Wirtschaft
anders denken.

»Ich hab’s geschafft. Ich bin schuldenfrei!«

31.08.2021
Reifen eines LKWs mit AnhängerFoto: Peter H auf Pixabay

Ein Job bringt finanzielle Sicherheit. Wird jedoch kein Lohn gezahlt, rutscht man schnell in die Schulden. Schwer dort wieder rauszukommen. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…

Stephan Wilgapolski ist Anfang 30, lebt in Nordrhein-Westfalen und arbeitet als Berufskraftfahrer. Als sogenannter Kapitän auf der Autobahn musste er allerdings erleben, wie die Spediteure, für die er europaweit unterwegs war, häufig keinen oder weit weniger als den vereinbarten Lohn zahlten. Er verlor seine Wohnung, rauschte in einen Schuldenkreis, ohne ihn selbst verschuldet zu haben. Es dauerte, bis er sich traute und sein Recht auf Bezahlung für getane Arbeit einklagte. Paula Hansen sprach mit ihm.

Sie waren fest angestellt, hatten einen sozialversicherungspflichtigen Job. Das sind eigentlich zwei Dinge, die für einen Vermieter zählen. Trotzdem wurde Ihnen die Wohnung gekündigt. Was ist passiert?

Ja, obwohl ich arbeiten war und trotz eines Einkommens wurde ich obdachlos. Es gibt in der LkwBranche so eine Masche, mit der man unter Vertrag genommen wird. Immer liegt die Drohung in der Luft: Entweder du machst, was ich sage oder ich finde jemanden anderen. Ich habe mich gefügt, mich nicht gewehrt, hatte auch Angst rauszufliegen. Aber der Lohn kam häufig nicht. Ich hatte kein Erspartes, niemanden, den ich hätte fragen können, ob er übergangsweise für meine Wohnkosten aufkommt.

Die Wohnung wurde gekündigt, wo sind Sie hingegangen? Wovon haben Sie gelebt?

Ich konnte bei einem Kumpel unterkommen. Hätte ich den nicht gehabt, wäre ich auf der Straße gelandet. Ein gutes halbes Jahr konnte ich bei ihm wohnen. Ich musste auch das Auto abmelden, mit dem ich zur Arbeit gefahren bin. Ich konnte die Versicherung nicht mehr bezahlen. Das war ein richtiger Teufelskreis. Manchmal habe ich so nebenher etwas gearbeitet, von der Hand in den Mund gelebt.

Wusste überhaupt jemand von Ihrer schlimmen Lage oder haben Sie darüber lieber geschwiegen?

Ich war beim Jobcenter, habe dort meinen Fall vorgetragen. Die sagten mir, dass sie mich drei Monate lang sperren würden, weil ja ich den Job gekündigt hätte. Niemand hat sich dort dafür interessiert, wie die Spediteurin mit uns Fahrern umgesprungen ist. Heute würde ich das natürlich alles anders machen. Damals wusste ich nicht einmal, dass man als Geringverdiener im Fall einer Klage Rechtskostenbeihilfe beantragen kann. So etwas sagt einem niemand. Als das Jobcenter mich sperrte, war ich ja schon einige Monate ohne Geld. Die Arbeitgeberin zahlte den Lohn einfach nicht aus. Ich habe mir dann etwas anderes gesucht, bei einem holländischen Spediteur. Für den bin ich nach Spanien und Portugal gefahren, doch der zahlte auch nicht. Mittlerweile war ich schon abgebrühter und habe angefangen, Diesel zu verkaufen.

Diesel verkaufen? Wie geht das?

Ich stand auf großen Parkplätzen im Ausland, habe die Tankkarte jemanden anderen benutzen und mir das Geld cash geben lassen. Sozusagen als Ersatz für den Lohn, der nicht kam. Und klar habe ich in dem Moment Diebstahl begangen. Aber für mich ging es wirklich um das nackte Überleben. Du stehst irgendwo im Ausland, hast kein Geld, kennst niemanden und hast Hunger.

Mittlerweile weiß ich, dass so etwas ganz oft in dieser Branche passiert. Offensichtlich kommen die Spediteure damit durch, die Fahrer wehren sich nicht. Niemand von uns hat eine Rechtsschutzversicherung und die meisten haben Angst, den Job zu verlieren. 2017 hat es mir endgültig gereicht. Ich habe den Lkw einfach stehen gelassen, bin 200 km mit dem Zug nach Hause gefahren und dort direkt zum Anwalt.

Woher hatten Sie den?

Über Freunde, Bekannte, über meine frühere Verlobte. Der Anwältin habe ich mein Handy gegeben mit allen Beleidigungen und Drohungen. Auf WhatsApp war das alles dokumentiert. Die konnte das gar nicht fassen. Bis zum Prozess hat es aber noch einmal zwei Jahre gedauert. Entweder war der Arbeitgeber verhindert, er war krank oder irgendetwas fehlte. Auf diese Weise hat sich das in die Länge gezogen. Meine Anwältin fuhr stets zu den Terminen, in der Regel wurde die Verhandlung eine halbe Stunde vorher abgesagt. So ist wohl die Taktik von sehr abgebrühten Menschen.

