Wirtschaft
anders denken.

Kahlschlag im Märchenwald

04.01.2017
Ein Holztransporter und gerodete Baumstämme an einem HangFoto: Kathrin Lauer / dpaRumäniens Urwälder werden abgeholzt, jeden Tag eine Fläche von 70 Fußballfeldern.

Waldvernichtung in Rumänien: Wie ein der österreichische Holzunternehmer Schweighofer einen Markt schafft und sich hinter ihm versteckt.

Arpașu. Wer mit Mihail Hanzu durch den Wald wandert, muss Kondition mitbringen. Der junge Forstwirt stapft einfach weiter. Je höher wir hinaufkommen in die Fogarascher-Karpaten, desto klarer wird an diesem warmen Septemberabend die Sicht. Hier oben sei noch Urwald, ist in den Plänen und Papieren über dieses Gebiet zu lesen. Kein Dschungel mit Affen und Lianen, sondern der große, finstere Zauberwald, in dem sich Hänsel und Gretel verliefen: mit Bären, Wölfen, Luchsen und mit bis zu 450 Jahre alten Fichten, dicken Eichen, Buchen, Kiefern. Der Weg hier hinauf lohnt sich. »Die sind frisch geschlagen«, sagt Mihail und zeigt auf einen Stoß Buchenstämme am Wegrand. Buchen haben im Sommer Schonzeit.

Die letzten Urwälder verschwinden

Aus der Ferne singen die Kreissägen. Nach den ersten Kilometern schon donnert ein riesiger Traktor mit mannshohen Rädern den Hohlweg hinab und zieht an Ketten dicke Fichtenstämme hinter sich her. »Das Nadelholz wird gezielt herausgeschlagen«, sagt Mihail und zeigt, wie sehr der Hügel links und der Hügel rechts sich schon unterscheiden. Es war einmal. Bald gibt es die urtümliche Landschaft nur noch in Grimms Märchen.

Immer weiter gehen, bis man ganz klar sieht: Das ist alles, was der Waldenthusiast aus Siebenbürgen tun kann. Vor den Augen der Behörden, der NaturschützerInnen, der Politik, der Europäischen Union verschwinden Mitteleuropas letzte Urwälder. Nach Satellitenaufnahmen hat Rumänien zwischen 2000 und 2011 rund 280.000 Hektar Wald verloren, mehr als die Fläche des Saarlands – die Hälfte davon in Schutzzonen.

70 Fussballfelder Wald werden in Rumänien Tag für Tag illegal geschlagen.

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An Gesetzen, Vorschriften, Kontrollsystemen fehlt es so wenig wie an Berichten, Mahnungen, Warnungen. Voriges Jahr hat die kleine, aber schlagkräftige Environmental Investigation Agency (EIA) mit dem deutsch-amerikanischen Ermittler Alexander von Bismarck an der Spitze einen gut dokumentierten Bericht über die rumänische »Holz-Mafia« veröffentlicht. Greenpeace, der WWF, zwei nichtkommerzielle, aber hoch professionelle Journalistenprojekte, etliche rumänische Naturschutzorganisationen sind am Thema dran und gehen tief in die Details. Gabriel Paun, Gründer der Organisation »Agent Green«, hat im Oktober für seinen Einsatz einen Preis der Stiftung EuroNatur bekommen. Alle wissen alles. Nur hilft es alles nichts. Nach wie vor werden in Rumänien Tag für Tag 70 Fußballfelder Wald illegal geschlagen.

Schuld ist der Markt; so steht es in den Lehrbüchern der Mainstream-ÖkonomInnen. Er bewirkt, dass »in rumänischen Wäldern vieles schiefläuft«, wie selbst der Marktführer Gerald Schweighofer, ein Unternehmer aus Österreich, bereitwillig zugibt. Aber wer wie Mihail Hanzu weiter geht und klar sehen will, erkennt hinter der angeblich anonymen Gewalt des Marktes ein Gesicht. Der Markt, der da jetzt seine unerbittlichen Gesetze entfaltet, entstand nicht einfach und von sich aus. Er wurde gemacht – und zwar von ebenjenem Gerald Schweighofer, Inhaber einer Firma mit 3.500 MitarbeiterInnen. Er profitiert am meisten. Es waren nur drei Schritte nötig: Erst Nachfrage schaffen, dann für das Angebot sorgen, wenn nötig, die Politik einschalten. Der Markt – eine scheinbar komplizierte Sache, die aber ganz einfach zu machen ist.

