Wirtschaft
anders denken.

»Dass wir es gut meinen, aber die Sache verschlimmern«: Italien, Europa und die Regierung Cottarelli

29.05.2018
Geobia, Lizenz: CC BY-SA 3.0Palazzo Chigi in Rom, Hauptsitz des Ministerratspräsidiums

Wie weiter in Italien? Erst einmal werden die Scherben des Wochenendes zusammengekehrt und bewertet: Was bedeutet der Schritt von Staatschef Sergio Mattarella, den früheren IWF-Direktor Carlo Cottarelli als Ministerpräsidenten zu installieren? Wie reagieren »die Märkte« und was sagt man in Europa? Vor allem: Wer profitiert davon und wer nicht?

Zunächst einmal ein paar Zahlen: An den Finanzmärkten erreichten zehnjährige italienische Staatsanleihen getrieben durch die politischen Wechselbäder mit 2,64 Prozent das höchste Niveau seit dreieinhalb Jahren. Der Riosikoaufschlag gegenüber Bundesanleihen weitete sich auf 2,3 Prozent. Der Leitindex der Börse in Mailand fiel um 2,1 Prozent.

Wen würde ein beschleunigter Krisenprozess in Italien unter anderem treffen – vor allem französische Banken. Wie die FAZ unter Berufung auf Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich berichtet, beliefen sich die Forderungen französischer Institute Ende 2017 auf 311 Milliarden US-Dollar, davon 63 Milliarden gegenüber dem italienischen Staat. Deutsche Banken seien mit 38,9 Milliarden US-Dollar drittwichtigster Kreditgeber für Rom, auf Platz zwei rangieren spanische Geldinstitute mit 45 Milliarden US-Dollar.

Die Frage, ob die rechtsradikale Lega oder die populistischen Fünf Sterne einen Ausstieg aus dem Euro und eine Revision der europäischen Verträge anstreben, wie es bisweilen behauptet wurde, wird in Italien kontrovers debattiert. Auch im Ausland war der blockierte Finanzminister Paolo Salvona damit in Verbindung gebracht worden. Die FAZ zitiert die Journalistin und Ex-Präsidentin des Sender RAI, Lucia Annunziata mit den Worten, »Lega und Fünf Sterne hatten einen Plan für die Regierung, den sie nie richtig im Wahlkampf transparent gemacht haben. Sie wollten aus dem Euro ausstiegen und haben das vorher nie gesagt.« Politiker der Lega wiesen das zurück – und erneuerten den Vorwurf, »Mattarella hat sich für die europäischen Märkte und Verträge entschieden statt für die Wünsche der Wähler.«

Das entsprach freilich auch den vorherrschenden Rufen aus dem Ausland, was in Italien sehr kritisch gesehen wurde, und was nun auch hierzulande zurückhaltend bilanziert wird. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und CDU-Politiker, mahnte in der »Rheinischen Post« zur Zurückhaltung des Auslandes angesichts der aktuellen Entwicklungen in Italien. »Im Moment ist die Gefahr, dass wir es gut meinen, aber die Sache verschlimmern, zu groß«, wird Röttgen zitiert. »Insbesondere Deutschland«, so die Vorabmeldung der Zeitung, solle sich »aus den aktuellen Entwicklungen in Italien so weit wie möglich heraushalten«.

Röttgen zeigt damit einerseits, dass in Berlin der Unmut über die Einmischung in die Regierungsbildung durchaus zur Kenntnis genommen wird. Es war nicht zuletzt das wirtschaftspolitische Vorfeld von Röttgens Partei, die gegen eine Regierung aus rechtsradikaler Lega und populistischen Fünf Sternen Front gemacht hatten. In Italien wurde unter anderem dies mit dem Vorwurf quittiert, hier würden zwei immerhin demokratisch gewählte Parteien aus europapolitischen und ökonomischen Gründen blockiert.

Auf german-foreign-policy.com heißt es dazu, »derzeit befindet sich die rassistische Lega im Umfragehoch, während die Fünf Sterne in der Wählergunst stagnieren. Als wahrscheinlichstes Szenario gelten derzeit vorgezogene Neuwahlen im Herbst«. Mit der Ernennung von Cottarelli werde »Italien bereits zum zweiten Mal unter die Aufsicht eines nicht demokratisch gewählten ›Experten‹ gestellt, dessen Aufgabe es ist, die von Berlin vorgegebene Wirtschaftspolitik zu exekutieren. Diesmal geschieht das allerdings sogar in direkter Zurückweisung einer frisch gewählten demokratischen Mehrheit«.

