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KI wird bald eine Universaltechnologie sein

Yvonne Hofstetter sieht eine intelligente Schicht um unseren Alltag wachsen. Sie werde uns »immer einen Schritt voraus sein«, um unser Leben für uns zu organisieren.

23.03.2017
Foto: heimo aga
Yvonne Hofstetter, Juristin und Essayistin, ist seit 2009 Geschäftsführerin der TERAMARK Technologies GmbH im Münchener Norden, ein Unternehmen für maschinelle Lernverfahren. Das Unternehmen entwickelt Künstliche Intelligenz für industrielle Einsatzzwecke. Hofstetter beschäftigt sich mit Fragen zu Nutzen und Risiken der Digitalisierung für die Gesellschaft, mit Technikfolgen und Gefährdungsanalysen, mit politischen Herausforderungen und gesellschaftlichen Gestaltungsoptionen für die digitale Ära.

Künstliche Intelligenz (KI)-Forschung wird überwiegend von Großunternehmen finanziert. Welche Auswirkungen hat das?

Yvonne Hofstetter: Der Laie redet von KI – der Profi von Daten. Was heißt das? KI ohne Daten ist nutzlos. Der eigentliche Vorsprung der Technologiegiganten liegt in der Verfügbarkeit von Daten. Deshalb ist es vom strategischen Standpunkt betrachtet sinnvoll, dass eben jene Unternehmen KI entwickeln, die auch Zugriff auf Massendaten haben: Google, Facebook, Amazon. Hinzu kommt, dass KI wissenschaftliches Rechnen ist; und wissenschaftliches Rechnen benötigt fast grenzenlose Rechnerkapazitäten. Wer betreibt die größten Rechnerwolken der Welt? Google, Facebook, Amazon. Selbst mein eigenes Unternehmen, das über die leistungsfähigste KI verfügt, muss hier zurückstecken. Wir können KI-Trainingsläufe nicht nach Belieben ausführen, weil unsere Rechnerkapazität trotz massiv paralleler Systemarchitektur immer begrenzt bleiben wird.

Der Nachteil des KI-Oligopols der Technologiegiganten liegt auf der Hand: Ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeit plus ihr Zugriff auf Massendaten plus unbeschränkte Cloudkapazitäten haben ihnen schon heute einen quasi uneinholbaren Wettbewerbsvorteil für das weitere 21. Jahrhundert verschafft.

Welche Produkte oder Dienste, die auf KI basieren, halten Sie für nützlich und sinnvoll?

Die Frage stellt sich insofern nicht, als KI eine Universaltechnologie des 21. Jahrhunderts werden wird – wie elektrischer Strom im 20. Jahrhundert. Alles wird mit KI ausgestattet werden. Nur dann macht das »Internet of Everything« Sinn. Dafür vernetzen wir die Gegenstände unseres Alltags, versehen sie mit IP-Adressen und machen sie zu Messgeräten unseres Lebens. Wir machen sie zu Sendern unserer Daten und zu Empfängern derjenigen Impulse, Handlungsanweisungen oder Entscheidungen, die KI als neue Information auf der Basis unserer Rohdaten zur Bewältigung unseres Lebens in Echtzeit berechnet hat und an uns zurück kommuniziert.

KI ist kein Stand-alone-Produkt oder -Service. Bei KI handelt es sich um Optimierer. Irgendetwas gibt es immer zu optimieren: die Spracherkennung, den Konsum, die Bildung, das Autofahren, vielleicht sogar politische Entscheidungen. Dass KI die Hintergrundtechnologie unseres Lebens sein wird, die uns bei allem eine bessere Qualität – eben das Optimum, wo immer es liegt und wer immer es definiert – beschert, werden wir nur dann merken, wenn sie ausfällt. So wie beim Strom oder beim Internet.

Gibt es Techniken oder Maschinen, die sozial wünschenswert sind, die aber nicht entwickelt werden, weil sie zu wenig Gewinne versprechen?

