Wirtschaft
anders denken.

Konsenspotenziale für den grünen Kapitalismus

16.11.2019
OXIUmverteilen - aber richtig.

Die Grünen halten Parteitag in Bielefeld. Verhandelt wird dort auch der künftige Kurs in der Wirtschaftspolitik: Grüne Marktwirtschaft? Das ruft wie stets linke Kritik hervor. 

Vor ein paar Tagen sorgte Robert Habeck mit einer Äußerung für Aufsehen: »Märkte können wie ein Spürhund sein, sie finden die richtige Lösung.« Im Internet hat das einige kritisch gemeinte Sottisen ausgelöst, auch der Rest des Gesprächs ändert am Eindruck einer im Grunde grün-marktpositiven Haltung des Parteichefs wenig. Aber die ist auch nicht überraschend, wann immer sich die gegenwärtige Grünenspitze zu wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen eingelassen hat, hieß es mehr oder minder immer: »Der Markt soll den Wohlstand bringen«.

Uli Schulte hat in der »Taz« hier einen der grünen Mythen verortet: Die Partei wird oft als »radikal« betrachtet, und sie sieht sich gern auch selbst so, das Bild wird durchaus gepflegt, siehe die Formel »Radikal ist das neue Realistisch«. Doch aber: »Die Grünen sind alles, aber nicht radikal.« Weder in Sachen CO2-Minderung, noch bei der Reichtumsverteilung, noch im  wirtschaftspolitischen Leitantrag des Bundesvorstands, der »Markt und Wachstum« feiere, »um die ökologische Revolution zu schaffen«. Das, so Schulte, »ist komplett anschlussfähig an konservativ-liberale Politik«.

Die Grünen haben sich in Bielefeld, so hier der Überblick von Schulte über die entsprechenden Anträge, »weitreichende Neuerungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik« vorgenommen. Unumstritten sind diese nicht. »Manchen in der Partei geht das Lob der Marktwirtschaft gegen den Strich.« Die Grüne Jugend etwa erinnert daran, »dass der Wohlstand vieler im Kapitalismus auf der Zerstörung der Lebensgrundlagen und der Armut vieler anderer beruhe«. Damit verbunden ist die Forderung, ein »sozial-ökologisches Wirtschaftssystem« zu entwickeln.

Von weiter links löst der grüne Marktoptimismus schon seit langem Kritik aus. Eine Art Standardwerk dieser Position haben Stephan Kaufmann und Tadzio Müller schon vor zehn Jahren vorgelegt. Ausgehend von der heute noch weniger als seinerzeit umstrittenen Überlegung, dass eine »Verschränkung von ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen« die »zentrale Herausforderung der nächste Jahre« sei, heißt es da: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint nur ein Projekt kapitalistischer Krisenbewältigung langfristig hegemoniefähig zu sein, welches die dafür nötigen Ressourcen, Akkumulationsdynamiken und Konsenspotenziale hervorbringen könnte: ein Green New Deal, eine Periode eines grünen Kapitalismus. An seiner Kritik gilt es bereits jetzt zu arbeiten, von links Positionen zu entwickeln, die auf die Widersprüche eines solchen Herrschaftsprojekts verweisen und interventionsfähig sind.«

Die grünen Innovationen bleiben also im Rahmen »des kapitalistisch Erlaubten« (Georg Fülberth). Wer hatte etwas anderes erwartet? Beim Blick auf die Grünen, vor allem in kritischer Absicht, sollte man aber gerade deshalb den Hinweis auf die »Konsenspotenziale« im Hinterkopf behalten. Denn »eine radikale Realpolitik«, die »auf eine sozialistische, sozialökologische Transformation« ausgerichtet ist – um ein Beispiel für ein alternatives linkes Hegemonieziel zu nennen -, hat diese Konsenspozenziale derzeit nicht. Sie mögen durch die heuer öfter auch ins Grundlegende greifende Kritik, siehe etwa der so genannte Antikapitalismus im Umfeld von »Fridays For Future«, etwas gewachsen sein gegenüber 2009.

Aber weder kurz- noch langfristig ist eine deutlich weiter links ausgerichtete »Hegemoniefähigkeit« absehbar. Das soll kein Argument sein dafür, von diesem Ziel abzulassen. Man wird es aber zur Kenntnis nehmen müssen, wenn man den Grünen in kritischer Absicht vorwirft, zu große »Konsenspotenziale« zu zeigen. Und man sollte sich auch nicht durch eine mediale Öffentlichkeit beeindrucken lassen, die seit geraumer Zeit gern die operative Kompatibilität grüner Politik mit Unternehmensinteressen und »Regierungsfähigkeit« in den Fokus nimmt. Das »Handelsblatt« hat schon vor einiger Zeit eine ausführliche Analyse der Frage gewidmet, »wie die Unternehmen mit einer grünen Regierung zurechtkämen«. Jetzt loben sogar schon die Kapitalisten die Ökos!!!!

