Wirtschaft
anders denken.

Klimapopulismus – ein Schimpfwort?

10.10.2019
NiklasPntk, pixabay.com

Klima- und Sozialpolitik werden oft als Gegensätze behandelt. Doch ohne eine populäre Klimapolitik, die ein besseres Leben für die große Mehrheit der Gesellschaft verspricht und dabei auch Gegner benennt, könnte die Klimabewegung wieder verpuffen.

Als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Sommerpause überraschend dafür plädierte, die Mehrwertsteuer auf Bahntickets abzusenken, um Bahnfahren billiger zu machen, erntete er damit prompt den Vorwurf des Populismus. Der Vorwurf des »Klimapopulismus« wird häufig im Einklang mit Warnungen vor der kollektiven »Klimahysterie« oder der bevorstehenden »Öko-Diktatur« verwendet und ist vorwiegend in Kreisen der AfD und neu-rechten Netzwerken gebräuchlich.

In diesem Fall kam der Populismus-Vorwurf jedoch von den Grünen. Die CSU springe auf ein populäres Thema auf, habe an echten politischen Veränderungen jedoch kein Interesse, so der Vorwurf.

Dass eine der wenigen Maßnahmen im Klimapaket der Bundesregierung, die laut Umfragen von einer überwiegenden Bevölkerungsmehrheit unterstützt wird und eine tatsächliche Kostenersparnis im Alltag verspricht, ausgerechnet von der Grünen Partei in die Nähe des Klimapopulismus gestellt wird, ist symptomatisch für die aktuelle Klimadebatte: Sie wird vor allem als Debatte über Verteuerung, Verknappung und Verzicht geführt. Eine populäre Klimapolitik, welche sozialpolitische Forderungen und bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die große Mehrheit der Bevölkerung ins Zentrum stellt, bleibt dabei unsichtbar.

Wie könnte eine populäre Klimapolitik aussehen?

Dabei gäbe es vielfältige Möglichkeiten, Klima- und Klassenfrage miteinander zu verbinden. Zunächst ließe sich eine noch weitaus drastischere Reduzierung der Bahnpreise als nur durch die Ermäßigung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets einfordern. Sie müsste zusammen mit der Wiedervergesellschaftung der Bahn als öffentlichem Unternehmen und einem konsequenten Ausbau der Bahninfrastruktur einhergehen. Wer für 20 Euro nach Italien fahren kann, empfindet das weitaus teurer gewordene Flugticket nach Mallorca nicht zwangsläufig als Einschränkung seiner Handlungsspielräume.

Genauso handelt es sich bei kostenlosem ÖPNV, lebenswerten und Auto-armen Städte sowie öffentlich betriebenen Sharing-Systemen um Forderungen, die mehrheitsfähig sind und vor allem Geringverdienenden zu Gute kommen. Ähnlich soll das Konzept der Flugkontingente Vielflieger finanziell belasten und Geringverdienern die Möglichkeit bieten, ihre Flugkontingente zu verkaufen. Nicht nur im Bereich der Mobilität, sondern auch der Ernährung (z.B. Subventionierung klimafreundlicher Nahrungsmittel), des Wohnens (z.B. sozial-ökologischer Wohnungsbau) oder der Arbeitsverhältnisse (z.B. Arbeitszeitverkürzung und neue Wohlstandsmodelle) existieren alternative Konzepte. Sie könnten dazu beitragen, von einer moralischen Verzichtsdebatte wegzukommen und hin zu einer Debatte über die Aneignung des globalen Reichtums und der gewaltigen Produktionsmöglichkeiten der heutigen, digitalen Ökonomie.

Wer profitiert von der Globalisierung?

Gegen die »populäre Klimapolitik« lässt sich der naheliegende Einwand einwerfen, dass ein angemessener radikaler Klimaschutz in Form einer »sozial-ökologischen Transformation« nicht ohne die Absenkung des materiellen Konsumniveaus von statten gehen kann. Außerdem wird – zurecht – immer wieder darauf verwiesen, dass die Gesellschaften des globalen Nordens am meisten zur Klimakrise beitragen und am wenigsten unter ihren Folgen zu leiden haben. Dieser Sachverhalt hat mit der globalen Ausdehnung des Kapitalismus in den vergangenen Jahrzehnten zu tun und der damit einhergehenden Verlagerung von Arbeits- und Umweltkosten entlang von Produktionsketten in den globalen Süden. Die Klimakrise ist daher vor allem auch eine Krise der globalen Gerechtigkeit. Die Forderung nach Verzicht ist daher eigentlich nicht von der Hand zu weisen.

