Wirtschaft
anders denken.

Ausnahme Ausnahmezustand

10.07.2021
Die Klimakrise wird auch durch das Auto ausgelöst: Auf einem Parkplatz stehen viele weiße Autos, nur wenige Plätze sind frei.Foto: Niek Verlaan auf PixabayNur 1,6 Autos pro Person würden die Kfz-Zahlen weltweit verdreifachen

Die »Optimisten« vertrauen bei der Klimakrise weiterhin auf die unsichtbare Hand des Marktes, die den grünen Daumen schon funkeln lassen wird. Aus OXI 7/21.

Zeiten abebbender Pandemiewellen sind nicht von Hunger nach großer Veränderung geprägt. Das ist wenig überraschend. Das Bedürfnis nach Rückkehr zur alten Normalität ohne zusätzliche Anpassungsanforderungen ist groß. Es geistert durch Gespräche, Kommentarspalten und auch durch die jüngsten Wahlanalysen. Noch vor Kurzem klang es anders. Zumindest beschrieb so mancher Text des vergangenen Jahres die vage Möglichkeit, dass im Angesicht einer akuten Krise die Entschlossenheit, Veränderungen für das Gemeinwesen zu wagen, auch auf andere Bereiche übergreifen könnte. Wenn nach dem kollektiven Corona-Schock nun tatsächlich künftig Systemrelevanz und Wissenschaft den Ausschlag gäben, könnte doch im Prinzip viral gehen, dass sich angesichts dessen, was getan werden muss, die Gesellschaft aufrafft, die Politik handelt. Ist bisher nicht geschehen. Und wird wohl auch nicht mehr passieren.

Während der Anteil der Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre weiter steigt und heute der höchste seit Millionen Jahren ist, fällt die Lagebestimmung zu unseren Chancen, als Zivilisation die Kurve in Sachen Klimawandel zu kriegen, nicht zuversichtlicher aus als vor der Pandemie. Zwar konnte Deutschland dank monatelangen Shutdowns im vergangenen Jahr wider Erwarten seine Reduktionsziele von 40 Prozent gegenüber 1990 erreichen. Aber nur, nachdem die Emissionen im Vergleich zum Vorjahr wegen zwischenzeitlich massiver Einschränkungen von Produktion und Mobilität um beinahe ein Zehntel gesunken waren. Der Ausnahmezustand war eben genau das: eine Ausnahme.

Klimakrise braucht Paradigmenwechsel

Allen Abkommen zum Trotz steuert die Welt nach wie vor, und nach wie vor ziemlich ungebremst, auf eine Erderwärmung jenseits von drei Grad Celsius zu. Was das schon für die unmittelbar nachfolgenden Generationen bedeutet, kann an unzähligen Stellen nachgelesen werden: Wüstenausbreitung, Vertreibungen, Hunger und Krieg. Mit Blick auf die heute möglichen, aber unterlassenen Maßnahmen dürften die Enkeltöchter und -söhne den Zeitgeist unserer Jahrzehnte und die Handlungsmüdigkeit der Verantwortlichen einmal verfluchen. Mit genau dieser Perspektive gab das Bundesverfassungsgericht erst vor wenigen Wochen der Klage junger Menschen gegen das Klimaschutzgesetz von 2019 statt. In einer wegweisenden Entscheidung erklärte es die dortigen Regelungen aufgrund des Fehlens hinreichender »Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031« als mit den Grundrechten unvereinbar. Die Tragweite dieses Urteils für die deutsche Klimapolitik dürfte immens sein. Die verbindliche Festlegung auf Emissionskontingente bedeutet hier nicht weniger als einen Paradigmenwechsel.

