Wirtschaft
anders denken.

Eurozone – kann die überhaupt funktionieren?

31.01.2017
Das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Hüterin der Preisstabilität der Eurozone.Foto: Christine und Hagen Graf /flickr CC BY 2.0Das EZB-Ziel der Preisstabilität passt für die Eurozone nicht.

Über die Zukunft des Euro wird momentan fast nur politisch diskutiert. Auch weil die Idee des Nationalismus wieder aufsteigt. Aus Sicht der Ökonomie ist die Frage: Ist die Eurozone ein geeigneter Währungsraum? Teil 1 der Serie zur Eurozone.

Amerikanische Ökonomen, so die beiden Träger des Wirtschafts-Nobelpreises Paul Krugman und Joseph Stiglitz, haben den Euro aus ihrer keynesianischen Sicht als Fehlkonstruktion kritisiert. Sie begründen ihre Kritik mit der Theorie eines optimalen Währungsraums, entwickelt von Robert Mundell in den frühen 1960er Jahren; ebenfalls Träger eines Wirtschafts-Nobelpreises. Danach benötigt ein Währungsraum, in dem es unterschiedlich produktive Wirtschaftsregionen gibt, Institutionen, die dafür sorgen, dass diese unterschiedliche Wertschöpfung in den einzelnen Regionen mindestens teilweise ausgeglichen wird.

In den USA gibt es den Ausgleich – zwischen armen und reichen Bundesstaaten

Krugman und Stiglitz erklären das am Beispiel der USA, ein Wirtschafts- und Währungsraum mit großen ökonomischen Unterschieden: etwa zwischen erfolgreichen Staaten wie Kalifornien und New York einerseits und einer Reihe von verarmten Staaten mit niedriger Wertschöpfung, angeführt von Louisiana, Arkansas und Alabama andererseits. Hier sorgt der Bundesstaat USA beispielsweise bei wirtschaftlichen Krisen (»asymmetrische« Schocks) für einen teilweisen Ausgleich, indem er die Arbeitslosenversicherung und manche Sozialprogramme (Medicaid und Medicare, also Gesundheitsleistungen für Arme und Alte) finanziert. So trägt die US-Bundesregierung beispielsweise für Louisiana 40 Prozent der dortigen öffentlichen Ausgaben.

Für die Eurozone gilt: Hilfe für die Schwachen untersagt

Die Eurozone ist nach dieser eingangs erwähnten Theorie im Prinzip ein geeigneter Währungsraum, weil die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den einzelnen Ländern hoch ist. Anhand dieser Theorie kann jedoch auch gezeigt werden, wo die Währungsunion, bei ihrer Gründung, falsch konstruiert worden ist. Und wie folgenreich das ist. So gibt es erstens zwar den EU-Strukturfonds, der für einen Finanzausgleich zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Ländern sorgen soll. Dafür ist er jedoch finanziell völlig unzureichend ausgestattet. Und gegenseitige Hilfe ist zweitens in Krisenfällen klar verboten: sagt die sogenannte Bail-out-Klausel. Drittens ist die Ausgabe von europäischen Staatsanleihen (Eurobonds) untersagt; auf diese Weise könnten sich wirtschaftlich schwächere Staaten in der Regel zu günstigeren Zinsen an den Kapitalmärkten refinanzieren. Und zum vierten wurde die neue Zentralbank, EZB, in ihrem geldpolitischen Handlungsspielraum enorm beschnitten: Sie soll auf keinen Fall – als Kreditgeber der letzten Instanz (Lender of last Resort) – etwa hoch verschuldete Banken und Staaten finanziell handlungsfähig halten können. Die EZB hat allein die Aufgabe, wie die Deutsche Bundesbank, für Preisstabilität zu sorgen.

Preisstabilität über alles – für die Eurozone passt das nicht

Diese einseitige Festlegung passt zu einer Wirtschaftsgesellschaft, die (wie die deutsche) stark auf Exporte ausgerichtet ist; denn eine Inflation, die niedriger ist als in anderen Ländern, führt zu einer Unterbewertung der eigenen Währung (damals der DM), was einen realen Wechselkursvorteil bedeutet und damit bessere Bedingungen für das Exportgeschäft schafft. Eine so konzipierte Geldpolitik taugt aber nicht für eine Währungsunion von Ländern, wie die Eurozone, die wirtschaftlich unterschiedlich leistungsfähig sind. Erst im Jahr 2012, also Jahre nach der großen Finanzmarktkrise, hat die EZB unter Mario Draghi die Rolle dieses Lender of last Resort übernommen und übernehmen können, indem sie begann, Anleihen von wirtschaftlich schwachen Eurostaaten aufzukaufen, um diese zu stützen. Das geht so: Sie kauft Banken, die Staatsanleihen halten, diese Anleihen ab und bezahlt die Banken mit Zentralbankgeld. Das führt einerseits zu einer Ausweitung der potentiellen Geldmenge und soll die Banken weiter befähigen, Kredite an Unternehmen zu geben, die investieren wollen. Das große Ziel: Keine geplante Investition soll am Mangel an Kredit und Geld scheitern. Das stößt auf starken Widerstand der deutschen Regierung. Auch die aktuelle Geldpolitik der EZB mit Leitzinsen von Null (und negativen Einlagezinsen von Banken, die ihr Geld bei der EZB »parken«) passt vor allem Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht. Für ihn mischt sich die EZB zu stark in die operative Wirtschaftspolitik ein: Denn mit ihrer Politik des massenhaften billigen Geldes will sie Banken animieren, Unternehmen günstig Kredite anzubieten, damit diese mehr als bisher investieren. Die EZB will verhindern, dass die Eurozone nicht in eine Rezession gerät.

