Wirtschaft
anders denken.

Jedes zweite Dach muss mit Solar voll werden

19.11.2023
Solar-Anlage auf einem DachFoto: Bild von Narupon Promvichai auf Pixabay

»Macht die Dächer voll!«, lautet einer der beliebtesten Slogans der Energiewende. Gemeint ist zunächst: Die Dächer in Deutschland bieten viel Platz, um Solar-Module darauf zu setzen. Den gilt es also zu nutzen.

Der Slogan »Macht die Dächer voll!« meint aber noch mehr: Soll der auch auf Dächern begrenzte Platz wirklich effektiv für die Energiewende genutzt werden, muss jeder geeignete Quadratmeter eines Dachs genutzt werden.

Derzeit entscheidet sich die Frage, wieviel Dachfläche genutzt wird, vor allem daran, in welchem Umfang sich der Hauseigner selbst mit Strom versorgen will. Und da gilt: Wer keinen großen Verbraucher wie eine E-Auto oder einen teuren Stromspeicher hat oder sich leisten kann, der beschränkt sich eher auf eine kleine Dachanlage.

Um Deutschland klimaneutral zu machen, sollen bis 2040 landauf, landab rund 400.000 Megawatt Photovoltaik installiert sein und Strom liefern. Die Menge soll sich dabei, so der Regierungswille, hälftig auf Dächer und Freiflächen verteilen, jeweils also etwa 200.000 Megawatt erreichen.

Derzeit bewegt sich die Photovoltaik-Kapazität in Deutschland auf 80.000 Megawatt zu. Zwei Drittel davon sind auf Dächern zu finden und ein Drittel auf Freiflächen, die vorher Äcker, Grün- oder Ödland waren.

Eine Solarstrategie, die nur auf die Kosten schaute, würde sich dabei wegen der Kostenvorteile vor allem auf den Freiflächen am Boden abspielen, sagt Philipp Godron, Programmleiter Strom vom Thinktank Angora Energiewende. Den solaren Rollout vorrangig auf unversiegelten Freiflächen stattfinden zu lassen, kann jedoch nicht Sinn einer ökologischen Energiewende sein. Die Dächer vollzumachen ist insofern ein effizienter Weg, das begrenzte Flächenpotenzial zu nutzen.

Daraus folgt die Frage, wieviel Strom überhaupt von Dächern kommen kann und wie sich das regional aufteilt. So genau sei das auch Agora Energiewende bisher nicht klar gewesen, räumte Philipp Gordon jüngst ein, als der Thinktank und das Beratungsunternehmen Greenventury eine detaillierte Analyse des deutschen Dachstrom-Potenzials vorstellten.

Zur Berechnung wurden jede Menge Daten auf der Erde und per Satellit aus dem All gesammelt: Wieviel Dächer gibt es, wie groß ist jedes, ist es eben, ist es schräg, in welche Himmelsrichtung geht es, wie tragfähig ist es, gibt es Bauten wie Schornsteine und so weiter.

Als größter Unsicherheitsfaktor bei der Potenzialabschätzung stellte sich dabei die Statik heraus, ob also das Dach die ganze Modulkonstruktion tragen kann.

Ergebnis der monatelangen Arbeit: Die Dachflächen in Deutschland sind zusammen rund 6.770 Quadratkilometer groß, also vergleichsweise halb so groß wie Schleswig-Holstein. Davon sind wiederum etwa zwei Drittel prinzipiell geeignet, Solarmodule zu tragen. Würden diese Dächer vollgepackt, kämen etwa 409.000 Megawatt Photovoltaik-Kapazität zusammen, ergab die Analyse schließlich.

Das ist eine gute Nachricht, findet Katharina Hartz von Agora Energiewende. Denn es sei genügend Potenzial vorhanden, um den für 2040 geplanten Anteil der Dach-Photovoltaik von 200.000 Megawatt zu erreichen. Allerdings bedeute das auch, schlussfolgert Hartz, dass jedes zweite geeignete Haus voll belegt werden muss und nicht wie in der Vergangenheit vor allem auf den Eigenverbrach optimiert werden darf.

Solarstrom rechnet sich bekanntlich besonders gut im sonnigen Süden Deutschlands. Hilfreich ist es zudem, ergab die Studie weiter, wenn die Region bevölkerungsstark ist und zugleich viele im eigenen Heim leben.

Wird die installierte Photovoltaik-Kapazität ins Verhältnis zur verfügbaren Dachfläche gesetzt, befinden sich laut der Agora-Analyse Baden-Württemberg und Bayern an der Spitze der Bundesländer, es folgen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Schlusslichter sind die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Das liege vor allem an der Eigentümerstruktur. In der Stadt sei der Anteil der Mehrfamilienhäuser größer, erläutert Katharina Hartz. Hier müsse das derzeit beratene Solarpaket der Bundesregierung Abhilfe schaffen.

Der für Mehrparteienhäuser geeignete Mieterstrom sei keineswegs eine Randgröße, betont die Agora-Expertin. Nach ihren Worten entfallen von den potenziell möglichen 409.000 Megawatt auf dem Solardach rund 100.000 Megawatt auf vermietete Gebäude.

Insgesamt schöpfen die Länder derzeit ihre Potenziale für Strom vom Dach, laut der Analyse, von 2 bis 3 bis zu 16 Prozent aus. »Da ist noch einige Luft nach oben«, resümiert Hartz.

Dabei hatte sich die Ampel zu ihrem Start recht konkret vorgenommen: Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für Solarenergie genutzt werden, bei gewerblichen Neubauten solle dies verpflichtend sein, bei privaten Neubauten die Regel werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Die dort skizzierten Solarpflichten werden aber auch mit dem aktuellen Solarpaket nicht angegangen.

10 der 16 Bundesländer haben dagegen schon ein Solarpflicht eingeführt oder setzen diese spätestens 2024 in Kraft. Allerdings gilt die Pflicht in der Regel nur für Nichtwohngebäude, die neu errichtet werden. Auch verlangen die Länder nicht, dass die Dächer wirklich »vollgemacht« werden. Je nach Bundesland reicht es, 10 bis 60 Prozent der Dachfläche solarisch auszulasten.

Bleibt es beim heutigen Förderregime werde auch künftig nicht das ganze Potenzial jedes Daches erschlossen werden, bestätigt Kai Mainzer von Greenventury. Aus seiner Sicht müssten deswegen Anreize zu eine Vollbelegung gesetzt werden.

Wer Flächeneffizienz ernst nimmt, muss offenbar den Slogan von den vollen Dächern wortwörtlich nehmen.

Geschrieben von:

Jörg Staude

Journalist

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag