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Immobilie besitzen, ohne Profitinteresse

25.05.2017
BewohnerInnen stehen vor ihrem Wohnhaus, über der Eingangstür ein TransparentFoto: Seume14BewohnerInnen der Seumestraße in Berlin.

Das Mietshäuser Syndikat unterstützt engagierte Mieterinnen und Mieter, die ihren Wohnraum dauerhaft vor Spekulation schützen wollen. Nicht nur durch Kredite, sondern auch mit Beratung und Know-How.

Wohnen müssen alle, aber Wohnungseigentum können sich nur wenige leisten. Aus diesem alten Dilemma entstehen besonders in Großstädten in immer neuen Varianten Konflikte zwischen Dach überm Kopf und Geldanlage, Zuhause und Betongold, oder in Karl Marx‘ klaren Begriffen: Gebrauchswert und Tauschwert. Der Gebrauchswert zieht dabei regelmäßig den Kürzeren, was auch daran deutlich wird, dass inzwischen 890.000 Mietwohnungen im Besitz von börsennotierten Aktiengesellschaften sind – allein in Berlin gehören ihnen zwölf Prozent des Bestandes. Gegen deren Profitstreben erweisen sich Mieterschutzgesetze als ähnlich machtlos wie die Eigentumsverpflichtung im Grundgesetz oder politische Absichtserklärungen, dass Wohnen keine Ware sein dürfe. Wer mit diesem Anspruch ernst machen will, muss Häuser entprivatisieren – so wie es das Mietshäuser Syndikat seit den späten 1980er-Jahren mit inzwischen 123 Immobilien in ganz Deutschland getan hat. Es ist ein Zusammenschluss selbstverwalteter Wohnprojekte, Beratungs- und Wächterinstanz in einem – oder wie es die Stiftung »Futur Zwei« nennt: »ein Über-Ich für Hausprojekte«. Seine Leitlinie lautet: Soviel Selbstverwaltung wie möglich, und gleichzeitig allen Profitinteressen einen Riegel vorschieben. Also alle Macht dem Gebrauchswert, nieder mit dem Tauschwert.

Ein Über-Ich für Hausprojekte

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Wie funktioniert es?

Nötig sind erstens Menschen, die gemeinsam wohnen wollen, ist zweitens ein Haus, in dem sie das theoretisch tun können und drittens Geld, um dieses Haus zu erwerben. Die Gruppe bildet einen Hausverein, in dem alle gleich viel zu sagen haben. Dieser Verein wird dann wiederum eine von zwei Gesellschafterinnen in einer GmbH, um das Haus zu kaufen. Die andere Gesellschafterin ist das Syndikat. Beide zusammen müssen die GmbH-Gründungseinlage von 25.000 Euro aufbringen, der Hausverein übernimmt davon 52 Prozent, also 12.600 Euro, das Syndikat den Rest. Der GmbH-Vertrag regelt, dass alle Grundsatzentscheidungen einstimmig getroffen werden müssen. Dank der Sperrminorität des Syndikats hat keine Gruppe je die Chance, ihr Haus zu verkaufen und den Profit unter sich aufzuteilen — oder welche Verführungen der Immobilienmarkt sonst noch bereithalten mag, denen auch ehemalige Hausbesetzer oder idealistische Genossenschaften schon erlegen sind.

Doch zuerst muss die GmbH ihr Haus kaufen und meist auch sanieren und umbauen. Dafür braucht sie Geld, je nach Lage und Größe beispielsweise 70.000 Euro für ein sanierungsbedürftiges Häuschen im ländlichen Sachsen oder über drei Millionen für vier ehemalige französische Offiziersgebäude in Tübingen. Rund ein Drittel der Summe muss der Hausverein aufbringen, mit sogenannten Direktkrediten von Familie, Freunden oder anderen UnterstützerInnen. Dafür, dass sie ihr Geld für ein paar Jahre anlegen, bekommen diese Kreditgeber nicht mehr als einen Inflationsausgleich und die Gewissheit, ein Haus vor Renditeansprüchen zu bewahren. Sie gehen damit durchaus ein Risiko ein, denn rechtlich gesehen sind diese Gelder sogenannte Nachrangdarlehen. Das bedeutet, dass sie im Falle einer Insolvenz der Haus-GmbH ihr Kapital erst dann wiederbekommen, wenn zuvor alle Bankforderungen beglichen sind. Erst wenn diese Darlehen der Haus-GmbH als Eigenkapital zur Verfügung stehen, kann der Rest der Kaufsumme über Bankkredite finanziert werden. Ein mühsamer Prozess, der Jahre dauern kann, und an dem Gruppen auch immer wieder scheitern, wie sich an einer entsprechenden Liste auf der Syndikats-Webseite nachlesen lässt. Immerhin: Zur Insolvenz ist es in über zwanzig Jahren erst ein einziges Mal gekommen. Auch dieser Bankrott, verursacht durch ständig steigende Baukosten, ist auf der Webseite dokumentiert.