Eigentlich – denn auch hierzulande verstehen sich viele Menschen nicht als Gewinner der Globalisierung. Die Einkommen von etwa 80 Prozent der Bevölkerung in Westeuropa und Nordamerika sind während der Globalisierung kaum gewachsen. Die reicheren 10 Prozent konnten dagegen Einkommenszuwächse von bis zu 100 Prozent verzeichnen. Das reichste Prozent erhielt Einkommenszuwächse von durchschnittlich 200 Prozent, die reichsten 0,001 von über 400 Prozent.

Durch die unterschiedliche Einkommensverteilung stieg die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaften stark an. Der Anteil der ärmeren 50 Prozent am Bruttoinlandsprodukt ist seit 1980 von 27 Prozent auf etwa 21 Prozent abgesunken, in den USA sogar von 20 Prozent auf 12 Prozent. Analog dazu ist der Anteil der reichsten 10 Prozent von 34 Prozent auf 47 Prozent angestiegen (USA) bzw. von 28 Prozent auf 35 Prozent (Deutschland).

Gefährliche Polarisierung

Klimapolitik, die auf Verzicht und Verteuerung basiert, funktioniert daher nicht. Zwar ist das Bewusstsein für ökologische Themen und internationale Gerechtigkeit weit verbreitet.  Beispielsweise befürworten in einer Umfrage 93 Prozent den Ausbau Erneuerbarer Energien, 94 Prozent der Bevölkerung vertreten die Ansicht, dass es global ungerecht zugeht. Doch andererseits gibt es auch die Wahrnehmung einer enormen Ungleichheit zwischen Unten und Oben. In einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben 82 Prozent der Befragten an, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland zu groß sei. Viele Menschen registrieren in ihrem Leben stagnierende Löhne, steigende Lebenserhaltungskosten und haben Existenzängste.

In der Globalisierung hat sich sowohl die Ungleichheit zwischen Nord und Süd als auch innerhalb der Gesellschaften verschärft. In dieser Lage entsteht eine gefährliche Polarisierung: zwischen einer ökologischen Linken auf der einen Seite, die Verzicht fordert und auf globale Ungerechtigkeit hinweist; und einer Neuen Rechten auf der anderen Seite, die den menschengemachten Klimawandel leugnet und sich dabei vermehrt der sozialen Frage im Inland zuwendet. Je mehr über Klima in moralischen oder szientistischen Absolutheitsformeln gesprochen wird und die soziale Frage dabei unter den Tisch fällt, desto stärker verschärft sich dieser Widerspruch.

Weg vom »Wir«

Um die Klima- und Klassenfrage miteinander zu verbinden und dabei auch nicht-akademische Milieus zu erreichen, braucht es neben den oben aufgeführten konkreten Forderungen, die an Alltagsinteressen anknüpfen und ein besseres Leben in naher Zukunft versprechen, einen greifbaren Gegner-Bezug. Laut einer Studie von Oxfam sind die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung für 50 Prozent der Konsumemissionen verantwortlich, die ärmeren 50 Prozent dagegen nur für 10 Prozent der Emissionen.

Dabei lassen sich Unterschiede zwischen Nord und Süd nicht von der Hand weisen. Zum Beispiel sind die durchschnittlichen Konsumemissionen einer Person, die in Deutschland zu den ärmeren 50 Prozent gehört, in etwa auf demselben Niveau einer Person, die in China zu den reichsten 10 Prozent gehört. Doch die Unterschiede innerhalb von Deutschland sind immens. Die besagte Person aus den ärmeren 50 Prozent stößt knapp 5 Tonnen Co2 aus, eine Person der reichsten 10 Prozent dagegen etwa 19 Tonnen. In den USA ist das Verhältnis acht zu 50 Tonnen Co2.

