Wirtschaft
anders denken.

Keine Sorge, Baby

06.10.2016

OXI-Titelthema USA

Was wurde aus Richard Williams, Sohn einer mittellosen Mutter? Seine Töchter Venus und Serena sind vielfache Millionärinnen. Sie schlagen einen kleinen Ball in ein großes Feld, das mit weißen Linien abgegrenzt ist.

»Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen.« Karl Marx zu widerlegen, ist ein amerikanisches Hobby. Die Idee, dass jeder Mensch seine eigene Geschichte selbst in die Hand nimmt, egal unter welchen Umständen, wird in unendlich vielen Stories erzählt – am liebsten mit Happy End. Der Star ist die Leitfigur auf dem American Way. Zwar leuchten Sterne nur im Dunkeln, aber Dunkelheit dient in der Selbstdarstellung Amerikas lediglich als Kulisse, vor welcher der siegreiche Einzelne, das erfolgreiche Unternehmen, die aufstrebende Stadt, das glorreiche Land umso heller erstrahlen.

Richard Williams, geboren als Sohn einer allein erziehenden mittellosen Mutter in Shreveport, Lousiana… so fängt es immer an. Man könnte jetzt fragen, weshalb so viele alleinerziehende Mütter mittellos sind und was sich dagegen tun ließe. Falsche Frage, das ist unwichtig. Was wurde aus Richard Williams? So erzählt man sich seine Geschichte: »Es war einmal ein armer schwarzer Mann (sein Name ist Richard) und seine Frau (ihr Name ist Oracene), die heirateten und sich in South Central, Los Angeles, niederließen. Eines Tages schaut Richard gelangweilt Tennis im Fernsehen, bis die Preisgelder genannt werden. Das wendet er sich an seine Frau und sagt: ›Liebling, lass uns zwei Kinder haben. Es sollen Töchter sein und ich will sie zu Tennis-Superstars und Millionärinnen machen. Und das Leben wird gut sein.‹ Oracene, ein bisschen realistischer veranlagt als ihr Ehemann, erwidert: ›Richard, du hast doch in deinem Leben noch nie einen Tennisschläger besessen. Ich weiß verdammt gut, dass du noch nie Tennis gespielt hast.‹ Aber Richard antwortet: ›Keine Sorge, Baby. Wie schwer kann das sein? Du schlägst einen kleinen Ball in ein großes grünes Spielfeld.‹ Venus Williams wurde am 17. Juni 1980 geboren. Serena folgte ihr 14 Monate später.«

In Compton, einem Ghetto im Süden von Los Angeles, betritt Richard mit Venus, knapp sechs Jahre alt, und Serena, knapp fünf, zum ersten Mal einen öffentlichen Tennisplatz. »Manchmal mussten sich die Mädchen während der Übungsstunden sogar auf den harten Betonboden werfen, weil Revolverkugeln rivalisierender Straßengangs durch die Luft flogen.« Man könnte jetzt fragen, weshalb es in Los Angeles und anderswo Ghettos mit bewaffneten Gangs gibt und was sich dagegen tun ließe, aber das ist unwichtig. Was wird aus Venus und Serena? Richard stellt im Haus und Garten große Schilder auf mit Sätzen wie: »Venus, du musst deine Zukunft selbst in die Hand nehmen!« »Serena, wenn du versagst, dann versagst ausschließlich du!« 2002 und 2003 stehen sich Venus und Serena in Wimbledon und bei den US-Open im Finale gegenüber. »Der Glaube an Gott und ihre eigenen Stärken« hat sie zu Millionärinnen gemacht. »Seit ich sechs war, bin ich überzeugt davon, dass ich jeden schlagen kann. Und ich habe mir nie vorgestellt, dass mich jemand schlagen könnte«, sagt Venus Williams.

Quellen: Douglas S. Looney, Venus Rising. Christian Science Monitor, May 22, 1998 und Terry Jervis, Raising Tennis Aces: The Williams Story (DVD distributed by Xenon Pictures, 2002).

Geschrieben von:

Frank Baier

Publizist

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