Wirtschaft
anders denken.

Klassenkampf-Rhetorik? Keine Sorge!

14.05.2016

Wie der Spiegel einmal den SPD-Vorsitzenden befragte – und Sigmar Gabriel an entscheidender Stelle nicht zu antworten wusste.

Der »Spiegel« hat mit Sigmar Gabriel gesprochen, es ist ein aufschlussreiches Interview geworden – allerdings nicht so sehr darüber, was die Politik der SPD angeht oder den Kurs des Vorsitzenden. Was man aus dem Gespräch aber lernen kann ist: Wo in zentralen politischen Fragen der Diskurs derer angekommen ist, die Meinung machen, die den Ton vorgeben, die gesellschaftliche Erzählungen bestimmen.

Das geht schon bei Gabriels Behauptung los, der seit Anfang 2015 geltende gesetzliche Mindestlohn sei »das wichtigste sozialpolitische Projekt des letzten Vierteljahrhunderts«. So Recht Gabriel damit hat, dass es auch bei allen Macken und Beschränkungen der Lohnuntergrenze ein wichtiger Schritt war, so wenig interessiert sich in diesem Interview jemand dafür, warum er so spät gegangen wurde, was unzulänglich daran ist und warum das nicht so bleiben müsste.

Und mal ehrlich: »Das wichtigste sozialpolitische Projekt des letzten Vierteljahrhunderts« war die Agenda 2010, war das Wegsprengen einer Kultur sozialer Sicherung vor dem Absturz nach unten, das Kappen von Halteseilen, die von der SPD als zu teuer empfunden, als Fehlanreiz und dergleichen abgeschrieben wurden. Es waren Sozialdemokraten, besser: Politiker die sich so nannten, die mit der Ausweitung der Dumpingzonen des Lohnsystems, in denen Beschäftigte von den mickrigen Einkommen nicht einmal mehr würdig leben können, die Dringlichkeit eines Mindestlohns erst so umfassend ins Bewusstsein riefen. Um ihn gekämpft haben übrigens bereits Leute, als die SPD den Mindestlohn noch für unnötigen Schnulli hielt.

Wer macht Schluss mit Neoliberalismus?

Nun muss man Gabriel nicht ständig dafür kritisieren, dass seine Anflüge von Selbstkritik die Politik der SPD unter Gerhard Schröder betreffend nicht durchgreifend genug sind oder zu wenig glaubwürdig. Ja, das ist so. Aber wenn Gabriel die Agenda verteidigen würde, wie es viele SPD-Politiker immer noch tun, bestünde ja auch kein Grund zur Zufriedenheit. Es geht, da haben wiederum die Kritiker Gabriels Recht, darum, nicht nur zu reden, sondern auch praktische Schlüsse daraus zu ziehen.

In der Großen Koalition ist das kaum möglich. In allen anderen Bündnissen auf Bundesebene wären die Spielräume auch ziemlich eng. Aber man könnte sie immerhin nutzen. Aber: Auch das geht nur mit ein paar grundlegenden Einsichten und dem Mut, entsprechend gegen starke Interessen zu handeln. Gabriel sagt in dem Interview einen interessanten Satz: »Die SPD muss deutlich machen, dass jetzt ein für alle Mal Schluss ist mit der Herrschaft des Neoliberalismus.« Und das Polit-Magazin stellt die naheliegende Frage: »Was heißt das?« Eine Antwort hat der SPD-Chef aber nicht.

Es reicht nicht, auf die Panama Papers zu sprechen zu kommen, der Union eine »laue Art und Weise« bei der Bekämpfung der legalen wie illegalen Steuervermeidung vorzuwerfen und sich selbst ins bessere Licht dadurch setzen zu wollen, dass man von »Wahnsinn« spricht, wenn man Millionen-Boni von Managern und die Entlassung von Leiharbeitern meint. Revolutionäre Rhetorik ist auch nur schlechte Musik, wenn sie bloß einlullen oder beeindrucken soll und nichts daraus folgt.

Die SPD müsse bereit sein, der »Wut eine Stimme zu geben«, sagt Gabriel. Welcher Wut? Gegen wen? Und mit welchem Ziel? Vor allem aber: Was hieße denn, wirklich Schluss zu machen »mit der Herrschaft des Neoliberalismus«? In dem »Spiegel«-Gespräch hört sich Gabriel so an, als rede er über eine anonyme Macht, der frühere Regierungen wohl leider, leider irgendwie ausgeliefert waren, eine Macht, die jetzt plötzlich vorbei ist? Muss sie beendet werden? Durch wen?

Wo der SPD-Chef auf allgemeinen Mumpitz abhebt, der die sozialdemokratische Mitverantwortung an dem, was Politik in Zeiten der Neoliberalisierung bedeutet, mal eben unterschlägt (Gabriel hat das zuvor schon mit der abenteuerlichen Formulierung »wie konnte uns das nur passieren« getan), hat man beim »Spiegel« offenbar gar keinen Begriff von dem, was Politik im Kapitalismus bedeutet. Besser gesagt: einen ganz typischen.

In dem Interview kommt das in der schönen weil offenherzigen Entgegnung zum Ausdruck, dass der SPD-Vorsitzende Gabriel als Anwalt der Beschäftigten und »kleinen Leute« so wenig glaubwürdig ist, weil der Wirtschaftsminister Gabriel »eher an die Belange der Unternehmen denken« muss. Muss er das? Und warum? Was ist das für ein Verständnis von Demokratie und Regierungshandeln?

Sprachmuster, Klischees, Denkformen

Gabriel, und das ist gut, nutzt zunächst die Steilvorlage zu einem wahlkämpferischen »keineswegs« – aber als er dann »die Übersetzung für das berühmte Primat der Politik« formuliert, dass nämlich Regierung und Parlament »die Bosse der Bosse sein« müssen, und der »Spiegel« mit einer Anmerkung dazwischen geht, die wie eine Kurzfassung der Geschichte neoliberaler Sprachmuster, Klischees und Denkformen daherkommt, ist aus dem Sozialdemokraten Gabriel dann auch schon wieder die Luft raus und er zusammengesackt zu einem beliebigen SPD-Politiker.

»Das klingt, als wollten Sie in Ihrer Not jetzt in die Klassenkampfrhetorik der Siebzigerjahre zurückfallen«, sagen da Journalisten, denen es offenbar gut genug geht, als dass sie sich je darüber Gedanken machen müssten, weclhe guten Gründe es für klassenpolitische Auseinandersetzungen geben könnte. Und sie sind offenbar schon so erfolgreich zugerichtet in ihren Köpfen, als dass sie von einer Linie abweichen könnten, auf der alles, was ein erkämpfter Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit wäre, für Schnee von gestern gehalten werden muss.

Gabriel aber sagt, statt die Chance zu nutzen, dem »Spiegel« einmal zu erklären, was er wirklich für eine Anschauung vom »Primat der Politik« über die Ökonomie, über Konzerninteressen hat, was Wirtschaft für Gesellschaft bedeuten würde und warum das derzeit schwierig aber nicht »Klassenkampfrhetorik der Siebzigerjahre« ist – Gabriel aber entgegnet nur: »Keine Sorge.« Solange das so ist, bleibt alles beim Alten. Die einen stellen die falschen Fragen. Und die anderen geben die falschen Antworten.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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