Ja, nein, vielleicht: Was Ökonomen von einer Neuauflage der GroKo halten
Noch Interesse am Dauerthema Regierungsbildung? Es läuft viel auf eine Neuauflage der Großen Koalition hinaus. Was Wirtschaftsexperten über das Jamaika-Aus und die nun in Rede stehenden, ähm: Alternativen sagen? Ein kleiner Überblick.
Kajo Wasserhövel war einmal SPD-Bundesgeschäftsführer, »Spin Doctor der SPD« hat man ihn genannt. Jetzt ist Kajo Wasserhövel ein bisschen genervt vom großen Reden nach dem Jamaika-Aus, in dem alle möglichen und unmöglichen Kooperationsvarianten mindestens schon einmal genannt und zwei Mal verworfen wurden. Bei Wasserhövel ist so etwas wie ein Post-Jamaika-Sarkasmus entstanden: Ob schon jemand eine Minderheitsregierung der Linkspartei toleriert von Union und FDP vorgeschlagen habe? »Und hat irgendjemand vergessen ein Interview mit ultimativen Forderungen zu geben? Wird Zeit.«
Das Ganze zielt ein bisschen in Richtung der SPD, aus der nun immer neue Forderungen kommen, welche der sozialdemokratischen Forderungen mindestens und unbedingt in einer möglichen Großen Koalition durchgesetzt werden müsste. Das kann man doof finden, weil öffentliches Rote-Linien-Ziehen in Koalitionsspielen strategisch nach hinten losgehen kann. Aber es ist nun auch nicht das Ungewöhnlichste in der Parteipolitik, öffentlich Forderungen zu erheben ist genauer genommen sogar einer von deren Haupteigenschaften. Und in der Summe verschiedener Forderungen wird ja in der Regel auch etwas davon sichtbar, was man den ökonomischen Charakter einer Regierung nennen könnte.
Was diesen angeht, wird man nicht gern der Selbstbeschreibung von Parteien trauen wollen. Also schauen wir einmal nach, was die Wirtschaftsexperten über Jamaika-Aus und die nun in Rede stehenden, ähm: Alternativen sagen. Ein kleiner Überblick:
SPD soll drei Bedingungen stellen
Fabian Lindner vom gewerkschaftsnahen IMK sieht den Druck auf die SPD wachsen, »den Staatskarren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Das sollte sie tun – wenn sie drei Bedingungen daran knüpft: Erstens muss sie den Finanzminister oder die Finanzministerin stellen; zweitens muss sie im Koalitionsvertrag festlegen, dass die öffentlichen Investitionen massiv erhöht werden und dass, drittens, die gesetzliche Rente wieder gestärkt wird.« Warum das sinnvoll sein soll, erklärt Lindner hier ausführlich im Herdentrieb-Blog auf Zeit online.
So viel Platz zum Argumentieren hatten die »sechs Top-Ökonomen« nicht, die Spiegel online befragt hat. »GroKo, Minderheitsregierung oder Neuwahlen – welche Lösung sollte es jetzt geben?« Peter Bofinger, Professor an der Universität Würzburg und Mitglied des Sachverständigenrats, plädiert hier für eine Große Koalition, weil diese »die besten Chancen« hätte, »die europäische Integration voranzubringen«. Lars Feld vom Walter Eucken Instituts an der Universität Freiburg und ebenfalls im Sachverständigenrat hält eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung für »die beste Lösung«. Auch ihm geht es – man darf annehmen: mit anderen Zielen – um die Weiterentwicklung der EU.
Michael Hüther vom unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft findet die Variante einer Minderheitsregierung nicht schlecht, »sie könnte die Brücke zu einer Mehrheitsregierung bauen, wenn Parteien nach ein, zwei Jahren dieser neuen Form parlamentarischer Arbeit erkennen, dass sie doch miteinander können«. Auch Clemens Fuest vom ifo-Institut München plädiert für eine Minderheitsregierung, bei der sich die Union »für wichtige wirtschaftspolitische Reformen« ihre Mehrheiten suchen soll. Marcel Fratzscher vom DIW in Berlin ist hingegen strikt gegen eine Minderheitsregierung, angesichts der Herausforderungen gehört für ihn eine Große Koalition (neben einem besser durchdachten, neuen Jamaika-Anlauf) zu den »besten aller verfügbaren Optionen«.
