Wirtschaft
anders denken.

Im Kraftfeld: zu Philip Manows »Politische Ökonomie des Populismus«

06.03.2019
Ausriss vom Cover des Reports

Philip Manows »Politische Ökonomie des Populismus« zeigt die Schwierigkeiten, vor denen eine Politik steht, die ein wirklich anderes Europa anstrebt. Man kann das Buch als »große Gesellschaftskritik« lesen – und als große Hausaufgabe. Ein Text aus der gedruckten Februar-Ausgabe 

»Politik ist eine Intensität«, hat Philip Manow einmal in einem schönen Buch über »Applausminuten, Föhnfrisuren und Zehnpunktepläne« geschrieben. »Alles kann in dieses Kraftfeld hineingezogen werden.« 

Etwas Ähnliches scheint derzeit mit Manows neuem Werk über Europa zu geschehen. Seine »Politische Ökonomie des Populismus« hat beachtliches mediales Echo gefunden, nun aber beginnt das Kraftfeld zu wirken und es zieht rezipierend und verdichtend das Buch mal hierhin, mal dorthin. 

Dabei werden zwei Weisen der Lektüre sichtbar: Manow wird erstens als wissenschaftlicher Beleg gegen »kulturalistische Deutungen« gelobt, die »allzu gut geeignet« seien, »moralisch überformt zu werden« und in denen »sich letztlich nur der Abscheu der Gebildeten gegenüber den vulgären Ausdrucksformen dieses Protests« bekunde. Manow wird hier zum Kronzeugen für einer Kritik an der Kritik des »Populismus«. 

Die lebendige Rhetorik des in Bremen lehrenden Politikwissenschaftlers, wenn er die »hitzige Debatte« über den Populismus schildert, trägt zu einer solchen Indienstnahme freilich auch ein Stück bei. Etwa wenn Manow seinen Eindruck schildert, in der Diskussion über Trumpwähler, AfD-Anhänger oder Brexit-Befüworter habe er den Eindruck, »hier gäben vornehmlich Repräsentanten der Oberschicht zu Protokoll, wie sehr sie mittlerweile von der Unterschicht angewidert sind«. Das passt zu einem gerade unter Linken gern aufgegriffenen Hinweis, man habe irgendwie die Arbeiterklasse vergessen und sich über sie erhoben. Allein durch Wiederholung wird das auch nicht richtiger.

Gegen die vereinfachenden Raster

Eine andere Rezeption des Manow-Buches betont daran den politisch-ökonomischen Blick. »Wer über Populismus reden will, aber nicht über Kapitalismus«, so wird dies eingangs des roten Suhrkamp-Bändchens zusammengefasst, werde »nur bei Identitätspolitik« landen und »dann unweigerlich selbst Partei im Streit«. 

Ähnliches könnte man auch über viele wissenschaftliche Beiträge zur Erklärung des aktuellen Rechtsrucks sagen, die mit neuen, ihrer Einfachheit wegen populären Spaltungslinien operieren – zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung, zwischen »Kommunitaristen« und »Kosmopoliten«. Auch hier zeigt sich die Rezeption oft eher als Teil der Streitkonstellation denn als weitergehender Beitrag zur Erklärung der Wirklichkeit, die dann auch dem Streit neue Grundlagen verschafft.

Genau das aber ist der Beitrag Manows, könnte es sein: eine Debatte auf ein Fundament zu stellen, das nicht aus ein paar schlecht gemachten Umfragen unter AfD-Wählern besteht, sondern tiefer blickt, die regionalen Besonderheiten der politischen Ökonomie zur Kenntnis nimmt und daraus ein Modell formt, von dem aus man dann schließlich auch auf die progressiv gerichtete Veränderung der analysierten Zustände kommen kann.

Manows »Politische Ökonomie« läuft kurz gesagt darauf hinaus: »Populismus« zeigt sich in Europa in der wachsenden Zustimmung für Parteien, zu denen er linke Formationen wie Syriza oder Podemos genauso rechnet wie rechtsradikale, etwa die AfD. Diese Entwicklungen analysiert Manow als abhängig von der weltwirtschaftlichen Einbindung der Länder und der Weise, mit der die dortigen politischen Systeme auf die Herausforderungen der Globalisierung reagieren. 

Im Süden Europas läuft die Sache anders

Da stärker auf Export ausgerichtete Volkswirtschaften im Norden Europas die Zustimmung ihrer Bevölkerungen zu freien Märkten mit relativ starken Sozialsystemen flankieren können, sehen dort Teile der Wählerschaften nicht in offenen Grenzen für den Güter- und Kapitalverkehr das Problem, sondern in offenen Grenzen für Migranten, da diese in Sozialsysteme einwanderten, welche in den vergangenen Jahrzehnten stark unter Druck geraten sind. 

Im Süden Europas läuft die Sache laut Manow anders: Dort sind die Volkswirtschaften viel stärker auf Binnennachfrage ausgerichtet, Sozialsysteme haben eine stark klientelistische Schlagseite, das heißt, mit Wohlfahrtsleistungen haben ohnehin nur schon begünstigte Gruppen zu rechnen, sogenannte »Arbeitsmarkt-Insider«. Das führe dazu, dass Migranten weniger als Konkurrenten im Sozialsystem wahrgenommen werden, auf dem Arbeitsmarkt werden sie in einem sehr prekären, oft inoffiziellen Bereich »absorbiert« . Zudem wirkte hier die Finanzkrise noch verschärfend, weshalb sich »Populismus« stärker gegen die Wirtschaftsordnung richtet. 

