Wirtschaft
anders denken.

Neugründung, Kooperation und Fragmentierung: ein OXI-Überblick zum Stand der europäischen Linken

25.03.2018
OXIDiEM25 bei einer Veranstaltung in Berlin

In Griechenland gründet sich mit der MeRA25 eine neue linke Partei – als Wahlableger der europäischen Bewegung DiEM25. +++ Der Vorstand der Europäischen Linkspartei hat sich klar gegen einen Ausschluss der griechischen SYRIZA gewandt – und einen Aufruf zur Einheit der fortschrittlichen Kräfte lanciert. +++ Die Debatte um Kooperation und Fragmentierung in der linken Europas geht weiter.

Neue linke Partei in Griechenland

Anfang kommender Woche will sich in Athen eine neue Partei gründen – die MeRA25. Das Kürzel verweist auf die Nähe zur europäischen Demokratiebewegung DiEM25. Und auch bei MeRA25 ist der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis der »Impulsgeber«, so formuliert es jedenfalls die »Griechenlandzeitung«. MeRA25 wird der griechische Wahlflügel von DiEM25 sein, Kandidaturen bei den anstehenden Parlamentswahlen, die turnusmäßig im Oktober 2019 stattfinden sollen, sowie bei den Europawahlen im Mai 2019 und auf kommunaler Ebene sind avisiert. Varoufakis wird bei der Neugründung eine zentrale Rolle spielen, die Organisation ist aber Ergebnis eines Diskussionsprozesses innerhalb von DiEM25. Dabei geht es schon länger um die Frage, wie das progressive Programm der europäischen Bewegung auch bei Wahlen zur Debatte gestellt werden kann, ohne den Charakter einer neuen, weil europäisch gedachten Organisation wieder zurückzunehmen.

Die »European Realistic Disobedience Front« sieht einen »konstruktiven und verantwortungsbewussten Ungehorsam« als den »einzig verantwortungsbewussten Weg« an, »um die Deflation Griechenlands und die Dekonstruktion Europas zu beenden«, heißt es in einer Erklärung. Die Abkürzung MeRA25 stellt dabei auch sprachlich die Verbindung zu DiEM25 dar: »Mera« bedeutet »Tag«, es gehe darum, »die endlose Nacht unserer Großen Depression« zu beenden. »Der einzige Weg, wie man heute verantwortlich sein kann, ist die Missachtung der irrationalen Politik, die unser Land zerstört und in eine Wüste verwandelt«, so MeRA25. »Die Achtung unseres Parlaments, unserer Verfassung, unserer Logik selbst, kann nur wiederhergestellt werden, wenn der blinde Gehorsam gegenüber den Richtlinien der Troika und unserer Oligarchie beendet wird.« Als Wahlableger von DiEM25 sieht sich das neue Bündnis zudem dem »europäischen Internationalismus« verpflichtet.

Mit Blick auf die in Griechenland etablierten Parteien heißt es bei MeRA25, diese hätten »vor den Richtlinien aus Brüssel und Frankfurt kapituliert«. Zwar mochten sich SYRIZA, Nea Dimokratia oder die sozialdemokratische PASOK über Details der Bewertung der Troika-Vorgaben uneins sein, würden aber unisono einen Grexit ablehnen. Andere Strömungen wie die kommunistische KKE oder die SYRIZA-Abspaltung Laiki Enotita wiederum würden einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro für eine optimale Lösung halten. MeRA25 wolle sich einem solchen Gegensatz entziehen, man strebe eine progressive Kurswende innerhalb der Eurozone an. Damit grenzt sich MeRA25 sowohl von SYRIZA als auch den beiden linken Parteien KKE und Laiki Enotita ab. In aktuellen Umfragen rangiert die regierende SYRIZA bei Werten zwischen 22 und 25 Prozent klar hinter der rechtskonservativen Nea Dimokratia. Die kommunistische KKE stagniert um sieben Prozent, die Laiki Enotita kam zuletzt auf Werte zwischen 1 und 3 Prozent.

Europäische Linkspartei weist Antrag auf SYRIZA-Ausschluss zurück

Bei einem Treffen des Vorstands der Europäischen Linken in Wien ist an diesem Wochenende der Antrag der französischen Parti de Gauche zum Ausschluss der griechischen SYRIZA beraten worden – der Vorstoß aus dem Lager von Jean-Luc Mélenchon wurde in der österreichischen Metropole »eindeutig und klar« zurückgewiesen, wie es bei der Europäischen Linkspartei heißt. Schon die Einleitung eines solches Verfahren erhielt keine Unterstützung. »Festgestellt wurde, dass wir Diskussionen und Erweiterungen benötigen, aber keine Ausschlüsse.«

Das Ausschluss-Begehren, das der Vorstand der französischen Linkspartei Parti de Gauche vor einigen Wochen lanciert hatte, war schon zuvor auf deutliche Kritik gestoßen. »SYRIZA ist für Mélenchon nur das Vehikel, um rechtzeitig vor der Europawahl 2019 die Europäische Linke zu spalten«, so hatte es der Bundesschatzmeister der deutschen Linkspartei, Thomas Nord formuliert. Es geht hierbei um die Frage, ob und wer auf transeuropäischen Listen antreten könnte. Diese scheiterten inzwischen am Widerstand der Konservativen im Europaparlament, viele halten aber weiter an dieser Forderung fest. Die von der Parti de Gauche formulierte Ausschlussforderung mache den Eindruck, so hieß es, dass Mélenchon einen Keil in die heterogene Linke Europas mit dem Ziel treiben wolle, eine eigene europäische Liste aufzustellen, die sich für eine Auflösung der jetzigen EU ausspricht.

Die Frage ist nun, was dem Nein des Vorstandes der Europäischen Linken für eine Reaktion aus Frankreich folgt. Die Parti de Gauche, in der Mélenchon immer noch der starke Mann ist, hatte es als »ohne jeden Zweifel« bezeichnet, dass eine Kooperation mit SYRIZA in der Europäischen Linken »unmöglich« geworden sei. Begründet wurde dies mit dem Vorwurf, die Regierung in Athen betreibe inzwischen selbst Austeritätspolitik und richte sich gegen die Interessen der Beschäftigten.

Gysi: Aufruf zur Einheit der Linken und der fortschrittlichen Kräfte

Die Konfliktlagen in der europäischen Linken sind schon immer vielfältig und komplex gewesen, inzwischen scheinen die auseinanderstrebenden Kräfte wieder stärker zu werden – vor dem Hintergrund der europäischen Krise und des Rechtsrucks wirken sich dabei vor allem die unterschiedlichen Positionen zur EU, zur Frage der Aktualität und Wirksamkeit national ausgerichteter Politikansätze und zum Euro aus. Der Präsident der Europäischen Linken, der langjährigere Linkspartei-Frontmann Gregor Gysi, bemüht sich nun, der Fragmentierung mehr Kooperation entgegenzusetzen. In Wien wurde ein Partnerschaftsabkommen mit der Schottischen Demokratischen Linken unterzeichnet. »Zugleich forderte der Vorstand eine neue gemeinsame progressive europäische Bewegung gegen den Übergang zum rechten Europa«, heißt es von dem Treffen in Wien.

Dazu wurde ein »Aufruf zur Einheit der Linken und der fortschrittlichen Kräfte« verabschiedet, der vor den Europawahlen den »Willen zur Einheit« bekräftigen soll. »Die EU steckt in einer tiefen Krise«, heißt es weiter. »Das Dogma der neoliberalen Sparpolitik, eine sich rasch entwickelnde Zunahme der sozialen Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich, unfaire Handelsabkommen, die rasch voranschreitende Militarisierung der EU, die Rückkehr der Kriegsgefahr in Europa, die anhaltende Zerstörung der Umwelt, die immer noch unerreichte Gleichstellung der Geschlechter und die globale Politik, die die Migration durch Krieg und Wirtschaftspolitik antreibt – es ist die Aufgabe der linken und fortschrittlichen Kräfte, Lösungsvorschläge zu machen.«

Genau hier liegt aber der Knackpunkt: Die in einzelnen Parteien verfolgten Ansätze passen nicht mit denen anderer Parteien zusammen. Gysi argumentiert nun, angesichts der »Entwicklung nach rechts in Europa« sei es die Aufgabe der linken und fortschrittlichen Kräfte, ein Stopp des Rechtskurses zu erreichen. Dazu müssten Gemeinsamkeiten herausgestellt werden. »Ein demokratischer und sozialer Neuanfang für Europa kann nur gelingen, wenn sich die Linke vereint zeigt. Entweder wir managen unsere Streitigkeiten und überwinden damit die Gefahr der Spaltung, oder die Zukunft Europas und der EU wird ohne uns entschieden«, heißt es in dem Aufruf weiter. »Wir können gemeinsam stärker werden oder wir können getrennt bedeutungslos werden.« Verwiesen wird unter anderem auf den »Geiste des Marseille-Forums und anderer fortschrittlicher Bündnisse«, gerufen wird mit Blick auf die anstehenden Europawahlen nach »einem intensiven Dialog«.