Wer eine Minderheitsregierung befürworten würde
Auffällig wird hier schnell: Je weiter links die Ökonomen einsortiert werden, desto eher plädieren sie für eine Regierungsbeteiligung der SPD. Wohingegen die Wirtschaftswissenschaftler, die man eher der Seite der Unternehmen zuschlagen würde, mit einer Unionsgeführten Minderheitsregierung ganz gut leben könnten. Auch der Direktor des gewerkschaftsnahen IMK, Gustav Horn, plädiert eher für eine Große Koalition, gibt der SPD aber auf, ihr Profil zu bewahren – was den einen oder anderen schon zu der Frage veranlasst hat, welches Profil da eigentlich gemeint sei. Horn nennt drei Kernpunkte: vertiefte europäische Integration mit sozialer Komponente, Ausweitung öffentlicher Investitionen vor allem beim Bau, spürbare Reduktion der Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen.
Fratzscher vom DIW, um darauf zurückzukommen, hatte bereits zuvor »ganz konkret« sieben Bereiche genannt, die als »Herausforderungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik« von einer kommenden Regierung ins Zentrum gestellt werden sollten: »eine Offensive in Forschung und Bildung, mit einer größeren finanziellen Verantwortung des Bundes und einer klugen Steuerpolitik, die Innovationen belohnt und fördert; deutliche Anstrengungen in Sachen Digitalisierung; Vollbeschäftigung, insbesondere die Integration der Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt; die Integration der Geflüchteten in Arbeitsmarkt und Gesellschaft; die Sicherung der Sozialsysteme; die Erreichung der Klimaziele; eine konstruktive Strategie für die Reform Europas und des Euro«.
»Ökonomen fürchten höhere Staatsausgaben«. Wirklich?
Allerdings sagt Fratzscher auch: »Ich bin nicht sehr optimistisch, dass eine Große Koalition es besser machen würde.« Diese Skepsis bezieht sich aber vor allem auf die zuvor genannten Schwerpunkte, die Abneigung von Hüther und Fuest gegen eine Große Koalition hat andere Gründe, die Spiegel online in die Überschrift »Ökonomen fürchten höhere Staatsausgaben« gebracht hat. Was zwar einerseits Quatsch ist, weil es auch Ökonomen gibt, die höhere Staatsausgaben ganz im Gegenteil sogar fordern. Andererseits aber liegt es auf der Linie der Politikberatung der beiden Genannten. Hüther hatte dem »Handelsblatt« gegenüber erklärt, Schwarz-Rot werde wahrscheinlich keine »nachhaltige Strategie der Wachstumsvorsorge« verfolgen, die Sozialpolitik werde die Wirtschaftspolitik dominieren und es werde zu wenig Steuersenkungen geben. Fuest rechnet mit höheren Ausgaben für die Infrastruktur (was vielleicht gar nicht mit dem »fürchten« in der Überschrift zusammenpasst) und mit steigenden Zuschüssen zur Rentenversicherung, falls sich die SPD mit der Forderung nach höheren Altersbezügen durchsetze.
Dass ein Großvorhaben wie die Bürgerversicherung oder jedenfalls ein Einstieg in eine solche Reform bisher nicht in den Stellungnahmen auftaucht, dürfte damit zu tun haben, dass der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach erst seit Ende der Woche kräftig versucht, diese Forderung auf der Bühne zu platzieren.