Wer Argumente dafür sucht, dass sich die Dinge nun doch langsam ändern, findet sie teils auch in der Wirtschaft. So hat sich eine stetig wachsende Zahl an Großinvestoren festgelegt, ihr Vermögen aus fossilen Industrien abzuziehen. Angesichts mittlerweile zweistelliger Billionen-Werte, deren Kriterien bewährte Profitmodelle ernsthaft gefährden, wird schon das Bild des Kipppunkts bemüht, der die fossile Blase alsbald platzen lassen könnte. Auch der sich abzeichnende Niedergang des deutschen Automobilsektors, der viel zu lange auf die Optimierung des Verbrennungsmotors setzte, ließe sich hier anführen. Marktoptimistische Gemüter sehen in solchen Beispielen für die hohe Wandlungsfähigkeit der Wirtschaft einen Beweis dafür, dass die unsichtbare Hand am Ende vielleicht doch einen grünen Daumen funkeln lässt, wenn nur einige Rahmenbedingungen richtig gesteckt sind. Schon Marx beschrieb schließlich, wie ständige Umwälzungen des Bestehenden das Wesen des Kapitalismus prägen. Könnten nicht dieser fortwährende Neuerungsdrang und das Bestreben, immer neue Verwertungsmodelle hervorzubringen, genau die Veränderungskräfte entfesseln, die wir gerade brauchen, um das fossile Zeitalter schnell Geschichte werden zu lassen?

Unsere Wirtschaftsweise bildet die Ursache der Klimakrise und hindert ihre Bewältigung

Weil Investitionen Rendite erzielen müssen, ist es eher unwahrscheinlich, dass aus Kohle, Öl und Erdgas abgezogenes Kapital sich seine neuen Verwertungssphären ausgerechnet in der Transformation sucht. Viele Bereiche des Umbaus versprechen schlicht keinen oder zu wenig Profit. Stattdessen werden im Namen des Klimawandels immer wieder Finanzinstrumente entwickelt, die einen Markt für Verschmutzungs- oder Abholzungsrechte zu etablieren versuchen. Das darin betriebene Offsetting (Verrechnung) erwies sich dabei oft als betrugsanfälliger, dysfunktionaler Ablasshandel mit schlimmen Nebeneffekten und als Ausrede für die Verschleppung verbindlicher Festlegungen. Auch an der deutschen Diskussion zu den Benzinpreisen zeigt sich gegenwärtig, dass die Steuerung über den Preis manchen Haken hat. Größere ökologische Lenkungswirkung entfaltet eine CO2-Steuer nämlich tatsächlich erst in einer Höhe, die ohne entsprechenden Ausgleich Menschen mit niedrigen Einkommen vor handfeste Probleme stellt, während sie Reichere ungleich weniger einschränkt. Eine Rückauszahlung des Großteils der eingenommenen Mittel zu gleichen Teilen auf alle könnte diese Härten abfedern: Wer viel verbraucht, würde so unter dem Strich zwar mehr zahlen. Wer emissionsarm lebt – und das gilt aktuell vor allem für Haushalte mit niedrigeren Einkommen –, könnte am Ende sogar besser dastehen. Könnte. Denn beschlossen ist ein solcher Ausgleich, anders als die Steuer, nämlich noch nicht. Und so wird die soziale Frage nun ausgerechnet von denen gegen eine Verteuerung des Energieverbrauchs in Stellung gebracht, die stets gegen Umverteilung eintreten, den Markt aber zum Allheilmittel verklären.

