Investitionen: Die Wundertüte
Ökonomen und Politiker fordern »Investitionen«. Aber was ist das eigentlich? Staaten geben Geld anders aus als die Privatwirtschaft. Ein Beitrag aus dem nd.
Corona-Pandemie und Lockdowns haben die Geschäfte des privaten Sektors in Mitleidenschaft gezogen. Zwar gleicht die öffentliche Hand große Teile der Verluste aus, allerdings zum Preis massiv steigender Verschuldung. Diese Schulden, heißt es derzeit von Politikern und Ökonomen, seien letztlich kein Problem. Denn Deutschland könne leicht aus ihnen »herauswachsen«. Das Mittel hierzu seien staatliche Investitionen, die das Wirtschaftswachstum antreiben und damit die Schulden tragbar machen. Klingt einfach. Ist es aber nicht.
Im Zuge der Pandemie haben die deutschen Staatsschulden ein Rekordhoch erreicht. »Bedenklich« findet die Deutsche Bank, dass auch dieses Jahr »der Anteil der schuldenfinanzierten Ausgaben noch immer mehr als ein Drittel beträgt«, der Staat sei »nicht unbegrenzt handlungsfähig«.
Die einen fordern daher derzeit eine baldige Wiedereinsetzung der Schuldenbremse. Andere fordern eine Vermögensabgabe zur Tilgung der Schulden. Eine dritte Position, die an Zulauf gewinnt, gibt Entwarnung: Weder Bremse noch Abgabe seien nötig, denn Deutschland werde aus seinen Schulden schlicht herauswachsen – mit Investitionen. Die Bedingungen dafür seien derzeit »optimal«, schreiben Grünen-Chef Robert Habeck und DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann in der »FAZ«: »Wenn man Kredite zu null Zinsen aufnehmen kann, diese Kredite nutzt, um zu investieren, dadurch die Wirtschaft nach der Krise gedeiht und so Steuern eingenommen werden, schrumpfen die Schulden.«
Allerdings, so wenden die Ökonomen der Commerzbank ein, laufen die heute aufgenommenen Schulden über viele Jahre und werden dann am Laufzeitende durch die Aufnahme neuer Schulden verlängert. Und »niemand kann sich darauf verlassen, dass die Zinsen für immer niedrig bleiben«.
Damit die Rechnung aufgeht, müssen die schuldenfinanzierten Staatsausgaben daher schon das Wachstum spürbar anschieben. Doch das sieht Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel als problemlos an: »Öffentliche Investitionen auf Pump stärken die Entwicklung.« Solange die Wachstumsraten höher seien als der Zins, könne die Schuldenquote sogar sinken.
Alles hängt also an den Investitionen. Sie sollen das Wachstum bringen, das die Schulden rechtfertigt und Kämpfe um die Verteilung der Krisenkosten damit überflüssig macht. Dafür soll sogar die heilige Schuldenbremse ausgesetzt werden. Doch was sind »Investitionen«?
In der Privatwirtschaft bezeichnen sie eine Geldsumme, die ausgegeben wird und um einen Profit vermehrt zurückfließt: Aus 100 Euro Investition werden 120 Euro. Eine Regierung allerdings zielt nicht auf Profite, hier funktioniert das Konzept etwas anders. Der Ökonom Sebastian Dullien erklärt es am Fall einer neuen Autobahnbrücke: »Sie verkürzt die Fahrzeit, dadurch haben Unternehmen weniger Kosten für den Transport, es geht weniger Zeit verloren. Die Produktivität steigt und damit auch die Produktion bei gegebenem Arbeitskräfteeinsatz. Das Unternehmen macht höhere Gewinne oder kann höhere Löhne zahlen.« In der Folge steigen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Steuereinnahmen. Dieses zusätzliche BIP oder die zusätzlichen Steuereinnahmen gelten als gesamtwirtschaftliche oder fiskalische Erträge der Investition.
Auf dieser Basis fordern Habeck und Hoffmann nun, »die Weichen auf Klimaneutralität zu stellen, damit die Wirtschaft stark bleibt und gute Arbeitsplätze bietet«. Dafür seien große Investitionen erforderlich – in erneuerbare Energien, den Verkehr, den Umbau der Industrie und der Landwirtschaft, in Forschung und Innovation, in die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die Ökonomin Maja Göpel schließt sich an: »Ein Wirtschaftswunder 2.0 ist möglich. Die Politik muss es nur wollen.« Um eine reine Frage des Willens handelt es sich jedoch nicht. Denn ob die Kalkulation aufgeht, hängt an einer Maßzahl: dem so genannten Multiplikator. Er gibt an, wie viel Wachstum staatliche Ausgaben bewirken. Bei einem Multiplikator von 1,6, wie er derzeit für Staatsinvestitionen angenommen wird, würde ein Euro Ausgaben das BIP um 1,6 Euro steigen lassen.