DGB-Blog hofft auf Bürgerversicherung
Im DGB-Debattenblog »Gegenblende« unterstützt man eine solche Forderung, dort erinnert Daniel Haufler an eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, laut der die Einbeziehung der Beamten in eine einheitliche, gesetzliche Krankenversicherung den Staat bis 2030 um bis zu 60 Milliarden Euro entlasten würde. »Zudem würde sie endlich den Weg ebnen zum Ende der Zwei-Klassen-Medizin.« Haufler sieht aber noch anderes, was die SPD nun verlangen könnte und sollte – darunter: »gleiche und gerechte Löhne für Männer und Frauen, die Abschaffung der willkürlichen Befristung von Arbeitsverträgen sowie das Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten in die Vollzeit; den Ausbau des Ganztagsangebotes und die Modernisierung von Schulen sowie die Abschaffung von Kita-Gebühren; eine langfristige Stabilisierung der Rentenhöhe und kein Anstieg Renteneintrittsalters auf 70 Jahre; die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Das wäre für den Anfang schon mal eine gute Basis für eine sozialdemokratische Politik in einer neuen Regierung.«
Da stemmt sich Rainer Hank von der FAZ natürlich entgegen. »Allein die Kosten des SPD-Rentenkonzepts, das die Höhe der Standardrente auf 48 Prozent des Durchschnittslohns festschreibt und eine Solidarrente für langjährig Versicherte anbietet, addieren sich bis 2030 auf 100 Milliarden Euro. Ein ähnlich teurer Leckerbissen dürfte die ‚Bürgerversicherung‘ werden, die zur Finanzierung der Gesundheitskosten nicht nur Arbeitseinkommen heranzieht, sondern auch Zins, Pacht und Mieten. Zu addieren wären noch Zahlungen für ‚kostenlose‘ Kitas, Überweisungen an die von Frankreichs Präsident Macron einzurichtende Euro-Solidarkasse und ein neues Bürokratie-Paket für die Wirtschaft. Ohne Steuererhöhungen für ‚die Reichen‘ geht da nichts.«
Oder in einem kurzen Satz: »Große Koalition? Bitte auf gar keinen Fall!« Lustig daran ist ein wenig, dass im strikten Anti-GroKo-Lager auch jene Linken sind, die wiederum genau das Gegenteil meinen: dass sich nämlich die SPD zu billig in einem solchen Bündnis verkaufe. Hank meint: die Sozialdemokratie kommt das Land (bitte setzen sie hier ein: das Kapital) zu teuer.
isw: Heraus kommt immer eine marktkonforme Regierung
Ein paar Aufgänge weiter links im Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung isw wird der Abbruch der Jamaika-Sondierung mit den Worten bilanziert: »Wirtschaftspolitisch wäre das eine praktische Regierung für das Kapital geworden. FDP und Union hätten sich die Bälle zugespielt und die Grünen dürfen da, wo es der Wirtschaft nicht weh tut, für ein wenig Umweltschutz sorgen. Heraus kommt eine marktkonforme Regierung mit offenen Lobbyisten-Türen.« Allerdings sieht dort der Autor Charles Pauli auch praktisch alle anderen möglichen Regierungskonstellation nicht hoffnungsfroher. Auch diese »wirtschaftspolitisch nichts wesentlich Anderes ergeben. Zumindest nicht, solange die Union und die FDP im Boot sind – und die SPD sich nicht runderneuert.«
Thomas Fricke übrigens hatte diesen Aspekt – die Sozialdemokratie und ihr Zustand – auch schon aufgegriffen: »Jetzt schnell neu zu wählen oder noch so eine GroKo zu machen, wäre Unsinn. In ein paar Wochen wird aus der SPD ja keine rosige Zukunftswerkstatt.« Sein Vorschlag: »eine Minderheitsregierung mit Ablaufdatum, sagen wir: ein Jahr. In der Zeit könnte das Land so eine Art Klausur machen, festlegen, was wichtig ist«. Das Land brauche »dringend Leute, die es nicht als politische Hochkunst und Zukunftsvision verstehen, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen – sondern Ideen haben, was vorbeugend gegen die nächste große Finanzkrise zu tun ist; oder gegen drohende Klimakatastrophen; oder dagegen, dass plötzlich ganze Regionen sozial zu kriseln beginnen, weil der Einzug von künstlicher Intelligenz Wirtschaftszweige implodieren lässt.« Also ein »ein kollektiv-kreatives Sabbatjahr«. Das wäre allerdings sicher auch eine Zeit mit ganz vielen Interviews »mit ultimativen Forderungen«. Oder, Kajo Wasserhövel?
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