Manow unterscheidet zudem eine Ost/West-Dimension, also zwischen »den osteuropäischen Staaten auf der einen Seite und den angelsächsischen auf der anderen, die keine großzügigen Wohlfahrtsstaaten vorhalten, einmal weil sie ökonomisch nicht können (Osteuropa), einmal weil sie politisch nicht wollen (angelsächsische Länder)«. Hier spielen sich die Konflikte auch eher auf dem Feld des Arbeitsmarkts ab – aber anders als im Süden.

Rätselhaft bleibende Verschiedenheit

Manow knüpft mit seinem Schema an eine Erklärung an, die der Ökonom Dani Rodrik über zwei Spielarten des Populismus vorgeschlagen hat, und bei der Europa generell dem Rechtspopulismus, Lateinamerika hingegen dem Linkspopulismus zugeschlagen wurde. Die parteipolitische Geografie Europas gebe aber für Rodriks Einschätzung nicht allzu viel her, Manow versucht also, »der bei ihm rätselhaft bleibenden innereuropäischen Verschiedenheit Rechnung zu tragen«. 

Man könnte nun über Details des Modells von Manow diskutieren, darüber, dass er Formationen wie Syriza und Podemos einem »Linkspopulismus« zuschlägt. Oder darüber, dass die Kartografie seiner Populismen im Falle Frankreichs wackelt, wo seinen Begriffen gemäß Links- wie Rechtspopulismus stark sind (Mélenchons und Le Pens Bewegungen). Manow spricht hier von einem Grenzfall zwischen dem kontinentalen und dem südeuropäischen Modell. Man könnte zudem weitere aktuelle Entwicklungen zu Rate ziehen, etwa den Erfolg der rechtsradikalen Vox-Partei in Katalonien, die ebenfalls aus Manows Raster zu fallen scheint. 

Zentraler Platz der politischen Ökonomie

Oder man greift – bei aller Skepsis etwa an seinem Populismus-Begriff – die Denkungsweise dankbar auf, weil sie der politischen Ökonomie einen zentralen Platz einräumt, der über das »Achtung, Kapitalismus!« hinausgeht und »Kapitalismen« unterscheidet. Und weil sie zwischen empirisch feststellbaren, nach Besonderheiten differenzierten Tatsachen und den politischen Theorien über diese Wirklichkeiten eine Brücke schlägt, die sonst oft fehlt. Ohne diese Brücke aber geht es von hier aus politisch nicht weiter. 

Liest man Manows »Politische Ökonomie« als »große Gesellschaftskritik«, und nicht nur als Verweisfutter für den aktuellen politischen Geländekampf, könnte recht bald die Frage auftauchen, wie unter solchen asymmetrischen ökonomischen, aber politisch miteinander verknüpften Bedingungen ein alternativer Kurs eingeschlagen werden kann. 

Anders formuliert: Mit Manow im Kopf wird die Debatte über »ein anderes Europa« sicher nicht dümmer. Im Gegenteil: Wo mitunter der etwas unterkomplexe Eindruck vermittelt wird, man müsse nur oft genug die Zauberformel »Europa« sagen und dies mit dem Appell ergänzen, »die EU braucht Reformen«, liegen in Wahrheit Herausforderungen, die nur hochkomplex beantwortet werden können. Und dafür empfiehlt sich Manows Vorgehensweise: immer weiter differenzieren.

Historische Spezifika – und ihre Folgen

Wie, das zeigt ein aktueller Aufsatz von Manow in der Zeitschrift »Mittelweg 36«: Hier werden eine »südeuropäische Politische Ökonomie« von der kontinentalen, der skandinavischen und der angelsächsischen Variante abgegrenzt. Zudem versucht Manow, die jeweiligen Wohlfahrtssysteme und ihre Entstehung nachzuzeichnen – es geht dabei um historische Spezifika wie die konfessionelle Entwicklung, aber auch um Besonderheiten der jeweiligen Parteienlandschaft und der Geschichte der politischen Linken, die sich wiederum unterschiedlich auf sozialpolitische, lohnpolitische, industriepolitische (Nicht-)Arrangements auswirkt.

All das hat Folgen. Manow erinnert daran, dass das gemeinsame EU-Dach – also die ökonomische, geldpolitische und institutionelle Integration – die genannten Unterschiede hat »stärker hervortreten lassen«. Die Krise ab 2008 und die vor allem von Berlin durchgesetzt Brüsseler Krisenpolitik haben die Differenzen noch einmal verschärft. 

Wer eine Alternative nicht im Rückzug aufs Nationale sehen möchte, wer darauf aus ist, die Räumlichkeit des Demokratischen so weiterzuentwickeln, dass sie der Räumlichkeit des Ökonomischen entspricht und, das ist zu betonen, auch wirksam das gesellschaftliche Interesse in einer die privaten Interessen bevorteilenden Aneignungsordnung zur Geltung bringen möchte, bekommt hier die richtigen Denksportaufgaben.

Philip Manow Die Politische Ökonomie des Populismus Suhrkamp-Verlag, Berlin 2018. 160 Seiten, 16 Euro.

Philip Manow Die Politische Ökonomie Südeuropas Ein Entwurf, in: Mittelweg 36, 5/2018.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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