Die Fehlkonstruktion des Euro – »Verdienst« von Waigel und Tietmeyer

Heute werden die Verdienste von Hans Tietmeyer, früher Finanzstaatssekretär und Bundesbankpräsident, bei der Konstruktion der europäischen Währungsunion herausgehoben. Wenn man es präziser sagen will: Er hat sich um das heutige Desaster verdient gemacht. Denn sein Einfluss war mit entscheidend dafür, dass einerseits die EZB faktisch eine deutsche Bundesbank der Eurozone wurde – denn wie die Bundesbank ist die EZB allein auf die Sicherung der Preisstabilität festgelegt. Und: Die Wirtschafts- und Fiskalpolitik der einzelnen Euro-Staaten wurde >kastriert<, da ihre Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, stark begrenzt wurde. Tietmeyer konnte sich mit seinen Vorstellungen durchsetzen, weil er eine breite Phalanx von Ökonomen, Politikern und eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter sich hatte. Er und sein Bundesfinanzminister Theo Waigel (1989-1998) haben sich EU-weit auch deshalb durchgesetzt, weil der Widerstand Frankreichs, Italiens und anderer Länder Anfang der 1990er Jahre entsprechend schwach war.

Die Währungsunion sollte nach deutschen Vorstellungen eben gerade keine Transferunion werden, in der wirtschaftlich starke Länder den wirtschaftlich schwachen helfen, in der Unterschiede ausgeglichen werden. Mit den sogenannten Konvergenzkriterien – gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt darf die Kreditaufnahme jedes Staates pro Jahr die Drei-Prozent-Marke und die Staatsverschuldung die 60-Prozent-Marke nicht überschreiten – wurden die Spielräume der Nationalstaaten spürbar und bewusst eingeschränkt. Zudem waren mit der Währungsunion Auf- und Abwertungen – wie bisher – ausgeschlossen; eine weitere massive Einschränkung der jeweils nationalen Wirtschafts- und Währungspolitik.

Wie zu Zeiten der der Golddeckung, diesem »barbarischen Relikt«

Dadurch wirkt der Euro ähnlich wie eine Golddeckung des umlaufenden Geldes. Bei einer Golddeckung des Geldes werden Kreditschöpfung und Entwicklung der Geldmenge von der Goldproduktion begrenzt; damit wird verhindert, dass die Mitglieder der Währungsunion über ihre Notenbank selbst Geld herstellen konnten. Dieses Konzept wurde von einflussreichen deutschen Ökonomen entwickelt, die in der dogmatischen Tradition des Ordoliberalismus standen – sie sahen in dieser strikten Begrenzung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Nationalstaaten ein Muss, eine Grundbedingung. Der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek hatte bereits in den 1930er-Jahren ein ähnliches Konzept vorgeschlagen, um gegen die Dominanz der keyneschen Lehre zum Goldstandard zurückzukehren. Keynes hatte das Prinzip der goldgedeckten Währung bereits 1923 als »barbarisches Relikt« bezeichnet.

Zurück zu heute: Diese Selbstfesselung der Währungsunion wurde aber nach 2012 von der EZB selbst aufgehoben. Das war möglich, weil die deutsche »Fraktion« im Zentralbankrat, die strikt für Preisstabilität und sonstiges »Nichtstun« plädierte, in die Minderheit geraten war. Das machte es der EZB möglich, zum geldpolitischen Modell der anderen großen Zentralbanken überzugehen. Allerdings blieb ihr weiterhin die Möglichkeit versperrt, direkt Anleihen von Staaten zu kaufen und damit Staaten direkt zu finanzieren. Sie kann nur Staatsanleihen auf den Kapitalmärkten (den sogenannten »sekundären« Märkten) kaufen, auf denen diese gehandelt werden. Wegen dieser Einschränkung wirken Fiskalpakt und Schuldenbremse weiter und blockieren eine echte wirtschaftliche Erholung in der Währungsunion.

EZB kauft Anleihen ohne Ende – bringt das überhaupt was?

