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Immer in Bewegung bleiben

26.04.2017
Foto: Marcel André Briefs /flickr CC NC-ND 2.0 Immer in Bewegung bleiben

Materie in Bewegung zu versetzen, erfordert Energie. Interessant also, dass in Zeiten, in denen viel darüber gesprochen wird, Energie zu sparen, Mobilität jedoch kaum problematisiert wird. Dieser Widerspruch zeigt sich in unseren Mobilitätsmustern, und er spiegelt sich im politischen Umgang mit dem Thema. Mobilität ist gewollt, der Energieverbrauch und die damit verbundenen Umweltkosten erscheinen höchstens als Nebenwiderspruch.

Mobilität in Form von motorisiertem Individualverkehr (MIV) ist die Basis eines mächtigen Wirtschaftszweigs in Deutschland. Die Automobilbranche gilt hierzulande als umsatzstärkste Branche und liegt in ihrer Beschäftigungswirkung auf Platz sieben im Branchenvergleich. Damit nicht genug: Tourismus und Logistik nehmen im Ranking der Arbeitsplätze Platz zwei und drei ein. Menschen und Güter durch den Raum zu bewegen, ist eine wesentliche Säule unserer Volkswirtschaft, wie wir sie kennen. Es sind also wirkmächtigere Kräfte als unsere Bequemlichkeit, die den Status quo in Sachen Verkehr aufrechterhalten. Und es steht mehr auf dem Spiel. Verkehr ist laut Umweltbundesamt nach der Energiewirtschaft der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen. Der Transport von Gütern bringt uns so schöne Sachen wie Apfelsinen und Cashewnüsse. Wenn allerdings Arbeitskosten höher sind als Transportkosten, kommt noch viel mehr Transport dazu. Halbzeuge werden dorthin gefahren, wo sie am kostensparendsten weiterverarbeitet, Ernten da hingebracht, wo sie zu Billiglöhnen konfektioniert werden. Im Rahmen von Klimabildung wird heute bereits in der Grundschule vermittelt, dass die Bestandteile eines Erdbeerjoghurts, bis er bei uns auf dem Tisch steht, fast 10.000 Kilometer zurückgelegt haben. Bloß was soll ein Kind mit der Information anfangen?

Sich selbst auf den Weg machen, zusammen mit den vielen anderen Leuten. Das jährlich erhobene Deutsche Mobilitätspanel zeigt, dass 95 Prozent der Menschen unter der Woche täglich unterwegs sind. 55 Prozent der Wege werden per motorisiertem Individualverkehr zurückgelegt, als Fahrerin oder Beifahrer. Bezogen auf die Entfernung sind es sogar 73 Prozent, die mittels MIV bewältigt werden. Dafür braucht es eine Menge Autos!

In Wolfsburg arbeiten viele Leute daran, Autos herzustellen. Allerdings wollen sie nicht unbedingt in Wolfsburg leben. So trifft man im ICE Menschen, die wochentags zwischen Berlin und Wolfsburg pendeln. Das sind 370 Kilometer – an jedem Arbeitstag! Arbeit wirkt immer stärker als Mobilitätstreiber. Menschen halten in einem deregulierten Arbeitsmarkt vorsichtshalber an ihren Stellen fest, auch bei einem Wohnortwechsel. Oder sie haben Wohneigentum und nehmen bei einem Jobwechsel lieber große Entfernungen in Kauf, als umzuziehen.

Auch am Wochenende sitzen wir nicht etwa herum. Mehr als die Dinge, mit denen wir uns umgeben, sind es heute unsere Erlebnisse, die Gesprächsstoff bieten, unsere Selbstdarstellung und unser Selbstbild prägen. Die Umgebung zu wechseln, bietet zudem einen Weg, sich abzulenken oder zu entziehen. Reisen ist an sich eine schöne Sache. Begegnungen können tolerante Einstellungen fördern. Problematisch an verbreiteten Formen des Reisens ist jedoch der enorm hohe Verbrauch an fossiler Energie. Reisen ist heute vergleichsweise anstrengungsfrei, die Kosten sind weitgehend externalisiert. Grenzen unserer Reisetätigkeit liegen also allein im Zeitbudget. Zeitmangel begrenzt aber nicht, sondern beschleunigt das Reisen: Energieintensivere und damit schnellere Transportmittel werden bevorzugt – das Flugzeug sticht den Zug aus und verdrängt den Nachtzug.

Bei kurzen Strecken haben Autos die Fortbewegung aus eigener Kraft verdrängt. Wie in vielen Bereichen werden Menschen, die sich für eine ökologisch nachhaltigere Fortbewegung entscheiden, benachteiligt: Städtische Verkehrswege sind auf Autos zugeschnitten, Lärm, Gestank und Gefährdungen machen Radfahren zu einem teils gefährlichen Abenteuer. Das tragische Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit Hilfe eines Lkw, der zur tödlichen Waffe wurde, wirft ein neues Licht auf die den Grad der Erschließung von Städten für motorisierte Fahrzeuge. Betonpoller sind keine Lösung für vielschichtige Konflikte und komplexe Interessen. Aber sie können vielleicht eine vermeintliche Selbstverständlichkeit in Frage stellen: Dass uns der motorisierte Verkehr bis in den letzten Winkel folgen kann.

Dieser Beitrag erschien in der Februarausgabe 2017.

Geschrieben von:

Corinna Vosse

Wissenschaftlerin

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