Grundsätzlich entwickelt der Mensch alles, was technisch möglich ist und was er sich vorstellen kann. Oft beginnt der Mensch die Entwicklung seiner Kulturleistungen – und dazu gehört auch die Digitalisierung – mit einer Utopie, etwa: »Das Internet macht die Welt demokratischer.« (Inzwischen haben wir gelernt, dass das Internet und seine sozialen Plattformen im Gegenteil zur größten Gefahr für die Demokratie seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts geworden sind.) Eine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit muss zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gegeben sein. So hat Google angefangen und Twitter und Facebook und, und, und …  Die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit ihrer Plattformen hat sich erst nach ihrem Start herausgebildet.

Ist KI nur die Fortführung von Industrie 4.0? Oder wird hier eine neue Dimension von Digitalisierung beschritten?

KI beschreitet eine neue Dimension der Digitalisierung. Ich habe gerade auf das Internet of Everything verwiesen, das die Gegenstände unseres Alltags – nicht nur die Industrie – vernetzt: unsere Häuser, unsere Autos, unsere Bildung und Arbeitsplätze, und Freizeit und Sportstätten, alles wird smart. Wir bezeichnen das als Ambient Intelligence, als Umgebungsintelligenz. Vieles wird noch aussehen wie früher, aber wir werden eine digitale Schicht darüberlegen, und diese intelligente Schicht wird uns immer einen Schritt voraus sein, damit sie – wie bequem! – unser Leben für uns organisieren und optimieren kann.

Wir werden eine digitale Schicht darüberlegen, diese intelligente Schicht wird uns immer einen Schritt voraus sein.

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Brauchen wir wirklich intelligente Maschinen, mit Interessen, Zielen, Werten? Oder wäre es für unser soziales und wirtschaftliches Überleben sinnvoller, den Intelligenzzuwachs von Maschinen einzuschränken? Die Science-Fiction warnt uns seit Langem …

Stand heute kann niemand eine KI bauen, die abstrakte Werte wie Freundschaft, Demokratie, soziale Marktwirtschaft, Familiensinn oder Ideologien kennt oder sogar optimieren kann. Wenn ich meinen juristischen Hut aufsetze – ich bin ja auch Juristin –, dann weiß ich, dass Werte in soziale Normen, in Gesetze gegossen werden. Das klassische Recht ist in Worten aufgeschrieben, und Sprache ist sehr dehnbar. Kann ich diese Fuzziness, diese Unschärfe und vielleicht sogar die Nichtstationarität von Werten auch tatsächlich in allen Facetten programmieren? Oder ginge beim Programmieren oder beim Übersetzen in die Beschreibungssprache der Mathematik nicht vieles vom Sinn des Wertes verloren? Klassisches Programmieren von Werten funktioniert also nicht. Allerdings könnte man eine Maschine Werte erlernen lassen. Wie gesagt, das funktioniert heute noch nicht. Damit Maschinen Werte erlernen können, braucht es die besten Mathematiker dieses Jahrhunderts, die erst noch geboren werden …

Trotzdem kann man schon heute Maschinen eine Art Verhaltensregeln mitgeben. Das sind Rules of Engagement, Rules of Encounter, Security-by-Design, Safety-by-Design usw. Dass wir uns um solche Regeln bemühen, ist wichtig und richtig und besonders einleuchtend im Falle des Roboterautos. Das Bundesverkehrsministerium hat eine Ethikkommission einberufen, die eben solche Regeln für autonomes Fahren definieren soll.

Steht am Ende der Forschung und Entwicklung von KI, dass es neben dem Menschen eine Maschine gibt, die ihm auch geistig ebenbürtig oder gar überlegen ist?

Fakt ist: Die KI-Forschung arbeitet daran. In deutlich weniger als zehn Jahren, sagt ihr Top-Forscher Prof. Dr. Jürgen Schmidhuber vom IDSIA in Lugano, wird man über einen künstlichen Affen verfügen, der dieselben mentalen Fähigkeiten besäße wie ein realer Affe. Der Schritt zum künstlichen Menschen mit der allgemeinen Intelligenz eines »Real Human« sei dann nicht mehr groß. Die allgemeine künstliche Intelligenz, lässt Google Deep Mind gleichzeitig verlauten, sei die Metalösung für alle Probleme der Menschheit, für Krankheiten, den Klimawandel, Finanzkrisen. Aber Vorsicht: Das ist Propaganda, die kleine Schwester der Ideologie. Jeder Fortschritt, jede menschliche Kulturleistung ist ideologiebehaftet, also mit Ansprüchen versehen, mit Wissens- oder Machtansprüchen oder Entlastungsfantasien. Bei der KI sind sie extrem ausgeprägt.