Warum? Der EZB ist es nach EU-Recht verboten, direkt Anleihen von Staaten zu kaufen. In den USA und Japan können dies die Notenbanken. Das heißt, in der EU geht der Weg so: Staaten müssen sich bei Banken Geld leihen. Und diese Anleihen kauft dann die EZB von den Banken. Genau an dieser Stelle liegt die Bremse: Denn überschuldeten Staaten ist es untersagt, sich weiter Geld bei Banken zu beschaffen. Das heißt, in der Eurozone sind aufgrund dieser Festlegungen die Banken die entscheidenden Akteure. Noch etwas läuft schief: Die EZB kauft zwar den Banken die Anleihen ab, schreibt ihnen dafür Zentralbankgeld gut, weshalb die Banken leichter weitere Kredite vergeben können – aber sie nutzen diese Möglichkeit nicht ausreichend. Was noch schief läuft: Die Staaten legen keine umfangreichen öffentlichen Investitionsprogramme auf, um die Wirtschaft anzukurbeln; das fordern die Keynesianer.

Als Folge dieser Missstände geht nun eben die EZB her und kauft – als zweit- bis drittbeste Lösung – immer weiter Anleihen von Unternehmen und vor allem Banken auf, in der Hoffnung, die Preise erhöhten sich endlich – was nun geringfügig in den vergangenen Monaten geschah – und damit ziehe Konjunktur und Wirtschaftstätigkeit an. Das behauptet zwar die Ideologie des Monetarismus, dass eine Ausweitung der Geldmenge zu Inflation führe. Vermutlich ist dies jedoch falsch, denn: Dieses viele billige Geld kommt bei den eigentlichen Konsumenten nicht an. Nur die Wohlhabenden und Reichen nutzen es, um sich zu verschulden und Immobilien und Aktien zu kaufen; so sind mit dieser Geldpolitik weitere Immobilien- und/oder Aktienblasen wahrscheinlicher als eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft. Deshalb wird auch über das Helikoptergeld diskutiert: Die EZB drückt, vereinfacht gesagt, jedem Konsumenten 1.000 Euro in die Hand – dann würden Konsum und Wirtschaft angekurbelt. Noch viel sinnvoller und gezielter: Der Staat würde den sozial Bedürftigen die Transferzahlungen deutlich erhöhen; diese zusätzlichen Ausgaben könnte dann die EZB finanzieren, was sie aber nur machen könnte, wenn sie Staaten direkt finanzieren dürfte, wie in Japan und den USA. Soweit der kleine Ausflug in die Alternativen.

Die Politik der Schröder-Regierung – ein Sargnagel für die Eurozone

Diese verhängnisvolle Rolle der deutschen Politik war möglich, weil nicht nur die konservativen und neoliberalen Ökonomen im Euro den Weg in eine »weiche« Währung gesehen hatten, sondern auch die Politik dieser Befürchtung gefolgt war. So war in den 1990er Jahren die Mehrheit der wichtigen deutschen Ökonomen noch gegen eine Währungsunion und damit gegen den Euro. Dass die ersten Jahre der Währungsunion auf den ersten Blick erfolgreich verlaufen waren, hatte seinen tieferen Grund ausgerechnet in der deutschen Inflationsfurcht. In Deutschland blieben die Inflationsraten 1999 bis 2007 (und danach) niedrig. Das lag daran, dass die damals amtierende rotgrüne Regierung von Gerhard Schröder die deutsche Wirtschaft mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik auf deflationären Kurs hielt; der Staat sparte und gab kein Geld aus, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dies ließ die Arbeitslosigkeit steigen und die Inflation sinken, während die meisten anderen Euro-Länder ein höheres Wachstum und damit auch eine höhere Inflation hatten. Die Folgen: Bei einheitlichen nominalen Leitzinsen der EZB sind die realen, also inflationsbereinigten Zinsen in Ländern mit höherer Inflation niedrig, in Ländern mit niedriger Inflation entsprechend höher. So kam es, dass das reale Zinsniveau in Deutschland hoch und den anderen Ländern niedrig war. Diese Differenz hat in Deutschland das Wirtschaftswachstum gedämpft und in anderen Ländern stimuliert. In Deutschland drückte die hohe Arbeitslosigkeit damals zudem die Löhne nach unten, in den anderen Ländern führte das höhere Wirtschaftswachstum entsprechend zu höheren Löhnen. So blieben die Lohnstückkosten für die deutsche Wirtschaft konstant, in den anderen Ländern stiegen sie; so gewann die deutsche Wirtschaft noch mehr (erdrückende) Wettbewerbsvorteile in der Eurozone.

Es gehört zur politischen Tragik der SPD, dass sie bis heute nicht verstanden hat, dass ausgerechnet Schröders Regierung die aktuelle schwere Krise der Eurozone mit ihrer Politik vorbereitet und verstärkt hat: Denn entscheidend für die schwere Krise sind die gravierend wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Euro-Ländern – die Politik der Schröder-Regierungen hat diese Unterschiede noch vergrößert. Insofern ist es absurd, die aufgrund von Lohnzurückhaltung, gar Lohnsenkungen gestiegene Wettbewerbsposition Deutschlands als Erfolg der Regierung Schröder zu verstehen. Im Gegenteil hat sie damit die Zukunft des Euro aufs Spiel gesetzt.

Teil 2 dieser Serie zur Eurozone

Mehr zu den Aufgaben der EZB in der Printausgabe von OXI. Erhältlich ab 07. Februar hier.

Geschrieben von:

Michael Wendl
Michael Wendl

Mitherausgeber von »Sozialismus«

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