Hat eine Haus-GmbH die Finanzierungshürde erfolgreich genommen, ergeben die Kosten für Zins, Tilgung, Nebenkosten und Instandhaltungsrücklagen die durchschnittliche Mietbelastung der Gruppe. Prinzipiell sollte sie, so das Ziel des Syndikats, im unteren Bereich der örtlichen Vergleichsmiete liegen und so auch für Hartz-IV-Empfänger bezahlbar sein. Gerade in Ballungsräumen gelingt das aber nicht immer, wie beispielsweise das komplett barrierefreie Projekt Mosaik in Bremen mit einer durchschnittlichen Quadratmetermiete von neun Euro zeigt. Wie die monatliche Gesamtmiete auf die Gruppe umgelegt wird, ist wiederum ausschließlich Angelegenheit des Hausvereins. Er kann sie nach sozialen Kriterien staffeln oder an die Lage und Ausstattung der Wohnung koppeln.

Die Leitlinie des Syndikats: Alle Macht dem Gebrauchswert, nieder mit dem Tauschwert.

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Für das Syndikat ist entscheidend, dass zusätzlich zu den Kosten des Hauses auch ein Beitrag für den verbandseigenen Solidarfonds gezahlt wird, mit dem vorrangig die Kosten für die Gründung neuer Haus-GmbHs, aber auch für Öffentlichkeitsarbeit und die Verbandsinfrastruktur getragen werden. Dieser Solidaritätsbeitrag beträgt derzeit zu Beginn zehn Cent pro Quadratmeter Nutzfläche und steigt dann pro Jahr um ein halbes Prozent der im Vorjahr gezahlten Nettokaltmiete. Er ist auch dann noch fällig, wenn alle Kredite fürs Haus abbezahlt sind, und wird als Sondervermögen direkt von der Syndikats-GmbH verwaltet. Die wiederum kann nur auf Weisung der Mitgliederversammlung handeln, die dreimal im Jahr tagt, und die auch über die Aufnahme neuer Gruppen entscheidet.

Bei kurzfristigen finanziellen Engpässen helfen sich die Häuser gegenseitig; wenn also in einem Projekt unerwartet schnell etwas bezahlt werden muss, während anderswo vielleicht Geld vorhanden ist, das gerade nicht benötigt wird. Mindestens ebenso wichtig wie die gegenseitige finanzielle Unterstützung ist die Weitergabe von Erfahrungen, Beratung und der Austausch über Finanzierungs- und Renovierungsfragen oder über schwierige Gruppenprozesse. Neue interessierte Gruppen können sich in insgesamt sieben Regionen kostenfrei von erfahrenen Syndikalistinnen oder Syndikalisten beraten lassen. Sie alle arbeiten ehrenamtlich, genau wie die Frauen und Männer in der Syndikats-Zentrale in Freiburg – die einzige bezahlte Arbeitskraft erledigt die Buchhaltung.

Wer macht es?

Die derzeit kleinste Haus-GmbH im Syndikat ist eine fünfköpfige WG in Köln, die größte beherbergt rund 100 Menschen in vier ehemaligen Kasernengebäuden in Tübingen. Einige, wie das Projekt Pinke Panke im Berliner Wedding, leben mit Gemeinschaftsküchen und Bädern eher als Kommune, andere, wie das vor wenigen Monaten »entprivatisierte« Mietshaus im Berliner Friedrichshain, in ziemlich bürgerlichen Wohnungen. Doch alle, die sich auf die Prinzipien des Syndikats einlassen, müssen — gewissermaßen im Tausch für sichere bezahlbare Mieten — reichlich Zeit und Energie mitbringen. Nicht nur für die Finanzierung und später bei der Nebenkostenabrechnung, der Steuererklärung der Haus-GmbH, und bei allem anderen, was wir ansonsten gerne der Hausverwaltung überlassen. Sondern häufig auch schon lange vorher, um überhaupt ein geeignetes Gebäude zu finden. Bei Pinke Panke beispielsweise ein denkmalgeschütztes Haus aus dem 18. Jahrhundert, bei dem eine aufwendige Schwammsanierung notwendig war. »Der Vorteil war, dass dadurch kommerzielle Investoren abgeschreckt wurden«, erinnert sich Bewohner Martin Hegemeier. Der studierte Philosoph und Historiker ist wegen langwieriger Arbeiten an seinem Projekt gewissermaßen zum Experten für Altbausanierung geworden und engagiert sich inzwischen in der Regionalberatung des Syndikats. Ohne das eigene Know-how und kompetente ArchitektInnen aus anderen Syndikatsprojekten wäre diese aufwändige Sanierung nicht zu stemmen gewesen. Das Entscheidende seien aber letztlich die Gruppen selber, die sich diesen Herausforderungen stellen und immer wieder Lösungen finden müssen, die sie gemeinsam tragen können, resümiert Hegemeier aus seiner Beratungspraxis. »Deshalb ist die Funktionsfähigkeit der Gruppe das wichtigste Kriterium bei der Entscheidung, ob ein neues Projekt aufgenommen wird.«

