Wirtschaft
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»Mit Nachdruck auf die richtige Bahn zu bringen«: Italien, die Krisenpolitik und altbekannte deutsche Melodien

26.05.2018
Geobia, Lizenz: CC BY-SA 3.0Palazzo Chigi in Rom, Hauptsitz des Ministerratspräsidiums

Angst vor einer neuen Eurokrise, verschärfte Rhetorik, deutsche Abfälligkeiten: Seit der Regierungsbildung in Italien spitzt sich der Konflikt um die Krisenpolitik, die europäischen Austeritätsregeln und den Umgang mit Staatsschulden wieder zu. Ein neuer OXI-Überblick zur Lage. 

Wer etwas über den in Deutschland vorherrschenden Ton in Sachen Italien wissen möchte, wird auf Spiegel online ziemlich ausreichend bedient: Dort befleißigte sich Jan Fleischhauer, eine Art Surrogat deutscher Abfälligkeiten gegenüber Südeuropa mit ökonomischer Borniertheit zu kombinieren. Die Ankündigungen der neuen Regierung werden als »aggressives Schnorren« bezeichnet, die Italiener als steuerhinterziehende Erpresser, die nun die Rückzahlung deutscher »Rettungsmilliarden« gefährden.

Italien immer noch in der Krise – und Europa vor der nächsten Krise? Ein OXI-Überblick vom 24. Mai

Die Melodie ist gut aus der Griechenlandkrise bekannt, vor allem seit dem Wahlsieg der linken SYRIZA wurde hierzulande seinerzeit auch gern gegenüber Athen aufgedreht. Da die neue Koalition in Rom aus Rechten und Populisten besteht, ist die Kritik an solchen deutschen Hegemonierhetoriken bisher eher leise geblieben. Aber es gibt sie – und zwar auch gleich auf Spiegel online.

Dort gibt Thomas Fricke ökonomisch fundiertes Contra. Über »das wahre Dilemma der Römer« schreibt er: »Dass italienische Politiker per se einen Hang zum Schuldenmachen haben, ist historisch ziemlicher Quatsch. In den Siebzigerjahren stieg die Verschuldungsquote in Italien nicht schneller als in Deutschland. In den Neunziger- und Nullerjahren sogar nur halb so stark – um jeweils nur zehn Prozent der Wirtschaftsleistung, gegenüber mehr als 20 Prozent im Land der schwäbischen Legendenbildung.«

Der entscheidende Punkt seiner Argumentation steht in einem Zitat des KfW-Ökonomen Philipp Ehmer: »Ursächlich für die hohe Verschuldung Italiens sind die Achtziger.« Diese Altlast wirkt über die hohen Zinslasten nach, für die »ein Gutteil der Steuereinnahmen des Finanzministers« draufgeht. Fricke weiter: »Italiens Staat nimmt seinen Bürgern und Unternehmen de facto Jahr für Jahr Geld in Höhe von aktuell mehr als 50 Milliarden Euro weg, um die Altlasten zu bedienen – ob über Kürzungen oder höhere Steuern. Das erklärt, warum der Staat zwar weniger Geld (für Sinnvolles) ausgibt, es aber (wegen der Zinsaltlast) trotzdem höhere Staatsschulden gibt. Die öffentlichen Investitionen sind in Italien von rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Nullerjahren auf zuletzt nur noch zwei Prozent gesunken.«

Hier hakt auch André Kühnlenz ein: Er verweist darauf, dass Italien unbedingt einen Fiskalimpuls braucht, weil der gesamte Kapitalstock des Landes selbst 2017 noch geschrumpft sei – »bei einer öffentlichen Investitionslücke von 42 Milliarden Euro seit 2012«. Diese Lücke habe allein 2017 elf Milliarden Euro betragen. »Die Euro-Nordländer sollten gegenüber Italien nicht die gleichen Fehler machen wie in Griechenland, nur weil ihnen der Charakter der Regierung (›populistisch‹) nicht gefällt. Ein für Italien relativ kleiner Fiskalimpuls würde mehr zur Rettung des Euro beitragen als jedes Programm«, so Kühnlenz.

