»Keine Informationen«: Die Folgen der Privatisierung und das Finanzministerium
Die Bundesregierung sieht die Privatisierungspolitik seit 1990 »insgesamt positiv«. Für die Folgen der Veräußerungen ehemals öffentlichen Vermögens interessiert sie sich aber in Wahrheit gar nicht.
Über die Folgen von Privatisierungen sind inzwischen ungezählte Studien erschienen. Man lehnt sich auch nicht weit aus dem Fenster, wenn man darauf hinweist, dass solche Untersuchungen in vielen Fällen zu sehr kritischen Ergebnissen kommen. Und das keineswegs nur die Bundesrepublik betreffend. Inzwischen ist eine regelrechte Privatisierungsforschung in Gang gekommen, wie Marcel vom Lehn hier nachzeichnet.
Und weil die Folgen von Privatisierungen nicht bloß ein Thema für die Wissenschaft ist, sondern direkt im Alltag von menschen spürbar wird, gibt es auch so etwas wie eine Privatisierungsdemoskopie: Der Beamtenbund hat in den Jahren 2007 bis 2015 untersuchen lassen, wie Privatisierungen bei den BürgerInnen ankommen – eher schlecht: Zuletzt erklärten nur noch 17 Prozent, weitere Privatisierungen zu wünschen, 55 Prozent lehnten dies ab und 23 Prozent forderten eine Rückabwicklung erfolgter Privatisierungen. Inzwischen passiert dies auch verstärkt und hat bei der Wissenschaft das Interesse für solche Rekommunalisierungen geweckt.
Wie aber sieht die Bundesregierung die Sache? »Aus Sicht der Bundesregierung sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Privatisierungspolitik seit 1990 insgesamt positiv zu bewerten«, heißt es jetzt in der Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag. »Insbesondere bei bedeutenden« Veräußerungen zuvor öffentlichen Eigentums, heißt es da, seien nicht nur »Märkte für private Wettbewerber geöffnet« worden, was die Bundesregierung offenbar als wichtiges Ziel begreift, sondern es seien auch »sinkende Preise aufgrund verstärkten Wettbewerbs sowie eine Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher beobachtet« worden.
Das freilich las sich schon in einer 2008 von Torsten Brandt und Thorsten Schulten vorgetragenen Bilanz der Privatisierungen ein wenig anders, dort verweisen die beiden Forscher vom WSI der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung unter anderem auf »höhere Kosten und Preise«, wobei die Telekommunikation eine Ausnahme darstelle, sowie eine »Verschlechterung des Zugangs und der Dienstleistungsqualität«, dies etwa bei der Post, bei Krankenhäusern oder der Bahn.
Eine Übersicht über die seit 1959 erfolgten Privatisierungen von Bundesvermögen, die vielen Treuhand-Fälle seit 1990 ausgenommen, lässt sich in einer Übersicht des Finanzministeriums nachlesen. Wie viele dieser Veräußerungen die öffentliche Daseinsvorsorge betroffen haben, darüber will die Bundesregierung keine Angaben machen, weil ihr der Begriff nicht scharf genug definierbar ist. Dann aber folgt ein interessanter Satz: »Die Entscheidung zur Veräußerung einer unternehmerischen Beteiligung des Bundes«, so die Regierung, werde »maßgeblich durch den Wegfall des wichtigen Bundesinteresses gemäß § 65 der Bundeshaushaltsordnung bestimmt«.
Was ein »wichtiges Bundesinteresse« ist, dürfte zuallererst eine politische Frage sein, in den vergangenen Jahrzehnten ist diese allzu oft gegen das »gesellschaftliche Interesse« beantwortet worden. Der Graben dazwischen wird nun vom zuständigen Finanzministerium mit Unwissenheit zugeschüttet – ob bei Privatisierungen krumme Geschäfte abliefen, welche Folgen Privatisierungen für die Anzahl der Beschäftigten hatten, ob diese gegen die Veräußerungen waren oder nicht, zu all dem »liegen der Bundesregierung keine Informationen vor«. Es sind dies offenbar Fragen, die nicht im »Bundesinteresse« liegen.
»Zu den Beschäftigungswirkungen bei Privatisierung und Liberalisierung im Bereich der Daseinsvorsorge kann die Bundesregierung keine Aussage treffen, da dazu weder statistische Erhebungen noch wissenschaftliche Untersuchungen vorliegen«, heißt es in der Antwort weiter. Man fragt sich: Warum eigentlich nicht? Und wäre das nicht eine Mindestanforderung an verantwortlich agierende Politik, wenn sie Entscheidungen, deren Richtigkeit sie zuvor mit großer Geste beschrieben hat, danach auch noch einmal zu schauen, ob sich die Prognosen auch bewahrheitet haben? Etwa, was die angeblich höhere Effizienz privat betriebener Unternehmen oder marktförmig entgrenzt organisierter Angebote einer Daseinsvorsorge angeht, die ja eine Res publica im eigentlichen Wortsinne sind, eine »öffentliche Angelegenheit«?
Das »Bundesinteresse« scheint unter den gegebenen politischen Mehrheitsverhältnissen ein anderes zu sein. Wer sich trotzdem für die Folgen von Privatisierungspolitik interessiert und sich nicht mit großkoalitionärer Schönrednerei abfinden will, kann sich zum Beispiel diese schon 2004 erschienene Studie von Barbara Dickhaus und Kristina Dietz vornehmen.
Sie haben die »Folgen von Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa« untersucht und auf entscheidende Trends hingewiesen: Das Öffentliche werde unter Maßgaben transformiert, die Effizienz über Ziele sozialer Gerechtigkeit stellen, die erhebliche Folgen für die Markt- und Unternehmensstrukturen haben und private Monopole fördern, deren Auswirkungen auf sozioökonomische Sicherheit gravierend sind, führt man sich den nicht selten einer Privatisierung folgenden Stellenabbau und die Schwächung der Gewerkschaften an, die Versorgungssicherheit nimmt ab, gleiches gilt für für demokratische Einflussnahme und öffentliche Kontrolle. Oder, noch eine Empfehlung, man liest die die Studie »Öffentliche Infrastrukturen zwischen Daseinsvorsorge und Finanzmärkten« von Jana Mattert, Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth von 2017. Dann muss man sich auch nicht mit »keine Informationen« herausreden.
Foto: Bundesfinanzministerium in Berlin, Peter Kuley/ CC BY-SA 2.5
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