Wirtschaft
anders denken.

Mattarellas Veto, Contes Verzicht, Salvinis Kalkül: Italien vor Neuwahlen?

28.05.2018
DAVID ILIFF, Lizenz: CC BY-SA 2.5Colosseum in Rom

In Italien ist die Regierungsbildung vorerst gescheitert. Vor allem die Lega hat ein Interesse an Neuwahlen, der Streit mit dem Präsidenten um den künftigen Finanzministers sei provoziert, glauben Beobachter. Die Rechtsradikalen verweisen nun auch auf antiitalienische Stimmungsmache aus Europa.

In Italien ist die Bildung einer Regierung der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsradikalen Lega gescheitert. Der parteilose Jurist Giuseppe Conte gab die Bemühungen um die Bildung eines Kabinetts auf, zu der er von Staatspräsident Sergio Mattarella erst in der vergangenen Woche beauftragt worden war.

Was ist der Anlass für Contes Rückzieher?

Zur Begründung wird auf das Nein Mattarellas zu Nominierung Paolo Savonas für das Amt des Wirtschafts- und Finanzministers verwiesen, den die »Frankfurter Allgemeine« einen »Deutschland-Feind« nennt. Der Präsident hat ein verfassungsgemäßes Vetorecht bei der Besetzung von Schlüsselposten im Kabinett. Er wolle keinen Kandidaten akzeptieren, der einen Euro-Ausstieg Italiens ins Spiel bringe, so Mattarella.

An anderer Stelle hieß es, der Präsident habe sein Nein damit begründet, dass die Zusammensetzung der Regierung und ihr Programm »womöglich das Ausscheiden Italiens aus er Eurozone« provozieren würden. Er sei damit der Rolle des Garanten nachgekommen, in der er sich «keinem Diktat beugen« dürfe und das Wohl der italienischen Staatsfinanzen und Familien sichern müsse. Savona, so schreibt es die FAZ, habe am Wochenende seinen hohen Respekt für Mattarella geäußert und Bereitschaft zum Verzicht auf das Schlüsselressort im Kabinett signalisiert.

Was sagen Fünf Sterne und Lega?

In der FAZ heißt es zu den Vorgängen, Mattarallas Veto werde »als eine Art Pyrrhussieg des Präsidentenpalastes im Machtkampf mit den Parteiführern« der Regierung in spe gesehen. »In Rom hieß es am Sonntagabend, Mattarella habe sich mit seiner Haltung in eine politisch schwierige Position manövriert.« Die an der Regierungsbildung beteiligten Parteien haben sich nun unter anderem auf Mattarella eingeschossen. Von einem Amtsenthebungsverfahren ist die Rede.

Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio zürnte über Mattarella und die »Finanzlobby« und erklärte, »dies ist keine freie Demokratie«. Lega-Chef Matteo Salvini forderte am Sonntagabend umgehend Neuwahlen, meldet die FAZ. »Das Wort geht wieder an die Bürger«, wird Salvini dort zitiert. »Die Italiener dürften nicht länger ›Sklaven‹ sein, Italien sei keine Kolonie ›der Deutschen oder Franzosen‹.« Auf Twitter erklärte er: »Deutsche Zeitungen und Politiker beschimpfen uns als italienische Bettler, Nichtstuer, Steuerhinterzieher, Schnorrer und Undankbare. Und wir sollen einen Wirtschaftsminister auswählen, der ihnen passt? Nein danke!«

Was steckt noch dahinter?

Das ist aber nur eine Seite der Medaille. »Beobachter gehen aber davon aus, dass Salvini das Scheitern der Regierungsbildung gewollt heraufbeschworen habe«, schreibt die »Welt«. Das zielt auf die Veränderung der Stimmungslage in Italien seit den jüngsten Wahlen. »Sein Beharren auf die Figur des eurokritischen Finanzministers Savona sei nichts als eine Provokation gewesen. Salvini hat mit der Lega in den Monaten seit der Wahl in den Umfragen zugelegt.«

Und weiter heißt es: »Während die Fünf-Sterne-Bewegung bei den Wahlen mit über 32 Prozent fast doppelt so viele Stimmen holte wie die Lega, verschiebt sich das Verhältnis gerade wesentlich. Salvini dürfte nun selbst auf das Amt des Premiers zielen.« Bei den Wahlen Anfang März hatten die Fünf Sterne 32,7 Prozent erreicht, die rechtsradikale Lega hatte 17,4 Prozent bekommen. In jüngeren Umfragen aus dem Mai war die Lega bereits auf bis zu fünf Prozentpunkte an die Sterne herangekommen. Der sozialdemokratischen Partito Democratico und der konservativen Forza Italia würden bei Neuwahlen weitere Verluste bevorstehen.