Wo kein Markt ist, muss er gemacht werden

Am Anfang stand die Nachfrage. Ab Ende der 1990er-Jahre verkaufte Gerald Schweighofer seine Niederlassungen in Westeuropa, nahm dann das ganze Geld und setzte ein riesiges Sägewerk ins waldreiche Siebenbürgen, genauer: nach Sebes, zu Deutsch Mühlbach. Die Kapazität des neuen Werks ging weit über das hinaus, was damals ringsum an Holz geschlagen wurde – und, wie sich bald zeigte, auch weit über das, was nach den Gesetzen des Landes geschlagen werden durfte.

Das Holz würde schon kommen und sich der Riesensägerei anbieten, so das Kalkül. Und es kam. Als erste Lieferanten boten sich die »Motzi« an, Bauern aus den nahen Apuseni-Bergen, die ihre Waldnutzungsrechte aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia zu einem guten Preis verkauften. Schweighofer zahlte bestens. Holzfäller gründeten Firmen. Wer einen Lkw auftreiben konnte, verlegte sich auf den Transport von Baumstämmen. Inzwischen sind viele Hügel in den Apuseni-Bergen kahl. »Wir haben nicht mal mehr Feuerholz für den Winter«, beklagt sich ein Bauer. Im Frühjahr wälzen sich schon Schlammlawinen durch die Dörfer.

Wald kann man kaufen, wie es der Möbelkonzern Ikea tut, inzwischen der größte private Waldbesitzer in Rumänien.

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Schweighofer hilft seinen HolzlieferantInnen beim Start-up, zahlt ihnen im Voraus bis zu sechsstellige Eurobeträge für das Anlegen von Forstwegen, die Anschaffung von Sägen und Traktoren. Liefermengen werden vereinbart. Wer mehr liefert, kriegt obendrein einen Bonus. Die Nachfrage schafft das Angebot, und das bringt immer mehr Nachfrage hervor. »Wenn wir unsere Kapazität voll ausfahren, bleibt für andere kein Platz«, verriet ein Top-Manager von Schweighofer einem Umweltschützer, der sich ihm gegenüber als Großkunde ausgab. Inzwischen verfügt Schweighofer über drei Sägewerke und zwei Plattenfabriken im Land und muss, um sie noch auszulasten, Holz schon in großem Stil aus der Ukraine importieren.

Katz-und-Maus-Spiele mit den Überwachern

Am Werkstor, wo die Laster mit den Baumstämmen ankommen, achten die Leute von Schweighofer darauf, dass alle gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden. Die Stämme sind an der Schnittstelle einzeln markiert. Jede Holzladung muss man genau nachverfolgen können, vom Sägewerk bis zurück in den Wald. Dort hat jeder Baumstumpf sein Zeichen vom Forstverwalter. Weil trotzdem wie wild weiter abgeholzt wird, hat der Staat mehrfach seine Überwachung nachgerüstet. Die Lkws müssen inzwischen mit GPS fahren. Wer als misstrauischer Bürger nachts einen verdächtigen Transport bemerkt, kann eine Hotline anrufen und dort checken lassen, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

Das Angebot des begehrten Rohstoffes Holz wuchs, ganz ohne weiteres Zutun aus dem Hause Schweighofer; und der hat keine Probleme, sein verarbeitetes Holz weiterzuverkaufen. Die Grenzen der Legalität waren rasch überschritten. Zwischen Polizei und Behörden auf der einen und übereifrigen Holzfällern auf der anderen Seite entwickelte sich ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem schon bald nicht mehr klar war, wer die Katze und wer die Maus war. In der Maramuresch, einem idyllischen Landstrich im Norden des Landes, kaufte die kriminelle Butanu-Gang PolitikerInnen, bedrohte KritikerInnen, sogar PolizistInnen, und verkaufte ihr Holz an Schweighofer. Bandenchef Toader Timis zeigte sich selbst vor Fernsehkameras von allen rechtlichen Drohungen unbeeindruckt: »Ruft ruhig einen Anwalt! Bis der so weit ist, habe ich hier längst alles abgeholzt.«

Ein Polizist, der sich mit der Korruption nicht abfinden wollte, handelte sich eine zweijährige Haftstrafe ein.