Über Cottarelli, der seinen Spitznamen »Mister Schere« dadurch gewann, dass er 2013 für die damalige italienische Regierung unter Enrico Letta als Kürzungskommissar wirkte, liest man in der »Süddeutschen«, er habe »den ambitionierten Plan« verfolgt, »mit seinen Kostenschnitten dem Land einen Sparbetrag von 34 Milliarden Euro zu bescheren. Am Ende schaffte er jedoch nur acht Milliarden«.

Wie wirkt sich das aus? Der linke Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi reagierte mit einer deutlichen Warnung: Es werde »nichts bringen«, Italien »solange zur Urne« zu schicken, »bis es passt«. Dies werde die rechte Lega stärken. Die »Methode Griechenland ist ausgereizt«, so De Masi in Erinnerung an das Vorgehen vor allem aus Berlin gegen die linksgeführte Regierung in Athen ab Januar 2015. Der Abgeordnete erklärte mit Blick auf die in Europa kursierenden Befürchtungen, Italien könne aus der Gemeinschaftswährung ausscheiden und damit die EU an den Rand eines Kollaps bringen, Neuwahlen würden nun »tatsächlich zu einer Volksabstimmung über den Euro. Ob das Brüssel und Berlin wollen?«

Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis kritisierte den Schritt Mattarellas als taktischen Fehler, der möglicherweise gravierende Auswirkungen haben könnte. Die Blockade der Regierungsbildung werde zu Neuwahlen führen und die Rechten noch weiter stärken. Varoufakis merkte auch an, dass Mattarella nicht eingegriffen habe, als die Führer der Lega forderten, Migranten einzusperren und auszuweisen.

In einem Interview mit dem »Standard« hatte er vor wenigen Tagen gesagt, »die gravierenden Fehler wurden schon vor Jahren gemacht, angefangen bei Mario Monti, der unter Druck der EU und der restlichen europäischen Institutionen gestanden ist«. Und weiter: »Die liberalen Eliten in Europa und Rom haben Italien eine harte Sparpolitik verordnet, die eine fatale Wirtschaftsdynamik ausgelöst hat, die das Land bis heute plagt. Wird der Giftcocktail der Austeritätspolitk einmal über ein Land ausgeschüttet, entkommt dem keiner mehr. Das lehrt die Geschichte.«

Und im »nd« kommentiert Nelli Tügel ganz ähnlich: Zwar dürften nun in Brüssel »viele aufgeatmet haben. In den vergangenen Wochen hatte sich dort Unruhe breitgemacht. Nicht, weil beinharte Rassisten mit einem Massenabschiebeprogramm in die Regierung drängten. Sondern, weil dieses Regierungsprogramm auch vorsah, die Stabilitätskriterien der EU zugunsten höherer Staatsausgaben zu umgehen. Darin, wie in Brüssel, Paris und Berlin die nun gescheiterte italienische Regierungsbildung verhandelt wurde, offenbarte sich das ganze Drama der real existierenden EU. Festung Europa? Kein Problem. Staatsausgaben, die Maastricht gefährden: Katastrophe! Geht das so weiter, wird die Erleichterung nicht lang anhalten. Denn dann werden die Rechten weiter wachsen.«

In der »Tageszeitung« gibt es ein Pro und Kontra zur Frage, ob Italiens Staatspräsident richtig gehandelt habe? Nein, meint Dominic Johnson und schreib unter anderem: »Dieser kalte Umsturz in Italien ist fundamental undemokratisch, Wasser auf die Mühlen all jener, die die EU für ein demokratiefeindliches Elitenprojekt halten. Er löst kein Problem, sondern verstetigt die Krise Italiens und bestätigt das Weltbild der Populisten quer durch die EU. Applaus, weil jetzt die rechtsextreme Lega von der Macht ferngehalten wird, ist fehl am Platz. Das Handeln des italienischen Präsidenten Mattarella entspringt jenem unseligen Geist, der zu Zeiten des Kalten Krieges im Fall eines Wahlsieges der Kommunisten in Italien einen Militärputsch nach Pinochet-Muster bevorzugte. Diese Zeiten sollten vorbei sein. Eine europäische Idee, die sich gegen den Wählerwillen durchsetzt, hat keine Zukunft.«

