Wirtschaft
anders denken.

Konkurrenzfähigkeit, Bestform des Daseins?

13.09.2016
Eine Schnecke auf Asphalt.Foto: Cristian Bortes / flickr CC BY 2.0Ewiger letzter im Konkurrenzkampf.

Historisch hat Konkurrenz ererbte Privilegien auf- und abgelöst. Aber die real existierende Marktwirtschaft ist massiv vermachtet. Inszenierter Wettbewerb verdeckt die Schattenseiten der Konkurrenz. Teil 4 der Serie »Freiheit und Ausbeutung«.

Laufendes Kräftemessen im Namen von Wettbewerb und Konkurrenz – wen interessiert schon der Unterschied – ist als sozialer Normalzustand weithin anerkannt. Im rivalisierenden Verhaltensmuster der Ökonomie findet sich, so die allgemeine Meinung, der Mensch wieder. Und zwar in allen Lebenslagen. Wie war ich, Schatz?  Das Leben, ein Assessment Center?

Erstes Merkmal eines Marktes ist nicht die Konkurrenz, sondern der offene Zugang und damit verbunden die Möglichkeit, Angebote machen und diese annehmen oder ablehnen zu können. Zu vergleichen und dann eines dem anderen vorzuziehen, drängt sich als nächster Schritt auf. Der Konkurrenzgedanke ist unbestreitbar auf dem Markt zuhause. Die schön herausgeputzte Konkurrenz, gesittet und jugendfrei, trägt den Namen Wettbewerb.

Die Teilnehmenden eines Wettbewerbs sind bekannt und die Beteiligten kennen die Regeln, an die sie sich zu halten haben. Wettbewerb hat fair zu sein, er ist regulierte Konkurrenz. Dass Wettbewerb viel Sinn, sogar Spaß machen kann, erleben alle, die spielen und Sport treiben. Warum sonst ist unlauter die schlimmste Eigenschaft, die man einem Wettbewerb nachsagen kann? Auch wenn niemand genau sagen kann, wo der Anstand aufhört und ab wann wir von asozialem Verhalten sprechen müssen. Die Grenzen sind fließend und nur die Gesetzeslagen scheinen noch eine Orientierung zu ermöglichen. Wenn aus asozial kriminell und das auch noch bemerkt wird, ist klar: Hier hat es jemand übertrieben und dafür gibt es – im besten Fall – eine Strafe. Trotzdem hält sich das alte Wort »unlauter« im Zusammenhang mit Wettbewerb im Sprachgebrauch.

Wettbewerb, das ist sein Grundgedanke, soll die Suche nach einer besseren Lösung für eine Aufgabe oder ein Problem anregen. Genau das wird beeinträchtigt oder sogar verhindert, wenn nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die gleichen Chancen haben. Dann gewinnen nämlich diejenigen mit dem besseren Durchsetzungsvermögen, dem meisten Geld und den schöneren Versprechen, auch wenn sie nur schlechtere Lösungen haben. »Wettbewerbshüter« sollen das verhindern. Auf dem Wirtschaftssektor üben in Deutschland das Bundeskartellamt, in den USA die Federal Trade Commission und das Justizministerium diese Funktion aus.

Konkurrenten machen sich das Leben schwer

Hinter dem Wettbewerb lauert die Konkurrenz. Ganz selbstverständlich sprechen wir vom Konkurrenzkampf, obwohl Konkurrenz eine soziale Beziehung ist, die den direkten Kampf gerade vermeidet. Das hat schon einer der Großväter der Soziologie, Georg Simmel (1858-1918), festgehalten: »Wer den Gegner unmittelbar beschädigt oder aus dem Weg räumt, konkurriert insofern nicht mehr mit ihm.« Der Kampf findet nur indirekt statt, weil es nicht, wie etwa bei einem Duell, um die Kontrahenten selbst geht. Der Kampf gilt einem gemeinsamen Ziel, dass aber nur einer, zumindest nicht jeder erobern kann. Wir haben es, so Simmel, mit »den parallelen Bemühungen beider Parteien um einen und denselben Kampfpreis« zu tun.

Herrschte keine Konkurrenz, wäre das Ziel, der »Kampfpreis«, leichter zu erreichen. Konkurrenten machen sich also das Leben doppelt schwer: Die weniger Erfolgreichen erreichen das Ziel nicht, ruinieren sich vielleicht sogar, und die Erfolgreichen müssen sich mehr anstrengen, ihr Aufwand und ihre Kosten steigen. Deshalb haben Konkurrenten die Neigung, die negativen Wirkungen der Konkurrenz zu minimieren, indem sie andere ausspionieren, sie aufkaufen, in ruinöse Preiskämpfe treiben, mit den verbliebenen Absprachen treffen. Ein logisches, sich aufdrängendes Verhalten unter Konkurrenzbedingungen: Das sind schließlich keine Olympischen Spiele, wobei auch hier mit der Erfindung des Dopings der faire Wettkampf nach und nach ausgeschaltet worden ist, stattdessen dem Wetteifer um die cleverste Methode gewichen ist, seinen Körper mit Beihilfe der Pharmaindustrie zu tunen und dabei nicht erwischt zu werden.

