Wirtschaft
anders denken.

Integrationsgewerkschaft Metall?

03.11.2017
Foto: Linke Nordrhein Westfalen / Flickr, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Die IG Metall hat den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an ihren Mitgliedern untersuchen lassen – mit überraschendem Ergebnis.

Seitdem die rechte AfD (Alternative für Deutschland) bei der Bundestagswahl drittstärkste Partei wurde, läuft die Suche nach den Gründen für diesen Erfolg. Warum haben so viele Menschen ihr Kreuz ganz rechts gemacht, wer sind die WählerInnen der AfD? Zu den überraschenderen Ergebnissen der Wahlauswertungen gehört das gute Abschneiden der AfD bei Gewerkschaftsmitgliedern. Aus dieser Wählergruppe gaben 15 Prozent ihre Stimme den RechtspopulistInnen, deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung (12,6 Prozent).

Vermutungen, dies könne daran liegen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in den Gewerkschaften unterrepräsentiert seien, widerlegt nun eine repräsentative Studie, zumindest für die IG Metall. Vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) hat die IG Metall als erste deutsche Gewerkschaft den Anteil ihrer Mitglieder mit Migrationshintergrund untersuchen lassen.

Das Ergebnis überrascht: Nicht nur liegt der Anteil der Mitglieder mit Migrationshintergrund mit 21,7 Prozent ziemlich genau gleichauf mit dem Anteil an der Gesamtbevölkerung (22,5 Prozent). Die AutorInnen der Studie bezeichnen die IG Metall daher in Bezug auf Migration als »Spiegel der Gesellschaft«. Als Personen mit Migrationshintergrund definiert die Studie Menschen mit eigener Migrationserfahrung sowie in Deutschland geborene Nachkommen von Eingewanderten. Menschen mit Einwanderungsgeschichte bekleiden zudem überdurchschnittlich oft betriebliche und gewerkschaftliche Funktionen: 32 Prozent der Betriebsräte und sogar 37 Prozent der gewerkschaftlichen Vertrauensleute haben eine Migrationsgeschichte. Allerdings nimmt ihr Anteil bei hohen Ämtern ab, unter den Betriebsratsvorsitzenden haben nur elf Prozent einen Migrationshintergrund. Und im Vorstand der Gewerkschaft kommt derzeit niemand aus einer Einwandererfamilie.

32 Prozent der Betriebsräte und 37 Prozent der gewerkschaftlichen Vertrauensleute haben eine Migrationsgeschichte.

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Anders als oft angenommen, ist die IG Metall nicht hauptsächlich durch die Einwanderung in den 1960er Jahren geprägt, als ArbeiterInnen aus Südeuropa und vor allem der Türkei von der westdeutschen Industrie angeworben wurden. Zwar sind Menschen mit familiären Wurzeln in der Türkei mit 17,2 Prozent die größte Gruppe der »Metall-MigrantInnen«. Italienischstämmige Mitglieder bilden ebenfalls eine große Gruppe, sie landen mit einem Anteil von 8,4 Prozent auf Platz drei. Doch auch Menschen aus mittel- und osteuropäischen Staaten (Polen, Rumänien) sowie aus Russland und Kasachstan sind stark vertreten – was die Migrationsbewegungen seit Ende der 1980er Jahre widerspiegelt.

Gründe für die Teilhabebilanz der IG Metall

Serhat Karakayali, einer der AutorInnen der Studie, führt die positive Integrationsbilanz der IG Metall vor allem auf das Betriebsverfassungsgesetz und die Satzung der Gewerkschaft zurück. Beide gewährleisten, dass Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit betriebliche und gewerkschaftliche Ämter bekleiden können. Damit ermöglichten sie Teilhabe, so Karakayali. Auch habe die IG Metall schon 1961 ein Referat für ausländische ArbeitnehmerInnen eingerichtet, das im Gewerkschaftsvorstand angesiedelt war. Geleitet wurde es von Max Diamant, einem jüdischen deutschen Sozialisten, der vor den Nazis nach Mexiko geflohen und nach dem Krieg in die Bundesrepublik zurückgekehrt war. Sein Wissen um die Härten der Migration habe er in die IG Metall eingebracht, nicht immer zum Vergnügen seiner GewerkschaftskollegInnen, wie die Politologin Karen Schönwälder vom Max-Planck-Institut laut Tagesspiegel betont.