Gibt es Neuwahlen?

Derzeit sieht es so aus, dass, wenn die Regierung »nicht spätestens Mitte der Woche – nach der fälligen Vertrauensabstimmung in beiden Parlamentskammern – mit der Arbeit beginnen könne«, Lega und Sterne Neuwahlen erzwingen werden. Die wären allerdings frühestens im Oktober möglich.

Mattarella hat für Montag den Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli zu Gesprächen einbestellt, der an der Spitze einer technokratischen Übergangsregierung rücken könnte. Das Regierungsbündnis in spe erklärte bereits, einer Technokratenregierung nicht zuzustimmen. »Da beide Parteien die Mehrheit in den Kammern haben, ist davon auszugehen, dass eine Übergangsregierung das Land lediglich zur Neuwahl führt«, so der Sender ntv.

Wie fallen die Reaktionen aus?

In den Diskussionen auf Twitter wird unter anderem die Frage aufgeworfen, ob Mattarellas Entscheidung nicht ein großer Fehler gewesen sei, auch deshalb, weil er den Resonanzboden einer populistischen Euro-Ablehnung und der Skepsis gegenüber den etablierten Institutionen zum Schwingen bringe. Alles laufe nun auf eine Stärkung von Lega und Fünf Sternen hinaus. In diese Richtung äußert sich zum Beispiel der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis.

Der Chefredakteur des TV-Senders »RaiNews«, Antonio Di Bella, wird in der »Welt« mit den Worten zitiert, es handele sich um »eine höchst gravierende Fraktur der Institutionen«. Die Parteien sprächen nicht nur von »Amtsenthebung sondern auch von einer Volksfront gegen Institutionen und Eliten, wie wir es schon in den USA mit Trump erlebt haben und weniger erfolgreich mit Le Pen in Frankreich und der AfD in Deutschland«.

Der Europakenner und Blogger Eric Bonse schrieb über die »deutsch-italienische Freundschaft«, in den 1960er Jahren »war ganz Deutschland in Italien verliebt. Nun machen wir Rom wieder Vorschriften. Das kommt nicht so gut an: ›Jemand (unter Druck von wem?) hat uns NEIN gesagt‹, twitterte Lega-Chef Salvini. ›Wir sind nicht die Sklaven der Deutschen (…)‹,  fügte er hinzu. Das riecht nach Ärger – dabei hat Finanzminister Scholz doch alles versucht, um Streit zu vermeiden. Noch am Freitag lobte Scholz in Brüssel die ›ausgestreckte Hand‹ von Premier Conte. Nun ist Conte futsch, und Deutschland soll an allem schuld sein!?«

In Deutschland reagierte der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Udo Bullmann, mit den Worten, die EU habe »Frontstaaten« wie Griechenland und Italien bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage alleingelassen und zu wenig in die Zukunft der jungen Generation dort investiert. Die EU trage somit eine Mitschuld am Wahlerfolg der Populisten und Rechtsradikalen.

Im »Handelsblatt« lobt man Mattarellas Entscheidung: »Genau richtig hat er reagiert in dem Politik-Chaos, das seit Wochen Italien erschüttert, die Börsen auf Talfahrt jagt und die Nervosität an den Finanzmärkten steigen lässt. Er hat alle Möglichkeiten seines Amtes und der Verfassung genutzt und sein Veto eingelegt gegen einen möglichen Wirtschaftsminister, der bekennender Euro-Skeptiker ist«, heißt es dort.

Foto: Photo by DAVID ILIFF /CC BY-SA 2.5

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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