Die Grundprinzipien unserer Wirtschaftsweise – Privateigentum und Konkurrenz, Profitlogik, Wachstumszwang und ein ganzer Rattenschwanz an gesellschaftlichen Spaltungen entlang von Herkunft und Geschlecht – bilden nicht nur eine der Ursachen der Klimakrise, sie haben ebenso viel mit der Debatte über deren Bewältigung zu tun. Die Fixierung auf den Markt schränkt den Lösungskorridor dabei immer wieder ein und lenkt von dem ab, was ordnungspolitisch notwendig und längst schon umsetzbar wäre. »System Change Not Climate Change« – die Popularität des Slogans unter jungen Klimaaktivist:innen verweist darauf, dass diese Kritik auch jenseits linker Nischen durchaus geteilt wird. Bis tief in die Mitte der Gesellschaft liegt die Einschätzung vor, dass der Kapitalismus der Bewältigung der ökologischen Mehrfachkrise nicht gewachsen ist. Gewachsen jedenfalls nicht im Sinne globaler Lösungen, die für alle funktionieren. Weil er Ungleichheit legitimiert, statt sie zu überwinden, kann er viel besser erklären, wieso einige eben arm bleiben, als dass es ihm darum ginge, dies zu beheben. Nicht unwahrscheinlich ist deswegen auch, dass die real existierende Green Economy den unzureichenden Status quo einfach in dieser Tradition modifiziert: Während mit Geoengineering weite Teile der Welt in den Dienst der Erzeugung von Negativemissionen gestellt werden, sorgt die gleichzeitige Verknappung der Energie- und Ressourcenverbräuche durch hohe Bepreisungen dafür, dass einige ihren gewohnt intensiven Zugriff auf ökologische Senken beibehalten können, während die allermeisten anderen weiter und zunehmend ausgeschlossen werden. Für die einen Weltraumtourismus und Bio-Luxus in Holzbauweise, für die anderen unsicherste Lebensumstände, Mauern, Überwachung und Repression bis hin zu autoritärer Biopolitik. Und dort, wo Ideologie nicht hinreicht, auch weiterhin Kriege und Gewalt.

Substanzielle Veränderung und die schnell

Auf eine sehr zynische Weise lassen solche Dystopien den Kapitalismus sogar recht passfähig für die Klimakrise erscheinen. Denn wenn aktuell das privilegierteste Fünftel der Weltbevölkerung schon maßgeblich die Lebensgrundlagen zugrunde richtet, wirft das für die Gegenerzählungen einer solidarischen Zukunft einige heikle Fragen auf. Schließlich müsste eine solidarische Transformation, die diesen Namen verdient, in relativ kurzer Zeit substanzielle Verbesserungen für jene durchsetzen, die vom beständig wachsenden Wohlstand der Welt bisher ausgeschlossen bleiben. Deren Vorstellungen von Glück und gutem Leben wiederum sind aber, milliardenfach addiert, auf absehbare Zeit nur schwer in Einklang zu bringen mit den endlichen Ressourcen des Planeten. Dies kann nun nicht bedeuten, dass wir dem Kapitalismus seine alltäglichen Grausamkeiten durchgehen lassen sollten, weil sie uns womöglich vor einer noch schnelleren Zerstörung der Erde bewahren. Im Gegenteil: Der Blick auf seine bisherige Bilanz bietet gerade gute Gründe dafür, den Entwurf gesellschaftlicher Szenarien für die aufsteigende Heiß-Zeit nicht einfach den herrschenden Verhältnissen zu überlassen.