Wovon konnten Sie die Anwältin bezahlen?

Sie sagte, wir führen den Prozess, würden ihn auch auf jeden Fall gewinnen. Und irgendwann, wenn ich wieder Arbeit hätte, sollte ich dann anfangen, die Kosten bei ihr abzustottern. Immer so, wie ich gerade könnte. Am Ende hat sie mir nur 2.700 Euro berechnet, obwohl sie bestimmt fünfzehnmal im Gericht war. Den Aktenordner habe ich heute noch, den werde ich auch niemals wegschmeißen. Da sind alle Dokumente drin, die WhatsApp-Auswertungen, die Beleidigungen und Drohungen. Die Anwältin hatte schon vorher von den Problemen der Lkw-Fahrer gehört, und mit meinem Prozess konnte sie jetzt etwas dagegen unternehmen.

Zwei Jahre sind eine richtig lange Zeit. Haben Sie zwischendurch gedacht, ich gebe auf, schmeiß alles hin?

Ich dachte immer nur, wie soll ich das alles bezahlen. Ich wusste nicht, wie ich das managen sollte. Dann kam auch noch die Trennung von meiner Verlobten. Das ist so ein Stress, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht. Über 2.000 Euro sind für mich eine Menge Geld. Über zwei Jahre hinweg habe ich jeden Monat 100 Euro an die Anwältin überwiesen. Für die vielen Überstunden, die ich gemacht hatte, hätte ich dann noch eine separate Klage führen müssen. Innerhalb von eineinhalb Jahren hatten sich 1.250 Überstunden angesammelt. Sie blieben letztlich unbezahlt, weil ich keinen zweiten Prozess mehr führen wollte. Ich habe die Abfindung aus dem ersten genommen. Davon wollte das Finanzamt natürlich noch was, und die Anwältin sollte ja auch bezahlt werden. Für mich war wichtig, dass sich dieser Prozess überall rumgesprochen, dass ich mich getraut und die Ex-Chefin der Spedition verklagt hatte.

Das ist wohl auch mutig, denn obwohl es vielen offensichtlich so ergeht, trauen sich die meisten nicht zu klagen oder damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Es gibt so viele dubiose Firmen. Der holländische Spediteur hat mir zum Beispiel Übernachtungsgeld berechnet, weil ich im Lkw geschlafen habe. Ich hatte ständig Angst. Für mich ging es ums nackte Überleben, und da lässt du viel mit dir machen. Miete, Strom, mein Auto, das ich brauchte, um zur Arbeit zu kommen. Ich stand jahrelang permanent unter Strom. Diesen innerlichen Stress kann ich kaum beschreiben. Der Druck war so groß, privat ging alles den Bach runter, ich wusste keinen Ausweg mehr. Als ich dann vor meinen Trümmern stand, war diese Anwältin ein Segen.

Sie war ein Segen und dann gab es noch den Zufall, dass Sie bei der Verlosung des Bedingungslosen Grundeinkommens wirklich das Glück hatten, gezogen zu werden. Der Verein mit Sitz in Berlin vergibt per Los an Menschen – egal in welchem Alter und welcher Lebenssituation – ein Jahr lang ein monatliches Einkommen in Höhe von 1000 Euro. Dafür kann man sich bewerben. Wie kamen Sie denn auf die Idee?

Mein Kumpel hatte mir davon erzählt. Ich konnte das gar nicht glauben, dass es so etwas gibt. Habe mich aber trotzdem angemeldet und gedacht, du gewinnst sowieso nicht. Dann kriegte ich im Dezember 2019 die Nachricht, dass ich von Januar bis Dezember 2020 das Bedingungslose Grundeinkommen erhalten werde. Für mich war das eine Grundsicherung. In der Zeit konnte ich den Job wechseln. Jetzt habe ich wirklich eine gute Firma, verdiene gutes Geld, der Chef ist total fair, es gibt keinen Ärger. In dem Jahr, als ich das Grundeinkommen bezogen habe, wusste ich, egal was kommt, ich kann die Miete bezahlen, für mich Essen einkaufen, Rechnungen begleichen. Und jetzt habe ich es geschafft, ich bin schuldenfrei, habe jeden Euro abgezahlt. Ich bin aus diesem Strudel rausgekommen, weil ich wusste, mit dem gewonnenen Grundeinkommen kann mir erst einmal nichts passieren. Für ein ganzes Jahr war ich abgesichert. Das gab mir eine solche innere Ruhe. Das war ein Glück und wirklich ein Segen.

Und der neue Job, da fühlen Sie sich gut und endlich angekommen?

Ich hatte meinem Arbeitgeber erzählt, welche Ängste und Sorgen ich zuvor hatte. Daraufhin gab er mir einen unbefristeten Vertrag. Ich mache die Arbeit gern, fällt jemand aus, springe ich ein, mein Lohn kommt zuverlässig Monat für Monat. Mein Leben ist für mich jetzt gut planbar, ich kann mir wieder etwas vornehmen. Ich hoffe einfach, dass ich dort, wo ich jetzt bin, bleiben kann. Am liebsten bis zur Rente.

Geschrieben von:

Paula Hansen

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