziehe sich häufig relativ lange hin, diesmal verzögere sich die Umsetzung womöglich auch wegen der Corona-Pandemie.

Umso wichtiger sei es, dass die Zivilgesellschaft aktiv bleibe, sagt Hertwig und verweist auf die Gewerkschaftskampagne unter dem Hashtag #ratifynow, die in den vergangenen Monaten für eine Umsetzung der Anti-Gewalt-Standards getrommelt hat.

Im Übrigen müssten kein Unternehmen und kein Staat warten, bis die Konvention unterzeichnet sei. Jeder Betrieb, jede öffentliche Einrichtung und jedes Land könne die Bestimmungen unabhängig davon umsetzen.

Geschrieben von:

Eva Roth

Journalistin

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