Nun, man kann sich Lob nicht immer aussuchen. In dem angesprochenen Beitrag kann man viel eher etwas über »die Widersprüche eines solchen Herrschaftsprojekts« lernen, das in der Chemiebranche investierte Kapital wird über eine mögliche grüne Bundesregierung anders denken als der Sektor, bei dem erneuerbare Energien im Zentrum der Kapitalverwertung stehen. Das muss linke BeobachterInnen nicht gleich zu der Frage führen, inwieweit progressive Eingriffe innerhalb des Kapitalismus sich auch auf Bündnispartner stützen werden müssen, die man vielleicht vorübergehend »progressives Kapital« nennen könnte. Aber ganz weglassen sollte man den Gedanken eben auch nicht.

Ein Knackpunkt der öffentlichen Widerspiegelung grüner wirtschaftspolitischer Kursentscheidungen liegt darin, dass von der einen Seite von den Grünen offenbar immer noch eine Art symbolisches »Bad Godesberg« erwartet wird, das ihre Bereitschaft bezeugen soll, eine Politik zu machen, mit der Unternehmen »zurechtkämen«. Zwar haben die Fischer-Grünen schon 1998 mit am Kabinettstisch gesessen, und man erinnert sich weit lieber an die damaligen Trittin-Grünen. Doch nun wird mehr erwartet als eine im Rahmen »des kapitalistisch Erlaubten« liegende Energiewende-Politik. Nämlich das, was hierzulande die ganz große Monstranz des Politischen ist: »Verantwortung« übernehmen zu können fürs ökonomische Ganze.

Dass darunter nicht selten bloß die Verbesserung der Bedingungen verstanden wird, unter den Kapital sich verwerten kann, verengt oft den Blick auf grüne Wirtschaftspolitik. Hier nun kommt die andere Seite ins Spiel – denn eine gewisse Verengung ist freilich auch dem kritischen, linken Blick innewohnend: An Habecks »Spürhund«-Interview war ja nicht bloß dieser Satz interessant, gleichwohl er gut in einer aufs Verkürzte setzenden Aufmerksamkeitsökonomie nutzbar war. Eine Formulierung wie »die Spur, die wir legen, ist, dass Märkte der Gesellschaft dienen, den Menschen«, kann man in der Tat als Geste der Anpassung unter ein ziemlich weit verbreitetes Denken ansehen, das der ideologischen Phrase der »sozialen Marktwirtschaft« anhängt.

Wo Habeck aber von »Neubegründung« und »umfassenden Korrekturen« spricht, klingt das auch ein bisschen nach Karl Polanyi und dem Ziel, die Märkte wieder stärker in die Gesellschaft einzubetten, heißt: sie zu regulieren, dem gesellschaftlichen Interesse (etwa nach Klimaschutz) Vorrang vor dem der privaten Aneignungslogik zu verschaffen (die dann im Rahmen des Ziels Klimaschutz als Ermöglicher, als Antreiber gedacht wird). Es geht darum Rahmen zu setzen, die eine längerfristige Entwicklung lenken. Das wäre eine weitere, aber andere Analogie zu Bad Godesberg: Soviel Markt wie möglich, soviel Planung wie nötig, hieß es damals.

Das ist nach ewig erscheinenden Zeiten, in denen jegliche Planungsidee, jeglicher Eingriff im Sinne des Öffentlichen, jegliche Regulierung und so weiter als Teufelszeug angeprangert wurde, eine kleine aber vielleicht nicht unwesentliche Verschiebung. Sie macht die Grünen wirtschaftspolitisch nicht zu einer linken Partei, aber warum sollten sie das auch wollen? Abgesehen davon, dass zwei andere Kandidatinnen diese Rolle ja auch ausfüllen könnten, mit anderen Schwerpunktsetzungen (Faktor Arbeit – die SPD, Faktor Systemtranszendenz – die Linkspartei).

Von der anderen Seite aus ist die Skepsis nicht viel kleiner. Die Redakteure, die mit Habeck das in Rede stehende Interview geführt haben, müssen nicht nur aus liberalkonservativer Pose heraus sagen, dass die grünen Pläne »mit so vielen Regulierungen … an vielen Stellen eher nach einem neuen System« klingen. Hier spricht die Ablehnung vor allem gegenüber den ökologisch inspirierten Ordnungsvorstellungen. Nur kommt man, spricht man aus dieser Perspektive »des kapitalistisch Gewollten« (nicht »Erlaubten«, das ist eine wichtige Differenz), heute nicht mehr mit Verbotspartei-Rufen gegen die Grünen weiter.

Vielleicht ist das der springende, wenn auch ein kleiner Punkt: Die Grünen sind der parteipolitische Ausdruck jener »Periode eines grünen Kapitalismus«, von dem eingangs die Rede war. Das damit verbundene, und umstrittene Instrumentarium, geht den einen zu weit – und den anderen viel zu wenig weit. So war das aber auch in anderen Phasen, nur waren damals andere Parteien die politisch passende Entsprechung zu einer bestimmten Ausprägung der Produktionsweise. Nun sind es also die Grünen, was ihre Konsenspotenziale erhöht. Das ist erst einmal nichts, das zu Gram oder Jubel Anlass geben muss. Es ist so, und damit ist es die Voraussetzung auch derer, die eine andere Entwicklungsdynamik für besser halten.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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