Wirtschaft
anders denken.

Jamaika und die »Kampfzone Landwirtschaft«: Der OXI-Überblick

02.11.2017
Ricardo Gomez Angel / unplash.comWelche Abzweigung führt in ein anderes Wirtschafts- und Wohlstandsmodell?

Update: Jamaika dokumentiert »Sondierungsstand«

Inzwischen kursiert ein zweiseitiges Papier, auf dem die Jamaika-Parteien ihren »Sondierungsstand« zu den Themen Landwirtschaft und Verbraucherschutz zusammenfassen. Der Taz-Kollege Malte Kreuzfeldt hat die beiden Seiten fotografiert – hier und hier. Abgesehen von einigen recht allgemeinen Formulierungen wird vor allem deutlich, wie groß die Unterschiede sind: Bei Umweltschutz und Tierschutz stelle« sich die Frage ordnungsrechtlicher und/oder finanzieller Maßnahmen« – und weiter: »Über alle diese Punkte besteht kein Konsens.« Immerhin kann man da auch lesen, dass Jamaika »die Menge in der Landwirtschaft und in der außerlandwirtschaftlichen Anwendung« eingesetzten chemischen Wirkstoffe »reduzieren« will. Darüber hinaus stehen aber vor allem Punkte auf dem Zettel, die »weiter diskutiert werden« müssten.

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sagte immerhin, »es ist in den Gesprächen gelungen, über tiefe Gräben erste Brücken zu schlagen«. Man sei »weiter gekommen, als ich persönlich gestern gedacht hätte«. Und dann: »Aber sind noch nicht weit genug.« Ähnlich äußerte sich die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt: Es gebe ein »hartes Ringen bei« dem Thema Landwirtschaft. Und es sei noch ein »weiter Weg bis zur Agrarwende«. Nun dürfte das große Interpretieren losgehen. Kellner fing damit schon an: Da man sich geeinigt habe, »Ackergifte zu reduzieren« gehe er »davon aus, dass es keine Verlängerung von Glyphosat gibt«. Ob das die Union auch so sieht?

Die Zukunft der Landwirtschaft ist eine Kampfzone, schreibt eine Nachrichtenagentur. Beim Thema krachte es dann auch tatsächlich zwischen den Jamaika-Parteien. Massentierhaltung, Gentechnik, Düngemittel, EU-Agrarpolitik, Ökolandbau – wo liegen die Knackpunkte?

Beim Thema Landwirtschaft hat es zwischen Grünen und Union bei den Sondierungsgesprächen gekracht. Bei Politik, die sich um die Produktion von Lebensmitteln dreht, kreuzen sich teils sehr unterschiedliche Denkweisen. Es geht um Fragen des internationalen Handels, der ökologische Kursänderung und der wirtschaftlichen Lage von Bauern, des Artensterben und des Naturschutzes, des Einsatzes von Chemikalien und der Frage, was wir eigentlich und von wem hergestellt, essen wollen.

Schon vor den Beratungen am Mittwoch sei klar gewesen, »dass es diesmal schwierig werden würde – denn vor allem bei Lebensmitteln, der generellen Ausrichtung der Landwirtschaft« prallten am Jamaika-Verhandlungstisch Welten aufeinander, so formuliert es die Deutsche Presse-Agentur. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann wird gegenüber der Presse vor den Gesprächen sagen, Grüne und CSU seien sich wohl »beim Verzehr der Produkte« sehr nahe. Heißt auch: sonst nicht.

In der Runde kommt es dann zum direkten Zoff, wird berichtet: Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck, der Verhandlungsführer beim Thema Agrar, soll dafür plädiert haben, zunächst keine gemeinsamen Agrar-Leitlinien der Jamaika-Sondierer aufzuschreiben. Was bei der CSU zu dem Vorwurf der destruktiven Verhandlungsführung führte, Habeck soll bereits ein Papier zu den Themen Klima und Energie verhindert haben. Hinterher hörte man dann, der Streit sei gar nicht so schlimm gewesen. »Das Thema Landwirtschaft gilt bei Grünen und CSU gleichermaßen als besonders wichtig und sensibel«, heißt es bei der Agentur Reuters.