Von einem kohärenten »Wir« lässt sich also nicht sprechen. Das zeigt sich nicht nur bei Emissionen durch Konsum, sondern auch auf der Produktionsseite. So emittieren 100 Unternehmen 71 Prozent der industriellen Treibhausgas-Emissionen. Eines dieser Unternehmen ist RWE. Mit 217 Millionen Tonnen Co2 im Jahr 2018 war dieser Konzern allein für ein Viertel des gesamten Co2-Ausstoßes Deutschlands verantwortlich. Während RWE seine Gewinne vor Versteuerung in der ersten Jahreshälfte 2019 auf 1372 Millionen Euro steigern konnte, emittiert der Konzern mehr als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung durch Konsumemissionen zusammengenommen.

»We are the 90 %!«

Statt vom allgemeinen »Wir« zu sprechen, sollten daher die Emissionen der Konzerne und der reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in den Vordergrund gerückt werden. »We are the 90 %« – »wir sind die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die viel weniger zum Klimawandel beiträgt und vom Wachstum kaum profitiert« – könnte der von der Occupy-Bewegung (»We are the 99 %«) etwas abgewandelte Slogan der Klimabewegung lauten. »For Future« stünde damit nicht nur für den Kampf um die Zukunft des Planeten, sondern auch für die Zukunft einer Generation, die mit einer kapitalistischen Dauerkrise, Arbeitsmarktunsicherheit, teuren Mieten und ungewissen Zukunftsaussichten konfrontiert wird.

Dabei geht es selbstverständlich auch um ein internationalistisches Projekt, das ein besseres Leben für die großen Mehrheiten aller Gesellschaften anstrebt. Genauso muss klar sein, dass es sich hierbei nur ein transformatives Projekt im eigentlichen Wortsinne handeln kann, also um den Aufbau eines postkapitalistischen Wirtschaftssystems im Zuge einer demokratischen Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums und der Produktionskapazitäten.

Ohne diese Verbindung von Klima- und Klassenfrage mit einem klugen Gegnerbezug – also ein »Klimapopulismus« im besten Sinne des Wortes – könnte die Klimabewegung wieder verpuffen. Obwohl am 20. September 2019 1,4 Millionen Menschen für stärkeren Klimaschutz auf die Straße gegangen sind, wurde am selben Tag ein durch die Bank weg enttäuschendes Klimapaket verabschiedet. Es fehlt ein Transmissionsriemen, der ähnlich wie bei den Hartz4-Protesten und der Entstehung der Linkspartei oder den PEGIDA-Demonstrationen und der Entstehung der AfD die politischen Verhältnisse durcheinanderbringt und den Raum des politisch Sag- und Machbaren verschiebt.

Eine neue Bewegungspartei?

In allen drei Parteien des linken Spektrums (sofern man SPD und Grüne dazuzählen möchte) ist die nötige sozial- und klimapolitische Radikalität und ein entsprechender verbindender Ansatz aus unterschiedlichen Gründen blockiert. Das »Aufstehen«-Projekt der Linksfraktionsvorsitzenden Sarah Wagenknecht war keine linke »Sammlungsbewegung«, sondern der dezidierte Versuch, konservative Kulturpolitik mit reformerischer Sozialpolitik zu kombinieren.

Auch wenn dieser Versuch in dieser Form glücklicherweise gescheitert ist, fehlt eine echte Sammlungsbewegung mehr denn je. Sie könnte, ebenso wie Diskussionen um eine neue Bewegungspartei, Druck auf die Parteien ausüben. Durch die Verbindung von radikaler Klima- und Sozialpolitik, die beispielsweise auch vor der Enteignung von Immobilien- und Energieunternehmen nicht zurückschreckt, könnte sie eine oppositionelle Kraft im politischen Diskurs werden, die gegen den neoliberalen und fossilen Kapitalismus mobil macht.

Anstatt dass Klimapolitik als moralischer Verzichtsdiskurs und Thema einer kulturellen Elite wahrgenommen wird, ließen sich neue Allianzen herstellen. Diese sind, insbesondere falls in den nächsten Jahren eine neue Wirtschaftskrise soziale und ökonomische Fragen wieder stärker in den Mittelpunkt rücken sollte, notwendiger denn Je.

Geschrieben von:

Samuel Decker

Ökonom und Aktivist

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