Die derzeit kleinste Haus-GmbH im Syndikat ist eine fünfköpfige WG in Köln, die größte beherbergt rund 100 Menschen in vier ehemaligen Kasernengebäuden in Tübingen

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Es müssen nicht zwangsläufig eingeschworene PolitaktivistInnen oder langjährige Freundinnen und Freunde sein. Das haben kürzlich erst die Mieterinnen und Mieter der Seumestraße 14 in Berlin Friedrichshain bewiesen. »Unter dem Druck des bevorstehenden Verkaufs an einen Investor wurde aus gewöhnlich distanzierter Nachbarschaft eine Gruppe, in der einige schließlich sogar bereit waren, höhere Mieten zu akzeptieren, um die Kosten für den Kauf zu schultern«, berichtet Martin Hegemeier, der die Entprivatisierung dieses Hauses über Monate begleitet hat. Trotzdem: Ohne die Unterstützung der Schweizer Stiftung Maryon (siehe Hintergrund), die dank der guten Kontakte zum Syndikat fast die Hälfte des Kaufpreises von 2,6 Millionen beigesteuert hat, wäre es der Seume 14 niemals gelungen, innerhalb der vom Vorbesitzer gewährten Zweiwochenfrist ein tragfähiges Angebot zu machen. In der Regel, so die Syndikatserfahrung, können Gruppen nie so schnell reagieren wie kommerzielle Investoren. Deshalb sind Hilferufe in letzter Minute, bevor ein Haus verkauft werden soll, normalerweise zum Scheitern verurteilt. Doch bei der Begleitung der Gruppen erlebe man recht oft positive Überraschungen, resümiert Martin Hegemeier. »Neben der politischen Grundüberzeugung ist das der Hauptgrund, warum ich mich beim Syndikat engagiere.«

Hintergrund: Gemeinsam gegen Spekulanten

Die Idee zum Mietshäuser Syndikat stammt aus der Freiburger Hausbesetzerbewegung. Als Ende der 1980er-Jahre fast alle besetzten Häuser in der BRD geräumt waren, hatten sich viele der Besetzergruppen Wohn- und Nutzungsrechte erkämpft. Für ihren kollektiven Besitzanspruch mussten nun zivilrechtlich anerkannte Rechtsformen gefunden werden, die gleichzeitig dem politischen Anspruch genügten, dass Wohnen keine Ware sein dürfe und Häuser keine Renditeobjekte. Die Freiburger Hausprojekte entwickelten die Konstruktion »Mietshäuser Syndikat Verein & GmbH«. Sie soll Häuser dauerhaft dem renditeorientieren Immobilienmarkt entziehen und sie kollektiv organisierten MieterInnen zur Verfügung stellen. Inzwischen sind im Verein Mietshäuser Syndikat bundesweit 130 Projekte organisiert. Neben diesen Häusergruppen können auch Einzelpersonen Mitglied werden, sofern sie die Einlage von mindestens 250 Euro aufbringen. Ende 2015 hatte der Syndikatsverein laut Eigenaussage 632 Mitglieder mit Einlagen in Höhe von rund 470.000 EUR. Diese Einlagen sichern das Stammkapital und damit das Mitspracherecht des Syndikats an Grundsatzentscheidungen der jeweiligen Haus-GmbHs. In der öffentlichen Debatte um den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum stößt das Syndikatsmodell auf zunehmendes Interesse. Einige der jüngeren Projekte wurden finanziell von Stiftungen unterstützt, die sich für bezahlbaren und sicheren Wohnraum und gegen den spekulativen Umgang mit Grund und Boden einsetzen. Besonders engagiert in diesem Bereich sind die Schweizer Stiftung Edith Mayron sowie die Trias-Stiftung mit Sitz in Bochum.

Web-Info

www.syndikat.org

www.stiftung-trias.de

www.wandelstiften.de

Dieser Beitrag erschien in der Mai-Ausgabe 2017 von OXI.

Geschrieben von:

Sigrun Matthiesen

Journalistin

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