Wirtschaft
anders denken.

It’s the economy, stupid!

20.05.2016

Nicht ihre fehlende Bereitschaft für soziale Rechte zu kämpfen, ist das Problem der Partei DIE LINKE, sondern die negative öffentliche Einschätzung ihrer Wirtschaftskompetenz.

DIE LINKE rätselt über die Ursachen ihrer Misserfolge. An sich müsste sie gerade einen Höhenflug erleben, aber das tut sie nicht. In einem Interview mit dem Freitag kritisierte der Landtagsabgeordneten André Brie, dass DIE LINKE nur eine »Papierpartei« sei. Sie müsse aber der »Robin Hood der Arbeiterklasse« werden. Das ist sicher nicht falsch, aber es genügt nicht. Wenn das das Kernproblem wäre, würde die für die Rechte der Arbeitenden kämpfende anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) heute eine Gewerkschaft der Millionen sein, und nicht der Hunderten.

»It’s the economy, stupid«

Ist die Klasse derer, die vom bloßen Verkauf ihrer Arbeitskraft lebt, heute in ihrer Selbstwahrnehmung zu klug, um links zu sein? Klug sein hieße in diesem Fall, man bedenkt das Ganze mit, anstatt nur stur auf das eigene Interesse zu pochen, oder eine Gerechtigkeit einzufordern, die so nicht zu erreichen ist. »It’s the economy, stupid«, war in den neunziger Jahren der große Wahlspruch Bill Clintons. Heißt: Die zentrale Frage ist die Frage der Wirtschaft. Wohlstand kann es nur geben, wenn es der Wirtschaft gut geht. Und der Wirtschaft geht es nur gut – glaubt man der neoliberalen Ideologie -, wenn Unternehmen Gewinne machen, weil diese nur dann Lust hätten, Geld auszugeben. Alles Weitere folge dann fast wie von selbst. So wurde es zu dieser Zeit von Politikern wie Thatcher, Clinton und Schröder sowie von einer Welle der Meinungsmache der Bevölkerung eingeimpft. Tagtäglich hörte man zu dieser Zeit von der heiligen Eigenverantwortung und von Leistung, die belohnt werden müsse, und dass die soziale Hängematte den baldigen Tod unserer Zivilisation bedeuten würde. Das Resultat: weniger Staat und mehr Markt. Bald würde alles blühen, würde man endlich vom »Sozialneid« ablassen, und von antiquierten Vorstellungen wie Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Kampagne schaffte das Unglaubliche: Wir ließen fast kampflos in vielen Jahren erkämpfte Vorteile fahren, verabschiedeten uns von tariflich festgelegten Gehältern, arbeiteten durchschnittlich mehr für weniger Geld und weniger Sicherheit. Es ist wahrscheinlich, dass »uns« diese Ideologie noch mehr in den Knochen steckt, als uns klar ist.

Dabei ist die Welt nach Jahrzehnten der neoliberalen Umstrukturierung ein Scherbenhaufen. Massive Armut steht unfassbarem Reichtum entgegen. Gesellschaften werden zunehmend auf die Funktion reduziert, Kapitalverwertungsmaschinen zu sein. Die Wirtschaft ist in einer Dauerkrise und lebt von »gekaufter Zeit«, wie der Ex-Befürworter des Neoliberalismus Wolfgang Streeck überzeugend nachweist. Der Neoliberalismus ist ein Irrweg. Das belegt auch der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty: Kapitalistische Wirtschaften neigen dazu, immer riesigere Vermögen anzuhäufen – Und das ist schlecht für die Wirtschaft. Das ist das Gegenteil von dem, was Neoliberale behaupten. Nimmt man also das »it’s the economy, stupid!« heute wieder auf, lässt sich sehr überzeugend begründen, dass Reichtum eben nicht »heruntersickert« und alle beglückt. Im Gegenteil: kapitalistische Wirtschaften können langfristig nur dann funktionieren (wenn überhaupt – aber das ist eine andere Frage), wenn Vermögen umverteilt werden. Der Grundansatz linker Wirtschaftspolitik.

Dennoch trauen nur zwei Prozent der Bevölkerung der Partei Die LINKE zu, eine kluge Wirtschaftspolitik zu gestalten. Diese schiefe Wahrnehmung ist nur mit der anhaltenden Wirkung neoliberaler Ideologie zu erklären. Nicht nur seien linke Perspektiven unrealistisch, sie seien auch ideologisch motiviert – was ironisch ist, betrachtet man den massiven Einfluss von Lobbyisten bei Parteien wie der CDU, der eine besonders hohe Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird. Der »ideologische« Faktor der DIE LINKE ist hingegen die sehr rationale Grundannahme, dass die Wirtschaft der Gesellschaft zu dienen hat und nicht umgekehrt.

Um diese Fehlwahrnehmungen, die den Kern der Misserfolge der DIE LINKE ausmachen, entgegenzuarbeiten, könnte ein in Wirtschaftsfragen kompetentes Image der Linken schrittweise dazu beitragen, dem neoliberalen Gedankengut etwas Substantielles und Glaubhaftes entgegenzusetzen.

Das zeigt auch die überaus erfolgreiche Kampagne von Bernie Sanders. Sein Sinn für wirtschaftliche Fragen wird zwar selbstredend immer wieder angegriffen (auch von links).. In jedem Fall schafft er es aber, wirtschaftspolitisch für viele überzeugend zu argumentieren. So ließ er beispielsweise im direkten Schlagabtausch den vormaligen Chef der US-Notenbank Alan Greenspan wie einen Schwätzer dastehen. Auch der Erfolg des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn weist auf die Wichtigkeit wirtschaftlicher Kompetenz hin: Der lässt sich von Thomas Piketty und dem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beraten. Piketty berät ebenfalls die spanische Partei Podemos. Syriza hatte 2015 einen Yanis Varoufakis als wirtschaftspolitisches Flaggschiff. Insofern wäre DIE LINKE gut beraten, sich mit hochkarätigen Ökonomen zu umgeben, um ihr wirtschaftspolitisches Programm und Image aufzufrischen und der neoliberalen Dominanz in den Köpfen entgegenzuarbeiten.

Geschrieben von:

Houssam Hamade

freier Journalist

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