Tatsächlich war die Aufnahme der zunächst als »GastarbeiterInnen« angeworbenen TürkInnen und SüdeuropäerInnen durch die westdeutschen Gewerkschaften zunächst nicht unbedingt freundlich. Zwar sorgten die Gewerkschaften dafür, dass die angeworbenen ArbeiterInnen auch zahlende Mitglieder wurden: In diversen Großbetrieben der Metall- und Stahlindustrie gab es Deals zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat, dass »GastarbeiterInnen« bei der Einstellung neben dem Arbeitsvertrag gleich auch ein Mitgliedsantrag zur Gewerkschaft vorgelegt wurde. Wegen fehlender Sprachkenntnisse hätten, so berichten Zeitzeugen, nicht wenige den Bogen als Teil des Arbeitsvertrags interpretiert und einfach unterschrieben. (Auch dies könnte ein Grund für die gute »Integrationsbilanz« der IG Metall sein.)

Parallele Geschichten von Ausgrenzung und Inklusion

Bei der Interessenvertretung sah es oft anders aus. Die nichtdeutschen ArbeiterInnen wurden in der Regel auf den härtesten und am schlechtesten bezahlten Arbeitplätzen im Unternehmen eingesetzt, ihre Interessen zunächst nur mangelhaft vertreten. Anfang der 1970er Jahre kam es deshalb in der westdeutschen Metallindustrie und einigen anderen Branchen zu einer ganzen Reihe wilder Streiks, mit denen vor allem ArbeitsmigrantInnen eine Verbesserung ihrer Situation forderten. In vielen Fällen solidarisierte sich die Gewerkschaft mit der Unternehmensleitung statt mit den »GastarbeiterInnen« und half, wie beim berühmten Kölner Fordstreik von 1973, die Arbeitskämpfe zu zerschlagen.

Dass Beschäftigte mit Migrationshintergrund oft auf den schlechteren Positionen innerhalb der Unternehmen arbeiten, also auch mehr Gründe für Protest haben, könnte eine weitere Erklärung für ihr überdurchschnittliches Engagement in betrieblichen und gewerkschaftlichen Ämtern sein. So fanden die AutorInnn der Studie heraus, dass im Ausland geborene IG Metall Mitglieder häufiger in der Produktion und unter prekären Bedingungen, etwa als LeiharbeiterInnen, arbeiten und auch häufiger überqualifiziert sind als Gewerkschafsmitglieder ohne Migrationsgeschichte. Letzteres liegt daran, dass im Ausland erworbene Qualifikationen oft nicht anerkannt werden – und an fortdauernder rassistischer Diskriminierung bei der Job- und Ausbildungsplatzsuche.

Trotz dieser konfliktreichen Geschichte ist die Integrationsbilanz der IG Metall besser als die vieler anderer Institutionen. Das ist dem Zusammenspiel aus inklusiven rechtlichen Formen (Wahlrecht und Beteiligungsmöglichkeiten) und dem Engagement der MigrantInnen zu verdanken. Eine Mehrheit der Mitglieder mit Migrationshintergrund bewertet die Vertretung ihrer Interessen durch die IG Metall heute als gut, auch das ist ein Ergebnis der Befragung.

Konsequenzen für Migrationspolitik

Die Erkenntnisse der IG-Metall-Studie sind für den politischen Umgang mit Migration daher insgesamt relevant. Denn sie zeigt: Ein zentraler Faktor für Teilhabe ist der Zugang zu Rechten. Ein Zusammenhang, auf den der Migrationsausschuss der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di schon seit längerem hinweist. Relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit forderte ver.di im Vorfeld dieser Bundestagswahl das Wahlrecht für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen. Nach wie vor sind etwa sieben Millionen Menschen ohne deutschen Pass, die oft seit Jahren in der Bundesrepublik leben und arbeiten, von Wahlen ausgeschlossen.

Bleibt die Frage: Warum haben nun trotz der positiven Teilhabebilanz so viele Gewerkschaftsmitglieder die AfD gewählt? Ganz einfach: Fast 82 Prozent der IG Metall Mitglieder sind Männer, in anderen Gewerkschaften sieht es ähnlich aus. Da die AfD bei männlichen Wählern überdurchschnittlich gut ankommt (bundesweit wählten 16 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen die AfD), dürften die Gewerkschaften also auch im Wahlverhalten ein Spiegel der Gesellschaft sein.

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