Wirtschaft
anders denken.

Immer mehr Wohnungslose in Deutschland – der OXI-Überblick

14.11.2017
Doris Antony, Lizenz: CC BY-SA 3.0

In Deutschland gibt es immer mehr Wohnungslose. Experten machen dafür verfehlte Wohnungspolitik und unzureichende Armutsbekämpfung verantwortlich. Und das Risiko nimmt weiter zu: In Großstädten liegt für viele Menschen die Mietbelastung gefährlich hoch.

Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren im vergangenen Jahr bundesweit rund 860.000 Menschen wohnungslos – ein Anstieg um 150 Prozent seit 2014. Rund 52.000 Menschen leben laut der Bundesarbeitsgemeinschaft »ohne jede Unterkunft auf der Straße« – ihr Anteil hat sich seit 2014 um rund 33 Prozent erhöht. Ein großer Teil der Wohnungslosen ist alleinstehend (290.000), es sind rund 32.000 Kinder und minderjährige Jugendliche darunter; »der Frauenanteil liegt bei 27 Prozent (100.000) und ist seit 2011 um 3 Prozent gestiegen«. Ein großer Teil von Wohnungslosen sind EU-Bürger, die Bundesarbeitsgemeinschaft schätzt ihre Zahl auf rund 50.000 Menschen. »Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße.«

»Die wesentlichen Ursachen für Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit liegen in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit der unzureichenden Armutsbekämpfung«, so Thomas Specht von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

Als »wohnungslos« gelten in dieser Statistik Menschen, die »nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum« verfügen, also Obdachlose genauso wie Menschen, die sich »in Heimen, Anstalten, Notübernachtungen, Asylen, Frauenhäusern aufhalten, weil keine Wohnung zur Verfügung steht«, als Selbstzahler in Billigpensionen leben oder »bei Verwandten, Freunden und Bekannten vorübergehend unterkommen«.

Viele wohnungslose Geflüchtete

Auch wohnungslose Geflüchtete werden seit 2016 in der Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe berücksichtigt. Deren Zahl ist sprunghaft gestiegen, ihre Zahl wird auf 440.000 Menschen geschätzt. Sie würden »im Regelfall weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften geduldet«, stellten aber inzwischen rund die Hälfte aller Wohnungslosen dar. Aber »auch ohne Berücksichtigung der Wohnungslosigkeit von Flüchtlingen müssen wir leider davon ausgehen, dass der Anstieg der Wohnungslosenzahlen zwischen 2015 und 2016 unseren früheren Prognosen entsprochen hat. Die Zuwanderung hat die Gesamtsituation dramatisch verschärft, ist aber keinesfalls alleinige Ursache der neuen Wohnungsnot«, wird Thomas Specht von der Bundesarbeitsgemeinschaft zitiert. Detaillierte Zahlen zu den wohnungslosen Flüchtlingen liegen nicht vor.

»Da nachhaltige und vor allem ausreichende Maßnahmen zur Verbesserung der wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen und zur Wohnungsversorgung aller Wohnungslosen, inklusive der Flüchtlinge ohne Wohnungen, in den Vorjahren nicht eingeleitet worden sind, wird es zu einem weiteren Anstieg der Zahl der wohnungslosen Menschen um 40 Prozent auf knapp 1,2 Millionen bis zum Jahr 2018 kommen«, warnt Thomas Specht von der Bundesarbeitsgemeinschaft.

Für viele Städter wächst die Mietbelastung

Schaut man sich aktuelle Zahlen der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung an, wird diese Warnung untermauert. Die hatte unlängst eine Studie der Humboldt-Universität gefördert, aus der hervorgeht, dass rund 40 Prozent der Haushalte in den bundesdeutschen Großstädten mehr als 30 Prozent ihres Einkommens ausgeben müssen, um ihre Miete zu bezahlen: insgesamt rund 5,6 Millionen Haushalte, in denen etwa 8,6 Millionen Menschen leben.

»Bei Sozialwissenschaftlern wie Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens als problematisch, weil dann nur noch wenig Geld zum Leben übrig bleibt, insbesondere bei Menschen mit niedrigem Einkommen«, heißt es. Etwa 1,3 Millionen Haushalte haben nach Abzug der Bruttokaltmiete ein Resteinkommen, das unterhalb der Hartz-IV-Regelsätze liegt. »Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich ihre Wohnung dauerhaft leisten können«, so die Böckler-Stiftung. Bis zur Wohnungslosigkeit ist es da nur noch ein kurzer Weg.

Wie reagieren Sozialverbände?

Beim Deutschen Mieterbund sieht man die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe als »Alarmzeichen, die ein Weckruf für die Politik sein müssen. Sie muss die Wohnungsnöte in unserem Land endlich aufgreifen und lösen«, so Bundesdirektor Lukas Siebenkotten. »Wohnungsmangel und ständig steigende Mieten sind entscheidende Faktoren für Wohnungslosigkeit und Wohnungsarmut. Der Deutsche Mieterbund fordert deshalb den jährlichen Neubau von 400.000 Wohnungen, davon mindestens 200.000 Mietwohnungen und davon mindestens 80.000 Sozialwohnungen.«

Nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes unterstreichen die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft »den dringenden Handlungsbedarf am Wohnungsmarkt. Neben der schnellstmöglichen Schaffung preiswerten Wohnraums und Maßnahmen zur Prävention von Wohnungsverlust fordert der Paritätische eine grundlegende Reform des Wohnungsmarktes«. Dabei sei »die schnellstmögliche Schaffung preiswerten Wohnraums« das A und O, »aber Bauen reicht dafür sicher nicht aus. Der Staat muss auch Belegrechte sichern, Wohnraum zurück kaufen und konsequent vorgehen gegen Leerstände, die nur Spekulationszwecken dienen«, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.

Der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland erklärten, die Zahlen »belegen einen dringenden Handlungsbedarf«. Vor allem in Städten und Ballungszentren, zunehmend aber auch im ländlichen Raum, fehle angemessener und bezahlbarer Wohnraum. »In besonderer Weise trifft dies Menschen in prekären Lebenslagen, die verstärkt vom Verlust ihrer Wohnung bedroht sind.« Daher sei »ein koordiniertes Vorgehen der politisch Verantwortlichen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene« nötig. Vordringlich sei, »dass die angemessene Erstattung der Kosten der Unterkunft und Heizung für Menschen in prekären Einkommensverhältnissen verlässlich gewährleistet wird.«

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag