Kapitalismus in der Klimakrise
Wer die Klimakrise beheben will, kommt am Aufbau einer postkapitalistischen Gesellschaft nicht vorbei.
Die Klimaschutzversprechen und -maßnahmen aus Politik und Wirtschaft sind unfähig, die erforderlichen Klimaziele zu erreichen. Anstatt abzunehmen steigt der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen und treibt die Klimakatastrophen voran. Nach 2022 wird dieses Jahr bei den klimaschädlichen Emissionen ein erneuter Rekord erwartet – mit dramatischen Folgen für die Menschheit. Die Klimakrise und deren Verursachung durch Treibhausgase ist seit mindestens fünfzig Jahren bekannt, ohne dass Maßnahmen getroffen wurden, die die Welt vom Kurs auf eine erhebliche Klimaerwärmung hätten abbringen können.
Woran liegt dieses klimapolitische Versagen? Es beginnt mit der Fehleinschätzung der Ursache und endet mit der Erfolgslosigkeit der systemkonformen Maßnahmen. So lenkt die geläufige These »Die Erderwärmung sei menschengemacht«, wie sie auch führende Klimaforschungsinstitute vertreten, von der wahren Ursache ab und führt zum falschen und wirkungslosen Maßnahmeneinsatz. Die gegenwärtige gewaltige Erderwärmung begann nicht mit der Menschheit, sondern mit der kapitalistischen Industrialisierung und wird seitdem durch unser Wirtschaftssystem vorangetrieben. Der Klimawandel ist auf den Ausstoß von Treibhausgasen zurückzuführen, die durch kapitalistische Aktivitäten verursacht werden. Die Steuerungsmechanismen kapitalistischer Gesellschaften weisen Macht-, Eigentums- und Anreizstrukturen auf, die eine Erderwärmung bewirken und die den notwendigen globalen Klimaschutz verhindern. Kapitalistische Ökonomien sind auf Expansion fossiler Energieträger angelegt. Wachstum, Marktkonkurrenz und Profitorientierung führen zur Ausbeutung klimaschädlicher fossiler Ressourcen und damit zur Erderwärmung. Die Schäden der Naturverwertung werden aufgrund der privaten Eigentumsstrukturen des Systems nicht als Kosten eingepreist; sie bleiben in den Marktpreisen unberücksichtigt. Der Staat kann zwar gegenlenken, aber er versagt aufgrund der Macht des Kapitals und seiner beschränkten Regulierungsmöglichkeiten.
Die Macht von Unternehmen lässt sich am Beispiel der Öl- und Gasindustrie beschreiben. Der Ölkonzern ExxonMobil wusste schon seit den 1970er Jahren, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe eine gewaltige Erderwärmung verursachen wird. Trotzdem setzte er aus Gewinn-gründen ungebrochen die klimaschädliche Ölförderung fort. Seit Beginn der Klimakrise spielen die Energiekonzerne die Risiken der Erderwärmung herunter und versuchen aufgrund der hohen Gewinne die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern und zu verzögern. Allein die fünf größten westlichen Ölkonzerne gaben 2019 gemeinsam 200 Millionen Dollar für Lobbyismus aus, damit die politischen Rahmenbedingungen für die weitere Extraktion der fossilen Brennstoffe erhalten bleiben und klimapolitische Schutzmaßnahmen verhindert werden1.
Die Unterstützung der fossilen Energiegewinnung geht in den nachgelagerten Industrien weiter. Die deutsche Autoindustrie verteidigte über Jahre mit erheblichem Lobbyismus den Verbrennungsmotor und verhinderte die Entwicklung des Elektroantriebs, nur um profitable Geschäftsstrategien zu schützen. Zur Medienmaschine der Klimaschädiger gehören nicht nur die Energie- und Autokonzerne, sondern fast alle Wirtschaftsbereiche, die vom Ausstoß der Treibhausgase profitieren. Hierzu gehören neben den Energie- und Auto-, die Flug-, Chemie-, Agrar-, Glas-, Papier-, Stahl-, Metall- und die Bergbaukonzerne. Mit einem global weit gefächerten Netzwerk versuchen diese Unternehmen ihre klimaschädigenden Interessen in der Politik durchzusetzen. »Sie wollen,« so Götze und Joeres, »effektiven Klimaschutz verhindern, um ihre wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Interessen nicht zu gefährden«2.
Aber nicht nur die kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse treiben die Erderwärmung voran. Es ist ebenfalls die Unfähigkeit der Politik, innerhalb des Kapitalismus die notwendigen Klimaziele zu erreichen. Die gepriesene Gegenmaßnahme, die CO2-Bepreisung, ist ein völlig untaugliches Instrument3, um die Treibhausgasemissionen auf das erforderliche Maß zu reduzieren. Ihr fehlt die Lenkungswirkung und weltweit werden nur 20 Prozent der Treibhausgase von einer CO2 – Bepreisung erfasst4. Selbst die bürgerlichen Medien bezeich-nen den praktizierten Emissionshandel als globalen Skandal und Greenwashing, weil der erlaubte CO2-Ausstoß zu 90 Prozent nicht mit entsprechenden Einsparungen von CO2 einhergeht5. So schreibt auch Jens Becker vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln: Dieses Instrument ist in seiner Steuerung »langsam, unpräzise und unvollständig«6. »Von den 187 Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens ist derzeit kein einziger auf dem Weg zur Einhaltung des in Paris vereinbarten 1,5-Grad-Ziels.«7
Auch der empfohlene Konsumverzicht führt in die Sackgasse, weil die Werbung und die Märkte über den Preis- und Wachstumsmechanismus diese Konsumeinschränkungen wieder aufheben. Nicht der Konsument regiert die Wirtschaft, sondern das Kapital mit seinen Herrschafts- und Verwertungsinteressen. Der Konsument wird mit seiner Unkenntnis über die Produktinhalte, seiner Kaufpräferenzprägung durch das Angebot, seiner Isoliertheit und Machtlosigkeit und seiner Manipulations- und Täuschungsmöglichkeit von den Systemstrukturen gesteuert und folgt, abgesehen von Einzelfällen, den Verwertungs- und Marktmechanismen des kapitalistischen Systems. Die Macht des Verbrauchers ist ein Märchen und lenkt von den klima- und umweltschädlichen Ursachen ab. Konsumenten sind nicht die Täter, sondern die Opfer. Sie sind Opfer der kapitalistischen Wirtschaft, die das Klima und die Umwelt zerstört. Wenn bei flexiblen Marktpreisen eine Gruppe von Verbrauchern aus Einsicht und Überzeugung auf den Verbrauch fossiler Rohstoffe verzichtet und dieser Nachfrageausfall bei gegebenem Angebot zu fallenden Preisen führt, sorgt der globale Markt dafür, dass woanders mehr verbraucht wird.8 Wer glaubt, er könne mit seinem verantwortungsbewussten Verhalten das Klima retten, rettet keineswegs das Klima. Irgendwo auf der Erde verwenden andere mehr fossile Brennstoffe und heben das gewünschte Ergebnis wieder auf. Die Machtlosigkeit der Verbraucher zeigt sich beim Fleischverzehr. So geht zwar in Deutschland der Fleischkonsum zurück, aber er expandiert zusammen mit der Fleischproduktion weltweit. Das größte Wachstum des Fleischkonsums findet in Asien und Afrika statt. Mehr als die Hälfte dieses Anstiegs ist auf einen höheren Verbrauch von Geflügelfleisch zurückzuführen.9 Es wird in der kapitalistischen Massentierhaltung billig produziert und teilweise von den Konzernen zu Dumpingpreisen angeboten. Niedrige Fleischpreise kurbeln gemeinsam mit den Marketingmaßnah-men der Agrar- und Lebensmittelkonzerne, dem Wirtschafts- und dem Bevölkerungswachstum die globale Fleischnachfrage an. Der Wachstumszwang, klimaschädlicher Konsum und ein steigender fossiler Energiebedarf sind wesentliche Merkmale kapitalistischer Ökonomien und werden durch den Konkurrenz- und Profitdruck und die Weckung von Konsumbedürfnissen mithilfe des Marketings ständig befeuert. Zunehmende Treibhausgasemissionen sind so unvermeidlich. Die erneuerbaren Energien reichen für den explodierenden Energiebedarf nicht aus und eine absolute Entkopplung bleibt ein Wunschtraum der Kapitalvertreter. Da die kapitalistische Wirtschaft auf der Basis fossiler Energie betrieben wird und aufgrund enormer Gewinne das Weltmarktangebot an fossilen Energieträgern hoch bleibt, erreichen wir in diesem System die Klimaziele nicht.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Klimakatastrophen sich nur verhindern lassen, wenn die kapitalistische Wirtschaftsweise so schnell wie möglich durch eine nachhaltige und solidarische Wirtschaft ersetzt wird. Viele Kapitalismusgläubige sehen zwar die Schwächen des heutigen Wirtschaftssystems, aber zukünftig keine bessere Systemalternative. Doch wer heute auf die Systemumwandlung verzichtet, ist für die Zerstörung der natürlichen und der menschlichen Lebensgrundlagen mitverantwortlich. In meinem Buch «Eine Wirtschaft die tötet. Über den Kapitalismus, seine Überwindung und die Zeit danach«10 zeige ich, wie die kapitalistische Produktionsweise über den direktdemokratischen Weg überwunden werden kann. Es ist die Verbindung von basisdemokratischen Kämpfen der Arbeiter-, Öko-, Frauen- und Friedensbewegung, die notwendigerweise eine kommunistisch-umweltschonende Gesellschaft schaffen und zur Überwindung der Klimakrise führen wird. Ohne Druck von der Straße und einer direktdemokratischen Systemumwandlung passiert nichts.
Einen anderen Weg bietet die TAZ-Redakteurin Ulrike Herrmann11 in ihrem Buch »Das Ende des Kapitalismus« an. Nicht die Bevölkerung, sondern ganz keynesianisch soll der Staat mit seinen Machtmitteln den Kapitalismus in eine Schrumpfungswirtschaft transformieren. Nur über eine Schrumpfung der Wirtschaft ließe sich die Klimaneutralität erreichen. Hier wird das gewünschte Ziel mit den falschen Mitteln angestrebt. Die kapitalistischen Markt- und Wettbewerbsmechanismen erzwingen, abgesehen von Krisen, ein Wirtschaftswachstum und diese Dynamik kann auch der kapitalistische Staat, dessen Aufgabe es ist, die Grundstrukturen des Kapitalismus zu schützen, nicht aufheben.
Wer aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, die Klimakrise beheben und die Natur nachhaltig nutzen will, kommt am Aufbau einer postkapitalistischen Gesellschaft nicht vorbei. Eine kapitalismuskonforme Klimaschutzpolitik landet notwendigerweise in der Sackgasse.
Alfred Müller, Dr.rer.pol., 1946, studierte Agrarökonomie und Volkswirtschaft in Berlin, Göttingen und Berkeley. Er lebt als politischer Publizist in Hildesheim. Zuletzt erschien von ihm zur Klimakrise »Eine Wirtschaft, die tötet« im PapyRossa-Verlag.
Fußnoten:
- Vgl. McCarthy, Niall. 2019. »Oil and Gas Giants Spend Millions Lobbying To Block Climate Change Policies [Infographic]«. Forbes, 25. März.
https://www.forbes.com/sites/niallmccarthy/2019/03/25/oilandgasgiantsspendmillionslobbyingtoblockclimatechangepoliciesinfographic/?sh=1bed0ebf7c4f (13.1.23) - Götze, Susanne/Joeres, Annika: Die Klima-Schmutzlobby. Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen, Piper Verlag München, 2020, S.16
- Unter einer CO2 – Bepreisung versteht man ein Instrument der Energiepolitik, welches zum Ziel hat, klimaschädliche CO2 – Emissionen zu reduzieren, indem es die damit verbundenen Kosten für die Verursacher (Emittenten) erhöht.
- Vgl. Schiffer, Hans-Wilhelm: Bepreisung von CO2 im internationalen Vergleich, https://www.energie.de/fileadmin/dokumente/et/Archiv_Zukunftsfragen/2019/Zukunftsfragen_2019_09.pdf (13.1.23)
- Vgl. Fischer, Tin/Knuth, Hannah: CO2 – Zertifikate. Grün getarnt, in: www.zeit.de/2023/04/co2-zertifikate-betrug-emissionshandel-klimaschutz/komplettansicht (19.1.23)
- Becker, Jens: Warum reagieren wir zu langsam auf die Klimakrise? In: Die Zeit
- Becker, Jens, dito
- Vgl. Flassbeck, Heiner: Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft. Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen? Westend Verlag 2020
- Vgl. Fleischatlas: Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, Heinrich-Böll-Stiftung 2021, S.10 – 11
- Müller, Alfred: Eine Wirtschaft, die tötet. Über den Kapitalismus, seine Überwindung und die Zeit danach, PapyRossa Verlag 2019
- Vgl. Herrmann, Ulrike: Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in der Zukunft leben werden, Kiepenheuer & Witsch, 2022
Guter Journalismus ist nicht umsonst…
Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.
Zahlungsmethode