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Mihail Hanzu, der engagierte Förster, hat die behördliche Seite des krummen Geschäfts kennengelernt. Gleich seine zweite Arbeitsstelle nach dem Examen führte ihn in die Forstverwaltung seiner Heimatstadt, wo er sah, wie seine KollegInnen mit fest zugedrückten Augen Bewilligungen zum Abholzen ausstellten. Ohne sie würde das System nicht funktionieren. Nur der Fachmann kann schließlich wissen, wie viel Wald am Ende wie viel Holz ergibt und dann am Ende im Sägewerk ankommen kann. Nach einer neuen, von Schweighofer propagierten Messmethode bringt ein Baum jetzt um fünf bis zehn Prozent mehr Holz als nach der alten. Die Folge: Für die Herkunft einer größeren Menge Holz muss nur noch eine kleinere Fläche Wald nachgewiesen werden. Und immer gibt es Ausnahmen von den Einschränkungen, denen die Holzernte unterliegt. Ausnahmen, die man genehmigen kann oder nicht: Wo hat der Wind, wo der Borkenkäfer Einzug gehalten? Und wie sehr? Das kann allein der Förster bescheinigen.

Der Bürgermeister, dem Hanzu von den Praktiken berichtete, warf ihn hinaus. Die Polizei ließ ihn auf dem Flur stehen. Dabei ging es ihm noch gut. Ein Polizist, der sich mit der Korruption nicht abfinden wollte, handelte sich mit seiner Quertreiberei eine zweijährige Haftstrafe ein. Holzhändler sagten aus, er habe sechs Baumstämme gestohlen.

Wenn Korruption als Sponsoring daherkommt

Inzwischen ist der promovierte Hanzu, weit unter seiner Qualifikation, als Hilfskraft beim staatlichen forstwissenschaftlichen Forschungsinstitut in Sibiu angestellt. Aber das Elend geht dort weiter. »Bei uns am Institut werden die Begründungen erdacht, mit denen man dann trotzdem abholzen darf.« Sieben von zehn Bäumen in Rumänien, sagt Hanzu, fallen inzwischen »Gelegenheitsschlägerungen« zum Opfer, begründet mit Insektenplagen oder Windfall. Die forstwissenschaftliche Fakultät in Suceava im Nordosten Rumäniens hat von Schweighofer jüngst eine Spende von 30.000 Euro bekommen. Hier, auf der Ebene der Forschung, ist das nicht Korruption. Es ist Sponsoring.

Angebot schaffen, das heißt zunächst: dafür sorgen, dass die Waldbesitzer auch tüchtig Bäume fällen lassen. In kommunistischer Zeit gehörten Rumäniens Wälder alle dem Staat, heute nur noch die Hälfte. Privatwald verspricht die reichste Ernte. Zwar muss auch hier die Behörde ihr Okay zu den Bewirtschaftungsplänen geben. Dort steht genau verzeichnet, über welchen Zeitraum wie viele Bäume gefällt werden dürfen. Aber den Planer darf der Waldeigentümer sich selbst aussuchen. Und zustimmen muss nur ein einziger schlecht bezahlter und im Zweifel überlasteter Beamter.

Waldverkauf mit betrügerischen Tricks

Wald kann man kaufen, wie es der Möbelkonzern Ikea tut, inzwischen der größte private Waldbesitzer in Rumänien. Das ist ja an und für sich nichts Unmoralisches, dass man einen Wald kauft und den dann bewirtschaftet. Die kaufen ja nicht im Naturschutzgebiet. Wald kauft auch Schweighofer. Wie es dabei zugeht, ist im letzten Sommer aktenkundig geworden, als am Südrand der Karpaten zwei Männer zu sieben und siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Der eine, ein Beamter der staatlichen Forstverwaltung, hatte dem anderen dabei geholfen, sich einen Wald »rückerstatten« zu lassen, und dafür pro Hektar 100 Euro Schmiergeld kassiert. Der falsche Grundbesitzer ging kriminell vor. Er ließ sich im Katasteramt die Unterlagen zeigen und schmuggelte bei der Gelegenheit eine mitgebrachte, professionell gefälschte Schenkungsurkunde zwischen die Papiere. Anderntags kam er wieder, »fand« das Schriftstück, ließ es beglaubigen und begründete damit seinen Anspruch.

Die betrogene Gemeinde wehrte sich und schaltete einen Anwalt ein. Genau den richtigen, wie sich herausstellte: Bogdan Tudor. Der junge Jurist aus Râmnicu Vâlcea recherchierte und stieß bald auf die Spur der Firma Schweighofer. Noch bevor die betrügerische Rückerstattung über die Bühne war, verhandelte der falsche Grundbesitzer schon über den Weiterverkauf – an die Immobilien-Tochterfirma von Schweighofer. Deren rumänischer Geschäftsführer trat im Prozess als Zeuge auf und verschwand dann in der Versenkung. Das Gerücht, der Mann sei jetzt in Österreich für Schweighofer tätig, will ein Konzernsprecher nicht kommentieren.