Wer den Gegner unmittelbar beschädigt oder aus dem Weg räumt, konkurriert insofern nicht mehr mit ihm

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Kritik an der Marktwirtschaft bis hin zu dem Vorwurf, dass sie gar keine sei, speist sich aus Belegen, die zementierte Wettbewerbsvorteile bei großen Anbietern, Oligopolen oder sogar Monopolen am Werk sehen. Konzerne teilen Märkte unter sich auf, treffen geheime Verabredungen und Preisabsprachen, um sich den Wettbewerb zu »ersparen«. Konkurrenzverhältnisse fördern solche Verhaltensweisen. Die real existierende Marktwirtschaft ist massiv vermachtet. Deshalb gibt es inzwischen viele, die davon ausgehen, dass wir es gar nicht mehr mit Marktwirtschaft zu tun haben, weil die Grundbedingung – freier Zugang zum Markt und ähnliche Ausgangsbedingungen für alle Teilnehmer – nicht mehr erfüllt sind; und weil nur noch wenige, dafür aber riesige, Konzerne, das gesamte Geschehen auf dem Markt bestimmen, dirigieren und gestalten. Inzwischen, das ist bekannt, gibt es nicht wenige Startups, die sich mit dem erklärten Ziel gründen und entwickeln, später für teuer Geld von einem großen Konzern gekauft zu werden. Für die Konzerne ist das schon allein deshalb von Vorteil, weil das Risiko des Anfangs nicht bei ihnen liegt, die Fördergelder für den Start oft aus staatlichen Fonds kommen und sie erst zugreifen müssen, wenn das entwickelte Produkt die Feuertaufe bestanden und Abnehmer gefunden hat.

Druck und Disziplinierungen

Inzwischen dominieren in fast allen Branchen wenige große Konzerne, sei es der Auto-, Computer-, Medien-, Lebensmittel- oder Bekleidungsmarkt. Trotzdem bestimmt der Wettbewerbsdiskurs die öffentliche Darstellung – nicht nur der Werbung, und der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch des Journalismus. Als Botschaft läuft mit, es sei stets das Beste, was uns angeboten wird. Wer noch vor einem Jahr am Berliner Alexanderplatz einen Einkaufsbummel machte, um bei Saturn, Mediamarkt und Kaufhof die Angebote zu vergleichen, wusste in den seltensten Fällen, dass all die Läden der METRO Group gehören (inzwischen ist Galeria Kaufhof an die Hudson‘ Bay Company verkauft). Jeder Vergleich, wer hier einen Wettbewerber mit welchen Preisen und Leistungen aussticht, kennt nur einen Gewinner und das ist nicht der Kunde. »Ich bin doch nicht blöd« und »Geiz ist geil« marschieren getrennt und schlagen vereint. Der Berliner Alexanderplatz mit seinen angesiedelten Konsumtempeln ist also ein plastisches Beispiel dafür, wie uns von einem Strippenzieher Wettbewerb vorgespielt wird.

Ständiges Ringen um Konkurrenzfähigkeit führt zu Druck und Disziplinierungen, die der innovativen Suche nach besseren Lösungen Zeit und Kraft rauben. Und Konkurrenz ist nicht in jedem Lebensbereich förderlich. Auf den Gedanken, dass Seniorenheime, Krankenhäuser, Museen, Schulen und Universitäten der gleichen Logik des Konkurrenzmanagements folgen sollen wie Wirtschaftsunternehmen, muss man erst einmal kommen. Lösungsangebote, die der Konkurrenz entspringen, sind nicht per se gut, sonst bräuchten wir keine Stiftung Warentest und keine Verbraucherzentralen.

Historisch hat Konkurrenz ererbte Privilegien auf- und abgelöst. Traditionale Besitzstände an Gütern und Rechten sollten gleichem Recht für alle und leistungsbasierter Verteilung weichen. Konkurrenz startet mit der Idee der Gleichheit und mündet in reale Ungleichheiten, die als Folge ungleicher Leistungen gedeutet werden. Aber diese Deutung produziert nur schönen Schein, wenn nicht mehr Gleiche, sondern Große gegen Kleine, Starke gegen Schwache antreten.

Bleibt die große Frage, ob die Idee der Gleichheit sich nur in Konkurrenzverhalten ausdrücken kann. Dass Konkurrenzfähigkeit im Licht und Kooperationsfähigkeit im Schatten steht, muss gewollt und gemacht werden. Nichts hindert eine Gesellschaft, mehr zu kooperieren als zu konkurrieren, außer sie sich selbst.

In Teil 3 der Serie zu Freiheit und Ausbeutung beschäftigten sich Kathrin Gerlof und Hans-Jürgen Arlt mit der Frage, wie sozial die soziale Marktwirtschaft sein kann.

Folgt Teil 5: Des eigenen Glückes Schmied sein können

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