Ähnlich sieht es Fabio de Masi: »Das Land brauche nun Investitionen, um aus der Stagnation herauszukommen.« Der Linkenpolitiker verweist zudem auf die negativen Folgen der Bilanzungleichgewichte innerhalb Europas, die durch die starke Exportorientierung der deutschen Wirtschaft befeuert wird: »Entweder Deutschland stärkt seine Binnenwirtschaft durch höhere Löhne und Investitionen oder Länder wie Italien werden mittelfristig die Eurozone verlassen.« De Masi wandte sich zudem gegen jegliche Versuche »der Erpressung – etwa Italien wie Griechenland über die EZB von der Geldversorgung zu trennen«. Dies werde »die drittgrößte Volkswirtschaft der EU aus der Eurozone führen«.

Auf diesen Punkt kommt auch Paul Steinhardt auf makroskop.eu zu sprechen: »Aussagen aus dem Umfeld der EZB und der Anstieg der Renditen für 10-jährige italienische Staatsanleihen geben nun Anlass zu der Befürchtung, dass die EZB ebenso wie in Griechenland einer demokratisch gewählten Regierung ihre Haushaltspolitik diktieren willEs gebe Hinweise auf »unverhohlene« Drohungen »der EZB gegenüber Italiens neuer Regierung: Wenn die Sparpolitik nicht fortgesetzt wird, dann werden wir dafür Sorge tragen, dass die Renditen auf italienische Staatsanleihen steigen werden.«

Einen kritischen Überblick zur Lage gibt es im Portal german-foreign-policy.com. Dort heißt es: »Führende deutsche Politiker und Medien attackieren weniger den Rassismus der an der Koalition beteiligten Lega, sondern vor allem die Wirtschaftspolitik der künftigen Regierung: Diese hat unter anderem Steuersenkungen und neue Sozialleistungen angekündigt, die das italienische Staatsdefizit zu erhöhen drohen.« Die Aufregung um die neue Regierung werde dabei auch genutzt, um »die ohnehin stockenden deutsch-französischen Verhandlungen über eine Reform der Eurozone« weiter zu verkomplizieren. »Relevante Zugeständnisse Berlins an die südlichen Eurostaaten gelten als äußerst unwahrscheinlich.« Die Entwicklung in Rom »verschaffe der deutschen Regierung nun die Möglichkeit, weitere Integrationschritte strikt mit ›Fortschritten in Italien‹ zu verknüpfen – und sie damit faktisch zu verhindern.«

In der »Frankfurter Allgemeinen« wird derweil der »Konfrontationskurs« der neuen Regierung kritisiert, dieser – man kennt diese Wortwahl: »verunsichert gegenwärtig die Märkte«. Der »Ausverkauf italienischer Staatsanleihen« setze sich fort, zitiert werden auch die Volkswirte der Commerzbank mit der Frage: »Kehrt die Staatsschuldenkrise zurück?« Man möchte zurückfragen: War sie denn je weg?

Augenmerk wird auch auf die Nominierung von Paolo Savona gelenkt, den die FAZ als »vehementen Eurogegner und Deutschland-Feind« bezeichnet. Der Ökonom soll Finanzminister werden, dies versuche Staatspräsident Sergio Mattarelle aber zu verhindern. Savona sehe den Euro »als die Vollendung deutscher Vorstellungen der Vorherrschaft in Europa an, wie sie im Nationalsozialismus propagiert worden waren«, heißt es in dem Blatt. Er habe in einem Buch die Ansicht vertreten, »dass die Verträge für den Euro in Italien den gleichen Effekt hätten wie 1918 der Vertrag von Versailles für Deutschland«. Außerdem plädiere er für einen »Plan B« zum Austritt aus dem Euro, »um Damit Deutschland und den anderen Partnern in der Währungsunion substanzielle Zugeständnisse abzuringen«.