Bogdan Tudor ließ nicht locker. Während der Fall aus den Südkarpaten sich über zehn Jahre hinzog, wurden dem Anwalt immer mehr ähnliche Fälle zugetragen – 69 allein aus der nördlichen Moldau, wo Schweighofer ein weiteres großes Sägewerk aufgezogen hat. Dass die Betrügereien irgendwann auffliegen, wenn der hartnäckige Anwalt dranbleibt, mag den Tätern irgendwann auch Gefängnis einbringen. Der Wald liegt dann allerdings längst in Form von Ofen-Pellets in deutschen Supermärkten.

Gerald Schweighofer, ein Milliardär und Ehrenmann

Für eine Heuschrecke hält Schweighofer niemand. Die Familie, der das Unternehmen gehört, ist seit mehr als 400 Jahren in der Holzwirtschaft unterwegs. Gerald Schweighofer, der aktuelle Erbe, hat in einem Video auf die vielen Vorwürfe reagiert, sich zur »Nachhaltigkeit« bekannt und dem Zuschauer dabei streng, aber sichtlich auch ein wenig verletzt in die Augen geschaut. KritikerInnen erleben den 58-jährigen Milliardär mit den weißen Haaren als umgänglichen, gebildeten Herrn mit besten Umgangsformen. Gabriel Paun, der rumänische Aktivist, hatte gleich mehrere Treffen mit dem Firmenchef und seinen wichtigsten Managern. Sogar den lästigen Anwalt Bogdan Tudor hat Schweighofer schon getroffen. »Wann kommen Sie mal nach Wien?«, hatte der Konzernchef ihn gefragt.

Solange über die fragwürdige Herkunft dieser oder jener Holzladung gestritten wird, funktioniert der »offene Diskurs mit den Stakeholdern«, zu dem der Konzern sich bekennt, einwandfrei. Aus »Unregelmäßigkeiten« werden, wenn bekannt, »die Konsequenzen gezogen«, heißt es in Wien. Mit den schwer kriminellen Gebrüdern Timis hat es »in der Vergangenheit eine Geschäftsbeziehung gegeben, welche aber eingestellt wurde« – was einen nicht wundern muss, denn die beiden kamen schließlich ins Gefängnis.

Alle Dialogbereitschaft und alle Flexibilität hat aber die Penetranz der NaturschützerInnen nicht abbiegen können. Inzwischen ist der Ruf des Konzerns in Branchenkreisen angeschlagen. Der Holzwirtschaft ist Nachhaltigkeit wichtig; sie hat den Begriff geprägt. Das wichtige FSC-Siegel, das Unternehmen und Naturschützer gemeinsam führen, steht normalerweise auf jedem Schulheft und jedem Pellets-Sack. Schweighofer darf es nicht mehr führen. Die österreichische Prüffirma Quality Austria, die den Landsleuten vom Schweighofer-Imperium das Zertifikat ausgestellt hatte, wurde von weiteren Prüfungen im Auftrag der internationalen Waldschützer suspendiert.

In kommunistischer Zeit gehörten Rumäniens Wälder alle dem Staat, heute nur noch die Hälfte.

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»Warum sind Sie nach Rumänien gekommen?«, hat Gabriel Paun, der rumänische Aktivist, der ihm so zusetzt, den Konzernchef gefragt. »Weil ihr da so gutes Holz habt«, hat Gerald Schweighofer treuherzig geantwortet. Angebot und Nachfrage kommen eben immer irgendwie zusammen. Sogar mit einem guten Gewissen versorgt der Markt seine TeilnehmerInnen.

Ernst wird es für Schweighofer erst, wenn der Markt selbst in Frage steht. Als alle Regeln und Kontrollen den Waldfrevel nicht abstellen konnten, beschloss die Regierung in Bukarest, an der Wurzel des Übels anzusetzen: Sie schrieb ein Gesetz, nach dem ein Unternehmen nicht mehr als 30 Prozent vom Holz einer bestimmten Baumart abnehmen darf. Der Plan rief umgehend den österreichischen Botschafter auf den Plan. Er schrieb an den rumänischen Umweltminister, fügte die Beschwerden der Firma Schweighofer an und verlangte ein Gespräch des Ministers mit deren Management – zur Sicherheit im Beisein des österreichischen Handelsattachés.

Das Gesetz kam trotzdem durch, wird aber nicht angewendet: Der Markt steht unter dem Schutz der EU-Wettbewerbsregeln. Nur für einen Moment hat er ein Gesicht gezeigt.

Der Artikel erschien in der OXI Dezemberausgabe.

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Geschrieben von:

Norbert Mappes-Niediek

Freier Journalist

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