Die Wahlprogramme
Grüne: Wir sorgen für gesunde Lebensmittel und beenden Tierleid
FDP: Landwirtschaft, die sich rechnet
CSU: Unser Land braucht Bauern
CDU: Landwirtschaft hat Zukunft 

Zukunft der EU-Agrarpolitik und Nutztierhaltung

Dabei steckt im Thema Landwirtschaft tatsächlich ein recht großer Keil, der die vier Parteien durchaus auseinander treiben könnte. Zwischen den potenziellen Koalitionären gebe es »mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten«, heißt es im Fachportal topagar.com. Vor allem zur Zukunft der EU-Agrarpolitik und zu den Bedingungen für die Nutztierhaltung liegen die Parteien teils recht weit entfernt.

Die Grünen wollen die industrielle Massentierhaltung in den nächsten 20 Jahren beenden und setzen auf Ökolandbau, der mit einer Milliarde Euro in kommenden sieben Jahren unterstützt werden soll. Auch soll »auf eine Landwirtschaft ohne Ackergifte und Gentechnik« umgestiegen werden. Zudem wird eine eindeutige Kennzeichnung von Fleisch zur Haltung gefordert, ähnlich wie heute bereits bei Eiern.

Die Union strebt dagegen nur ein freiwilliges »Tierwohl-Label« für höhere Standards an, so wie es die Große Koalition bereits tat, allerdings ohne Erfolg. Die Freidemokraten setzen auf Investitionsförderung für bessere Tierhaltung und warnen vor »zu ehrgeizigen Tierwohl-Zertifizierungen«. Diese würden kleine Landwirtschaftsbetriebe überfordern und den Strukturwandel befördern. Auch bei »Düngung und Pflanzenschutz werden die Grünen auf strengere Anwendungs- und Zulassungsregeln drängen«.

Die Union will an dem zwei-Säulen-Modell der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP der EU und an Direktzahlungen auch nach 2020 festhalten. Dabei sollen »insbesondere aktive Landwirte, Junglandwirte und kleine und mittlere Betriebe« gefördert werden. Die Freidemokraten wollen »unternehmerische Landwirtschaft stärken« und die EU-Direktzahlungen ab 2020 »schrittweise reduzieren«. Die Grünen halten das derzeitige Förderungssystem dagegen nicht für zukunftsfähig und wollen eine Förderung, die durch das Prinzip »öffentliches Geld für öffentliche Leistung« geprägt ist. Vor allem kleinere Betriebe sollen unterstützt werden.

Union will Ministerium behalten

Der bisherige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU wurde mit den Worten zitiert, seine Partei wolle »auch und gerade eine konventionelle Landwirtschaft, die nachhaltig sein muss«. Was das im Detail heißen kann, soll besprochen werden. Landwirtschaft sei »kein Selbstzweck zur Existenzsicherung der Landwirte, sondern die Grundlage für Ernährung, die immer anspruchsvoller wird«, so Schmidt – der eine ökologische Landwirtschaft als auch »nicht per se klimafreundlicher« bezeichnete.

Dies traf auf Widerspruch der grünen Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die fordert: »Wir müssen mit den Bauern dafür sorgen, dass wir zu einer anderen Form der Landwirtschaft kommen.« Bei der CSU stemmt man sich dagegen: »Wir wollen keinen Feldzug gegen unsere Landwirte«, so Parteichef Horst Seehofer.

»Die Zukunft der Landwirtschaft ist eine Kampfzone«, heißt es bei der Deutschen Presse-Agentur. »Oder kann es gerade einer Jamaika-Konstellation gelingen, alte Gräben zu überwinden?« Schon unmittelbar nach der Wahl hatten Agrarpolitiker aller Seiten betont, wie schwierig das Parkett für die Verhandler ist. Die Union will unbedingt das Ministerium für sich beanspruchen. Das Politikfeld ist zudem lobbyistisch vermachtet, bei der CDU ist der Bauernpräsident von Westfalen-Lippe, Johannes Röring, zugleich Agrarpolitiker – er war mit den Worten zitiert worden, Jamaika sei »aktuell sehr kritisch und ist mit den jetzt handelnden Personen kaum machbar«.

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Geschrieben von:

OXI Redaktion

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