Wirtschaft
anders denken.

Journalistische Rebellion in der Schweiz

02.05.2017
Hier wird um neuen Journalismus für die Schweiz gerungeneFoto: Projekt-R ConstructionOrt journalistischer Rebellion und Visionen in Zürich.

Die seit Jahren anhaltende Krise der Tageszeitungen, einschließlich der damit verbundenen erheblichen Verluste an Qualität, treibt Journalisten in der Schweiz zu einem bemerkenswerten Projekt: ein anspruchsvolles gesellschaftspolitisches Onlinemagazin. Die Resonanz auf den erwarteten neuen Journalismus ist bereits nach wenigen Tagen enorm.

Dass die Printmedien, insbesondere die Tageszeitungen, schon seit vielen Jahren kriseln, an Auflage und Einnahmen verlieren, ist nicht neu. Und auch die Art, wie die großen Medienhäuser den Qualitätsjournalismus retten wollen, ist bekannt: Sparen, Stellenstreichen, Umfang kürzen, Honorare kürzen, Inhalte boulevardisieren, vielfältig mit andern Medienunternehmen kooperieren, was zusätzlich zur Uniformierung der Inhalte beiträgt. Der Werkzeugkasten, mit dem der Qualitätsjournalismus »gerettet«, also langsam, aber sicher zu Tode gespart wird, sieht in ganz Europa gleich aus; in ganz Nordamerika gibt es kein halbes Dutzend Qualitätszeitungen mehr.

In der Schweiz, in der wenige Konzerne den Printmedienmarkt beherrschen – nämlich Tamedia, Ringier, Neue Züricher Zeitung (NZZ) – und eine sehr große Zahl von Lokalblättern mehr schlecht als recht überleben, wurden die Instrumente aus diesem Werkzeugkasten besonders rigoros angewendet. Auch das lückenhafte Schweizer Arbeitsrecht sowie die schwachen Gewerkschaften sind Gründe, warum eine Sparrunde auf die nächste folgt.

Niveauverlust der Qualitätsblätter

Festangestellte Schweizer Journalisten und freie Mitarbeiter bekamen und bekommen das gleichermaßen zu spüren: Ehemalige Qualitätsblätter wie die Weltwoche, die Basler Zeitung, die Berner Zeitung, das St. Galler Tagblatt und besonders der einst angesehene liberale Zürcher Tages-Anzeiger von der Tamedia-Gruppe verloren mit der Ausdünnung der Redaktionen und der Kürzungen der Ressortetats ständig an Niveau. In der Schweiz kommen offen politische Aspekte hinzu: Einzelne Blätter wie die Weltwoche und die Basler Zeitung wurden faktisch zu Spielzeugen für Milliardäre, wie Tito Tettamanti und Christoph Blocher; ein Verkauf der kompletten Tamedia-Gruppe scheiterte in letzter Minute am Widerstand der Verlegerfamilie. Diese Milliardäre wollen dabei nicht nur Kasse machen, sondern obendrein politischen Einfluss gewinnen: der Rechtspopulist Christoph Blocher ist bereits seit vielen Jahren politisch aktiv, auch heute noch der geheime Chef der nationalistischen Schweizerischen Volkspartei.

Die renommierten Journalisten Constantin Seibt (Tages-Anzeiger) und Christof Moser (Schweiz am Sonntag) litten wie viele unter Spardruck, Qualitätsverlust, reißerischen Schlagzeilen, seichten Themen und dem Ausbau der Online-Kurzfütterung des Publikums mit Empörungsgeschichten. Die beiden kündigten ihre festen Stellen und planten minutiös ihr Projekt R (für »Republik«). Ihre Überlegung: Journalismus muss nicht nur intellektuell, sondern auch finanziell auf eine demokratische Basis gestellt werden. Mit anderen Worten: Aufgeklärte Bürger müssen »ihre« Informationen haben wollen und sich im Gegenzug finanziell engagieren. In diesem Fall für ein neues Magazin, das wichtige Themen aufgreift: von der Bankenkrise über die Energiewende bis zur Zukunft des Sozialstaats und der Arbeit. Demokratie brauche, so die Gründer, einen aufklärerisch-kritischen Journalismus unabhängig von Verleger- und Investorenwillkür, kurzlebigen Moden und Lifestyle-Nickeligkeiten. Journalismus nicht als biederes Geschäftsmodell, sondern als res publica – eine Sache der Öffentlichkeit.

Neuer Journalismus – als hätte die Schweiz Anschluss ans Meer

So planen Seibt und Moser seit Monaten mit einigen KollegInnen ein Online-Magazin für die öffentliche Debatte über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie versprechen, nichts zu machen »als das Wichtige«. Aber dieses Wichtige »müssen wir groß machen, groß in der Recherche, im Blick, in der Aufmachung – und großzügig in der Haltung: So, als hätte die Schweiz Anschluss ans Meer.«

Das Wichtige groß machen, will Projekt R: in der Recherche, in der Aufmachung, so, als hätte die Schweiz Anschluss ans Meer.

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Eine kleine Redaktion soll das anspruchsvolle Projekt stemmen – nicht allein, auch durch den Ankauf von gut recherchierten Texten aus dem Ausland. An den Start wollen sie jedoch erst gehen, wenn eine Finanzierung steht, welche die Unabhängigkeit sichert: Investoren und Spender haben dem Projekt bisher 3,5 Millionen Franken zugesagt. Sie haben die Zahlung jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Projekt-Betreiber zuvor bei der potenziellen Leserschaft 750. 000 Franken und 3.000 Genossenschaftsmitglieder mobilisieren. Beteiligen kann sich jeder und jede mit 240 Franken pro Jahr als Genossenschafter, mit 1.000 Franken als Gönner oder mit einer unbegrenzten Summe als Spender.

Dem neoliberalen Informationsbusiness Paroli bieten

Die Crowdfunding-Kampagne startete erst vor wenigen Tagen. Die Resonanz übertrifft alle Erwartungen: Bis vergangenen Samstag gewann das Projekt 9.200 Genossenschaftsmitglieder, die insgesamt 2,3 Millionen Franken zu zahlen bereit sind, um das Projekt R zum Laufen zu bringen. Dass ausgerechnet der alte Genossenschaftsgedanke dem darbenden, kapitalistisch-neoliberalen Informationsbusiness ökonomisch, intellektuell und politisch Paroli bieten könnte, ist ein ironischer Kollateralgewinn.

Geschrieben von:

Rudolf Walther

Historiker

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