Offenbar stellt sich niemand die Frage: Reichen eine Neuronalnetzarchitektur und Massendaten des Menschen aus, um KI mit der allgemeinen Intelligenz eines Menschen zu erschaffen? Als antinaturalistische Rechtsphilosophin lehne ich mich hier zurück und sage: Nein. In beidem werdet ihr, liebe KI-Forscher, weder das Ich noch menschliches Bewusstsein oder Selbstbewusstsein – also den menschlichen Geist – finden. Alles, was ihr erschaffen werdet, wird ein geistloser Golem werden. (Trotzdem kann gut möglich sein, dass dieser Golem ein Monster ist, vor dem ich mich gehörig fürchten müsste – auch wenn er mir geistig unterlegen wäre. Eine autonome Kampfdrohne, die mich als Ziel klassifiziert und mich neutralisieren will, ist mir sicher geistig unterlegen, aber dennoch lebensgefährlich).

Sind intelligente Produktionsanlagen mit Interesse am Erfolg ihrer Aktivitäten irgendwann die besseren Manager?

KI sind Optimierer. Sie optimieren eine Nutzenfunktion. Das ist ihr Interesse, ihr Ziel, wenn man so will, übersetzt in die Sprache der Mathematik. Dieses Ziel zu erreichen, ist ihr Erfolg. Und sind sie erfolgreich, bekommen sie eine Belohnung. Das ist heute schon so und State-of-the-Art bei den sogenannten Kontrollstrategien. Ich würde sie bereits als starke KI mit einer Art intentionalem Bewusstsein bezeichnen (dabei aber mit dem Begriff des Bewusstseins eher locker umgehen). Und ja, in den ihnen speziell übertragenen Aufgaben sind sie schon heute besser als ihr menschlicher Vorläufer, treffen übermenschlich gute Entscheidungen – ganz konkret etwa als System of Systems bei der Echtzeit-Regelung des urbanen Lieferverkehrs. Das ist toll für die Innenstädte, aber ein Problem für Arbeitnehmer. Wenn eine Maschine den urbanen Lieferverkehr besser im Griff hat als ein menschlicher Disponent, dann hat der Disponent ein Problem. Er wird überflüssig. Daher kommt die Diskussion um den Wegfall vieler Arbeitsplätze der gebildeten Mittelschicht in den nächsten 15 Jahren.

Kann eine intelligente, sich selbst steuernde Produktionssphäre, die – so gut wie – keine Menschen mehr zu ihrem Betrieb braucht, das Paradies einer (fast) arbeitsfreien Gesellschaft zuwege bringen? Und ist das ein Paradies?

Fragen Sie einen Arbeitslosen, ob er seinen Zustand paradiesisch findet … Es ist ein Unterschied, ob ich freiwillig weniger arbeite, damit ich Hobbys nachgehen kann, oder ob mich überflüssig fühle. Arbeit ist existenziell für den Menschen: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.« Arbeit gehört zum Menschen, wie immer sie sich gestaltet. Über die Arbeit definieren wir uns, wir drücken uns darin aus; viele finden Sinn darin oder machen sie auch einfach nur gerne … Eine arbeitsfreie Gesellschaft ist deshalb eine Utopie. Abgesehen davon, dass man überlegen müsste, wie man sie finanziert. Daher die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen. Diese Debatte, die sogar schon im Silicon Valley und unter Topmanagern geführt wird, ist nicht motiviert durch die Utopie eines arbeitsfreien Paradieses. Sie ist eine Angstdebatte, besonders unter den Investoren der digitalen Wirtschaftsakteure. Sie fürchten, die steigende Zahl überflüssiger Menschen ohne Arbeit könnte jene in revolutionärer Absicht zu Mistgabeln greifen und auf die Straße strömen lassen. Für mich sieht das Paradies definitiv anders aus.

Yvonne Hofstetters aktuelles Buch Das Ende der Demokratie (22,99 €) ist beim C. Bertelsmann Verlag erschienen.

Dieses Interview erschien in der Februarausgabe 2017 von OXI.

Das Interview führte:

Jo Wüllner

freier Journalist

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