For Future – das muss auch bedeuten, den Kampf um jedes Zehntelgrad und damit die Chancen nachfolgender Generationen auf ein gerechteres Miteinander selbst unter solchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu führen, die an sich als unzureichend für diese enorme Aufgabe erscheinen. Dass die Bereitschaft für einen ganz großen Aufbruch aktuell fehlt, bedeutet nämlich auch, dass sich daran von allein nur wenig ändern wird. Immerhin wachsen die Widersprüche zwischen Wissenschaft und »Weiter so« spürbar. Dass sich das erreichte Wohlstandsniveau und dazugehörige Pro-Kopf-Emissionen der europäischen Mittelschichten als globaler Standard nicht etablieren lassen, ist allen klar, die es wissen wollen. So würde der deutsche Ausstattungsgrad von einem Auto für durchschnittlich 1,6 Menschen übertragen auf die Weltbevölkerung in etwa eine Verdreifachung der globalen Autoflotte bedeuten. Bei Warenversorgung, Flugreisen oder Ernährungsstilen sieht es ähnlich aus. Durch die Schaffung sozialer Infrastrukturen, etwa einen massiv ausgebauten und einfach zugänglichen Nahverkehr, auch durch technischen Fortschritt und ressourcenschonendere Produktionsweisen in einer Kreislaufwirtschaft lassen sich diese Pro-Kopf-Emissionen gesellschaftlicher Teilhabe zwar deutlich senken, eine gerechtere Verteilung der globalen Rohstoffe wird den von vielen Menschen gerade in reicheren Ländern für selbstverständlich erachteten Zugriff aber wohl beschränken. Dies betrifft in besonderem Maße die Superreichen, aber längst nicht nur sie. Die Wut auf das von rechts immer wieder ins Bild geschubste Schreckgespenst einer aufziehenden Verzichtsdiktatur setzt genau hier an. Wer viel zu verlieren fürchtet, wird lange darauf spekulieren, dass sich bei allem offenkundigen Umbaudruck für ihn selbst möglichst wenig ändert. Eine Illusion. Aber eine mit Wirkmacht.

Die entscheidenden Jahre kommen

Die nächsten Jahre werden unruhig und sie sind entscheidend. Eine Abwendung der Klimakatastrophe macht ordnungspolitische Maßnahmen in Wirtschaft und Alltag sowie neue Formen der Rechtssetzung notwendig. Sie erfordert den Um- und Rückbau ganzer Sektoren, massive Investitionen in neue Infrastrukturen und Innovationsförderung, staatlich gesetzte Anreize für Verhaltensänderungen und eine andere Steuerpolitik. Damit bei den Aushandlungen dieser Rahmenbedingungen Gerechtigkeitsfragen eine zentrale Rolle spielen, braucht es starke Stimmen von links. Es gilt klarzumachen, dass ein hohes Maß sozialer Gleichheit in einer Gesellschaft die Grundvoraussetzung dafür bildet, über Verteuerungen Verhaltensweisen steuern zu können, ohne größere neue Verwerfungen und breiten Widerstand hervorzurufen.

Und sonst so? Eine bessere Kapitalismuskritik in der Klimakrise wäre ebenfalls ein sinnvoller Beitrag. Wenn linke Analysen es per Dauerverweis auf den hohen CO2-Verbrauch der Superreichen oder die vermeintliche Alleinverantwortung von hundert Konzernen für bisher zwei Drittel der anthropogenen Treibhausgase so klingen lassen, als müsste sich für die allermeisten nicht viel ändern, reden sie an den Herausforderungen vorbei. Die Vergesellschaftung von Mineralölkonzernen und Fluglinien ist sicher eine Überlegung wert, sie wird aber nicht über Nacht deren Geschäftsmodell ändern können. Kurzerhand ein paar Sätze zu Klimakrise und existenzieller Bedrohung an die eigenen alten Textbausteine anzufügen, um dann genau dasselbe wie immer schon zu fordern, wird die Entwicklung neuer Konzepte für eine klimaneutrale Zukunft nicht weiterbringen. Und es wird erst recht keine gesellschaftlichen Mehrheiten verschieben. Dafür bräuchte es untersetzte Visionen davon, was in einer Welt jenseits fossiler Abhängigkeiten und Naturausbeutung auf Verschleiß alles möglich würde. Ohne konkrete Entwürfe bleibt die Zukunftserzählung den Fürsprecher:innen einer bloß ökologischen Modernisierung des aktuellen Quarks überlassen. Jenen also, die sich der falschen Hoffnung hingeben, dass Klimaschutz und Profitlogik vielleicht ja doch eines Tages Hand in Hand gehen. Wenn nur irgendwann mal alle Autos mit Strom fahren.

Geschrieben von:

Steffen Kühne

RLS-Referent mit dem Thema "Sozialökologischer Umbau"

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