Auf makroskop.eu verweist Werner Vontobel auf den »Corriere della Sera«, der die wirtschaftspolitische Lage »auf den Punkt gebracht« habe: »In Italien tobt ein Kampf zweier Wachstumsmodelle. Das alte, seit rund 30 Jahren praktizierte Modell setzt auf Wachstum durch das Wohlgefallen der globalen Märkte. Um deren Investitionen anzulocken, hat Italien die Gewinnsteuern gesenkt, den Sozialstaat geschrumpft, die Rechte der Arbeitnehmer beschnitten und sogar auf eine eigene Währung verzichtet.« Das andere Modell setze »auf Wachstum durch eigene Nachfrage. Der Staat soll mehr investieren. Die Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe soll auf maximal 780 Euro erhöht werden. Das ist weniger als Deutschlands Hartz-IV plus Wohngeld. Auch ein nationales Zahlungsmittel soll wieder her – in Form von kurzfristigen Schuldscheinen (Banknoten) des Staates. Ob das andere Modell hinhaut, müsste man erst austesten. Klar ist, dass es den globalen Gläubigern Italiens schaden würde.« Bei den Neuwahlen werde »es deshalb erst recht um die Frage gehen, ob Italien weiterhin von seinen Gläubigern regiert wird«.  

In den Kommentaren anderer Zeitungen wird die auf Interessen basierende Einmischung aus Berlin, Brüssel, Paris weitgehend ausgeblendet. Oder, wie in der »Berliner Morgenpost«, als Einbildung abgetan: »Fünf Sterne und Lega bieten eine fatale Mischung aus Freibier-Mentalität und Sündenbock-Reflexen. Schuld an der italienischen Misere haben demnach Brüssel und die Pfennigfuchser aus Berlin.« Haben sie nicht mindestens auch einen Beitrag geleistet? Durch Krisenpolitik, durch Ausnutzung und Betonierung europäischer Ungleichgewichte, durch offenkundige Intervention?

Die FAZ kommentiert, »Stand heute muss man davon ausgehen, dass die abgeblitzten Koalitionäre einen Anti-Wahlkampf führen werden: gegen die EU, die Italien niederhalte, gegen das ›Establishment‹. Und dass sie Erfolg damit haben. Die Wahl würde zu einer Abstimmung über Italiens Platz in der EU. Das ist keine Aussicht, die zur Entspannung beiträgt.«

Die »Berliner Zeitung« schreibt, »man kann nur hoffen, dass gemäßigteren Wählern der Populisten die Augen geöffnet werden. Sonst droht Italiens Desaster nach einer kurzen Atempause noch größer zu werden. Ergebnis von Neuwahlen in wenigen Monaten könnte ein neues Patt sein oder ein Triumph des rechtsextremen Ausländerfeindes, Euro-Gegners und Demagogen Salvini, schon jetzt der beliebteste Politiker. Der Verdacht liegt nah, dass er die Regierungskrise bewusst provoziert hat, weil er hofft, dass dann keiner mehr an ihm vorbeikommt. Es sind düstere Aussichten für Italien und Europa.« Und in der »Morgenpost« liest man weiter: »Man darf sich keine Illusionen machen: Die neue italienische Übergangsregierung unter dem Wirtschaftsprofessor Carlo Cottarelli wird nicht lange halten. Im Herbst wird es Neuwahlen geben. Und bis dahin werden politische Krawallmacher den Ton angeben und das Land in eine Dauer-Kampagne stürzen.«

Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold mahnte derweil dazu, »jetzt ein Gelegenheitsfenster« zu nutzen, »um Italiens Abkapselung von Europa zu stoppen«. Man solle gemeinsam nach »Lösungen für die Probleme des Landes suchen. Die Bundesregierung sollte sich für Investitionen in Italien stark machen, um die Wirtschaft wiederzubeleben. Italien braucht Unterstützung für Investitionen und gleichzeitig die Bereitschaft zu weiteren Reformen. Die anderen EU-Länder müssen Italien bei der Migration entlasten. Nur wenn Italien nicht länger beim Thema Migration allein gelassen wird, kann im Land auch Akzeptanz für Europas Forderungen nach wirtschaftlichen und staatlichen Reformen gewonnen werden.«

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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