In einem Kommentar demonstriert das Blatt recht offen, wie sie sich die europäische Rollenverteilung vorstellt: Es gibt Länder, die »einen Konfrontationskurs« einschlagen, heißt, sich Wege vornehmen, die der vor allem von Berlin aus orchestrierten Europolitik widersprechen – und die dann »mit Nachdruck wieder auf die richtige Bahn zu bringen« seien. Dies habe man bei Griechenland geschafft, »das vor Jahren Ähnliches versucht« hatte; aber Italien sei »schlichtweg zu groß« und werde sich »Ermahnungen aus Berlin und Paris nicht gefallen lassen«.

Die »Frankfurter Allgemeine« blickt dann noch auf die Lage der Geldhäuser: »Die Stimmung für die italienischen Banken hat sich gedreht«, heißt es da. Eine Studie von Goldman Sachs zeige, dass die Eigenkapitalprobleme der Institute zunehmen, wenn die neue Regierung ihre Pläne verfolge. Die Begründung: Man rechne mit einem höheren Staatsdefizit, was dazu führe, dass die Banken den Marktwert der Staatsanleihen in den Büchern niedriger ansetzen müssen. Auch drohten sie, Steuergutschriften zu verlieren, wenn die Körperschaftssteuer reformiert wird.

In der neuen Ausgabe der Zeitschrift »Sozialismus« heißt es, »dass die Formierung einer Regierung eine neue Stufe der Erosion der italienischen Republik eröffnet«. Im Ergebnis der Wahlen sei »eine europa- und ausländerfeindliche Regierungskoalition möglich geworden, die Italien und die EU in eine neue Phase politischer und ökonomischer Instabilität stürzen wird.« Weil die Belastungen der Schulden und die schwache Einkommensentwicklung vor allem bei den Erwerbstätigen und der jüngeren Bevölkerung (hohe Arbeitslosigkeit) liegen, wären in der Tat expansive Maßnahmen zur Ausweitung öffentlicher Investitionen und der gesellschaftlichen Nachfrage ein Weg zur Überwindung der Stagnation. Ohne eine handlungsfähige Regierung werden solche Perspektiven in Richtung notwendiger Reformen durch die tief gespaltene Wählerschaft und die Diskreditierung der überlieferten Parteien erschwert.«

Und weiter: »Angesichts der schwierigen Situation wird häufig die Frage aufgeworfen, ob nicht ein Austritt aus dem Euro Italiens Wirtschaft aus den ökonomischen Problemen herausholen könnte. Der übliche Hinweis auf die dann wieder gegebenen Möglichkeiten zur Währungsabwertung reicht nicht aus, um die Wirkungen eines Euro-Austritts umfassend einschätzen zu können. Ein Austritt würde wahrscheinlich zu Kapitalabflüssen und einem Ansturm auf die Banken führen und das Bankensystem ruinieren. Eine Abwertung der neuen Währung würde die Inflation sofort ansteigen lassen und zu starken Lohnkürzungen führen.«

Auf makroskop.eu hat sich Giuseppe Vandai das vorläufige Regierungsprogramm angesehen. »Der Regierungsvertrag ist mit Sätzen durchzogen, die die Austeritätspolitik der letzten Jahre verurteilen und klipp und klar die von der EU eingeschlagene Richtung kritisieren, wodurch die Hegemonie der Großindustrie, der großen Finanzwelt, sowie einiger Länder stark gefördert worden sei.« Vandai weiter: »Der allgemeine Tenor ist eher keynesianistisch. Man plädiert für die Stärkung der aggregierten Nachfrage, sowie für eine aktive Industriepolitik sowohl der EU als auch der einzelnen Staaten.«

Foto: Geobia / CC BY-SA 3.0

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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