Wirtschaft
anders denken.

Für Menschen und Umwelt zu spät

16.05.2023
Foto: Wikimedia CommonsEl Cerrejón. Für die größte Mine Lateinamerikas, wurden breite Strecken der Umwelt vernichtet.

Kolumbien will die schädliche Produktion von Kohle hinter sich lassen. Gerade steigt aber die Nachfrage aus Deutschland.

Deutschland und Kolumbien teilen ein gemeinsames Ziel. Kohle soll bald schon keine Rolle mehr spielen. Spätestens ab dem Jahr 2038 will Deutschland nach jetzigem Stand auf die klimaschädliche Kohleverstromung und Kolumbien auf die Förderung des schmutzigen Rohstoffs verzichten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hob im Rahmen einer Besuchsreise in Kolumbien Mitte März die geplante Kooperation der beiden Länder beim Klimaschutz und bei zukünftigen »grünen« Energieexporten hervor. So verfüge Deutschland über »Unternehmen, die statt Kohle in Zukunft einen klimaneutralen Energieträger kaufen möchten«, sagte er mit Blick auf das Potenzial »grünen« Wasserstoffs, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wird.

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine kaufen deutsche Unternehmen in Kolumbien aber erst mal wieder deutlich mehr Kohle. Anfang April 2022 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz den damaligen kolumbianischen Präsidenten Iván Duque angerufen, um Ersatz für die nunmehr unerwünschten Rohstoffe aus Russland zu beschaffen. Anschließend genehmigte Kolumbien umgehend die Ausweitung der Kohleförderung und erhöhte seine Exporte von Steinkohle nach Deutschland.

Seit Ende 2018 wird hierzulande keine Steinkohle mehr, sondern nur noch Braunkohle gefördert, die weniger energieeffizient ist. Noch bis vor wenigen Jahren war Deutschland, das etwa 8,5 Prozent seines Energiebedarfs mit Steinkohle deckt, eines der wichtigsten Importländer Kolumbiens. Bis Anfang 2022 fiel die importierte Menge aber von einst über zehn auf unter zwei Millionen Tonnen jährlich. Dazu trugen nicht zuletzt Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen bei, die von Kohleunternehmen ausgehen. Im vergangenen Jahr verdreifachte Deutschland seine Steinkohle-Importe aus Kolumbien dann laut vorläufigen Zahlen auf fast 5,8 Millionen Tonnen. Abnehmer sind vor allem EnBW, RWE, STEAG und Uniper.

Mit über 57 Millionen Tonnen war Kolumbien 2021 der weltweit sechstgrößte Kohleexporteur und der größte Kohleproduzent Lateinamerikas. Der ehemalige Präsident Juan Manuel Santos (2010–2018) hatte den Bergbau zur »Entwicklungslokomotive« erklärt, sein Nachfolger Iván Duque ab 2018 einen weiteren Ausbau angekündigt. Die seit August 2022 amtierende Linksregierung unter Gustavo Petro hat es sich hingegen zum Ziel gesetzt, das auf Rohstoffexporten basierende Wirtschaftsmodell zu überwinden, und will keine neuen Projekte bewilligen. Laut dem derzeitigen Leiter der Bergbaubehörde, Álvaro Pardo, kalkuliert die Regierung mit einem Zeithorizont von 15 Jahren. »Das Ziel ist, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen nach und nach zu verringern, damit die Wirtschaft keine Probleme bekommt«, sagte er Mitte März bei einer digitalen Diskussionsveranstaltung des zivilgesellschaftlichen Netzwerks »Deutsche Menschenrechtskoordination Kolumbien«. Für Rosa María Mateus, Menschenrechtsanwältin beim Anwältinnen-Kollektiv CAJAR, geht das zu langsam. »Ein Kohleausstieg 2038 kommt für die kolumbianischen Förderregionen viel zu spät. Bis dahin wird die Biodiversität verschwunden sein.«