Damit liegt als erstes die Frage auf dem Tisch: Handelt es sich bei den derzeit geforderten Ausgaben überhaupt im Investitionen oder um »Konsum auf Pump«, der laut den Ökonomen Jens Südekum und Moritz Schularick, »eine schlechte Idee« ist? Wenn DGB-Chef Hoffmann einen »Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge« fordert, dazu »Schulen, in denen das Lernen Spaß macht«, bezahlbaren Wohnraum und »Spitzenleistungen in Kliniken« – so ist durchaus umstritten, ob hier wachstumsdienliche Investitionen vorliegen. So schaffen gute Schulen zwar gebildete Menschen. Ob das aber zu den Bedürfnissen der Unternehmen passt, ist eine andere Frage.
Doch selbst bei Ausgaben für neue Verkehrswege – ein klassischer Fall staatlicher Investition – tut sich die Wissenschaft schwer damit auszurechnen, ob und wie viel Wachstum eine neue Brücke überhaupt bringt. Denn hier stehen Ökonomen vor dem so genannten »Identifikationsproblem«: Angenommen, es wird eine Brücke gebaut und die Wirtschaft wächst – woher weiß man, dass es die Brücke war, die das Wachstum bewirkte? Das ist selbst im Nachhinein nur mit vielen theoretischen Annahmen zu bewerkstelligen.
Noch unsicherer wird die Sache, wenn die Wirkung einer Brücke in der Zukunft berechnet werden soll. Das geht nur mit zusätzlichen Modellannahmen, wobei hier die Grenze zwischen Annahme und Vermutung fließend ist. Wenn der Ökonom Tom Krebs schreibt, »der für die Klimaneutralität so wichtige Ausbau der grünen Wasserstoffindustrie bietet eine Chance, durch ökologisch nachhaltiges Wachstum einen Wirtschaftsboom auszulösen«, so benennt er eben nur eine »Chance«. Diese Chance, so die Ökonomen weiter, könne man ergreifen, indem man die »richtigen« Projekte identifiziert. Aber welche sind die richtigen?
Ob ein Projekt zum Wachstumsmotor wird oder als »Investitionsruine« endet, das entscheidet sich letztlich in der privaten Wirtschaft. Die Regierung setzt mit ihren Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und Forschung lediglich die Voraussetzungen, die die Unternehmen nutzen und dadurch das Wachstum schaffen. Ihre Vertreter wissen um ihre Bedeutung – und melden daher Ansprüche an.
Die Bundesregierung dürfe der »Wirtschaft nicht über noch höhere Steuer- und Beitragsbelastungen die Luft zum Atmen nehmen«, fordert die Deutsche Bank. Laut einer Studie des Instituts ZEW im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen »verliert der Standort Deutschland im internationalen Vergleich deutlich an Attraktivität«. Als Unterstützung für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands fordert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger daher ein »Belastungsmoratorium« für die Unternehmen, unter anderem in Form einer Deckelung der Sozialbeiträge – und zwar per »Gesetz mit Verfassungsrang«, also durch eine Lohnkostenbremse im Grundgesetz. Den Ruf hört der neue CDU-Chef Armin Laschet und verspricht ein »Belastungsmoratorium«.
Das Wundermittel »Investitionen« hat also Haken. Als erstes die Bedingung, dass jede staatliche Ausgabe, jede Maßnahme zum Klima- oder Gesundheitsschutz sich davon abhängig machen muss, dass sie sich als Wachstumsmotor der Wirtschaft bewährt. Zweitens: Dass Investitionen »sozial gerecht gestaltet« werden, wie DGB-Chef Hoffmann fordert, dass sie einhergehen mit »guter Arbeit« und »Sicherheit für die Menschen«, das ist keineswegs sicher. Zwar fordert Hoffmann »Pflegeeinrichtungen, in denen gute Gehälter und ordentliche Arbeitsbedingungen eine Selbstverständlichkeit sind«. Derweil aber fordern die Arbeitgeber eine Sozialabgabenbremse.
Ob aus den Staatsausgaben »Zukunftsinvestitionen« werden, ist offen. Denn sie sind eine Spekulation auf künftiges Wachstum, das auch noch sozial-ökologisch, also mit Klimaschutz und Daseinsvorsorge, einhergehen soll. Derzeit wird versprochen, dass diese Spekulation aufgeht, womit Vermögensabgaben oder -steuern zur Finanzierung von Anti-Krisenmaßnahmen und sozial-ökologischem Umbau überflüssig seien: Keiner muss verzichten! Doch dadurch verschwinden die Interessengegensätze nicht, und der Kampf darum, wer welche Summen zu welchem Zweck ausgibt, wird das Wahljahr 2021 bestimmen.
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