Denn der Kohleabbau hat gravierende Auswirkungen auf Menschen und Umwelt. In den 1980er Jahren hatte Kolumbien die Kohleproduktion in den Departamentos La Guajira und Cesar mittels privater Investitionen beträchtlich ausgeweitet. Die Durchsetzung einer exportorientierten Ökonomie und die Erschließung von Bodenschätzen setzten maßgeblich paramilitärische Gruppen mit durch. Sowohl in La Guajira als auch in Cesar kam es im Umfeld von Kohleprojekten zu gewaltsamen Vertreibungen, Zerstörung der Ackerflächen, massiver Wasserverschmutzung und Wassermangel. Dies, ebenso wie die regelmäßigen Sprengungen, verursacht zahlreiche Gesundheitsprobleme bei der lokalen Bevölkerung, die zunehmend ihre Lebensgrundlagen verliert.

Transnationale Konzerne fördern die kolumbianische Kohle fast ausschließlich im Tagebau. Dazu gehören in Cesar der US-Bergbaukonzern Drummond. Im nordöstlichen Bundesstaat La Guajira betreibt El Cerrejón, das sich seit Anfang 2022 im alleinigen Besitz des Schweizer Rohstoffriesen Glencore befindet, die größte Kohlemine Lateinamerikas. Das Unternehmen allein ist für gut ein Drittel der kolumbianischen Kohleproduktion verantwortlich. Von der Kohleförderung profitiert die lokale Bevölkerung in La Guajira jedoch kaum, über 50 Prozent der Menschen in der Region leben in Armut. El Cerrejón bietet nur etwa 6.000 Arbeitsplätze, was weniger als ein Prozent aller Beschäftigten in La Guajira ausmacht. Im Umfeld des Tagebaus sind besonders die indigenen Wayúu negativ betroffen. Eine laut ILO-Konvention 169 heute vorgeschriebene Befragung zur »freien, vorherigen und informierten Zustimmung« hat es nie gegeben, da die Konzessionen für den Kohleabbau in den 1980er Jahren bereits vor Verabschiedung der ILO-Konvention vergeben wurden. Ende 2019 konnten die Wayúu einen Achtungserfolg verzeichnen. Zwei Frauen hatten aufgrund der Gesundheits- und Umweltschäden auf eine Schließung der Kohlemine geklagt. Dem folgte das kolumbianische Verfassungsgericht zwar nicht, forderte El Cerrejón jedoch dazu auf, die umliegenden Wayúu-Gemeinden besser zu schützen. Der UN-Sonderberichterstatter für Umwelt und Menschenrechte, David Boyd, rief das Bergbauunternehmen im September 2020 dazu auf, die Kohleförderung aufgrund der Gefahren für die Wayúu-Bevölkerung und die Umwelt sowie nicht zuletzt aufgrund der erhöhten Gefährdung durch Covid-19 in Teilen einzustellen. Insgesamt befand sich El Cerrejón während der Corona-Pandemie in einer tiefgreifenden Krise: Nicht nur die juristischen Prozesse, sondern auch der Nachfragerückgang aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise und zunehmender Dekarbonisierung sowie anhaltende Streiks von Arbeiter:innen stellten das Unternehmen vor große Herausforderungen. Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine konnte El Cerrejón seine Produktion wieder ausweiten. Sowohl die deutsche als auch die kolumbianische Seite betonen jedoch, dass dies allein der entstandenen Notfallsituation geschuldet sei und keine langfristigen Auswirkungen habe.

Die große Herausforderung für die kolumbianische Regierung besteht nun darin, rasch Alternativen zur Förderung von Kohle, Erdöl und anderen Rohstoffen zu schaffen. Als sich etwa 2021 das Unternehmen Prodeco, eine Tochterfirma des schweizerischen Konzerns Glencore, aus der Kohleförderung in Cesar zurückzog, hinterließ der Konzern eine Lücke. Aufgrund fehlender Konzepte für den nötigen Strukturwandel blieben viele Menschen plötzlich ohne Arbeit zurück. Erste Schritte hat die Regierung Petro bereits eingeleitet. So brachte sie eine Steuerreform durch den Kongress, die unter anderem die Abgaben für Gutverdiener und zumindest temporär auch für Öl- und Kohleunternehmen erhöht.

Geschrieben von:

Tobias Lambert

Freier Journalist

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