Europäische Linke zwischen Kooperation und Fragmentierung:

Einen Hintergrund zu den aktuellen Meldungen aus der europäischen Linken bietet die kommende Ausgabe der Zeitschrift »Sozialismus«. Dort umreißt Heinz Bierbaum, der im Vorstand der deutschen Linkspartei sitzt und dort die Internationale Kommission leitet, wie heterogen die »linke Linke« in Europa derzeit ist. Bierbaum geht es auch um die Rolle der EL in den bevorstehenden Prozessen von möglicher parteipolitische Neukonstituierung und Europawahlen: »Um zum Motor für eine breite linke Bewegung in Europa zu werden, muss die EL ihre eigene politische Debatte intensivieren. Zwar ist mit dem auf dem Berliner Kongress im Dezember 2016 verabschiedeten politischen Dokument eine inhaltliche Plattform vorhanden, doch kann dies nur ein Ausgangspunkt sein«, so Bierbaum. Differenzen beträfen »in erster Linie die Entwicklung der Europäischen Union und dabei die Frage, ob innerhalb der geltenden vertraglichen Bedingungen überhaupt progressive Politik möglich ist. Insgesamt« vertrete die EL hier »eine sehr skeptische Auffassung«. Ein weiterer »zentraler Diskussionspunkt betrifft das europäische Währungssystem«. Hier streben einige dem Lager zugerechnete Kräfte unter der etwas unkonkreten Überschrift »Plan B« auf einen zugespitzt euroskeptischen Kurs. »Inzwischen hat es dazu eine ganze Reihe von Konferenzen gegeben. Zwar ist der Plan B nicht unmittelbar mit einer Exit-Strategie verbunden, doch wird er politisch damit meist in Verbindung gebracht. Die möglichen Wettbewerbsvorteile durch Abwertung der eigenen Währung werden m.E. jedoch überschätzt, während die Risiken wie Preisanstieg der Importe und Finanzmarktspekulationen dagegen unterschätzt werden«, so Bierbaum.

Auch Bierbaum kommt auf das »Forum von Marseille« letzten Jahres zu sprechen. In der französischen Stadt war im November 2017 auch schon einmal die »Notwendigkeit einer verstärkten Koordination und Vernetzung« unterstrichen worden. Doch besonders viel ist seither nicht passiert, jedenfalls nicht im Geiste dieses Forums. Es habe nicht alle Erwartungen erfüllt, konzediert auch Bierbaum, es sei aber »doch ein vielversprechender Anfang. Es muss gelingen, die Beteiligung zu verbreitern, wobei insbesondere Grüne und linke Kräfte der Sozialdemokratie einzubeziehen«. Wer hier nun an »Sammelbewegung« denkt, ein Begriff, der schillert und zum Beispiel in der deutschen Linkspartei interne Konflikte befeuert, wird auch die Schwierigkeiten einer solchen übergreifenden Kooperation und Verständigung sehen. Das spricht nicht gegen solche Bündnisse, sie in Zeiten zu schmieden, in denen auch im Lager der Grünen und Sozialdemokraten programmatische und womöglich auch organisatorische Neuerungen anstehen, ist es aber ungleich schwerer. Zumal, Bierbaum spricht es an, keine Linkswende ohne mehr gewerkschaftliche Beteiligung möglich sein wird. Ähnliche Bestrebungen wie im Forum von Marseille hat es mit der Konferenz »Joining Forces for another Europe« Mitte März in Athen gegeben. Ein Nachfolge-Forum ist für November 2018 in Spanien geplant.

Was aber, wenn es zu solchen kooperativen Entwicklungen jetzt nicht bald und deutlich stärker als früher kommt? Dann, so Bierbaum, werde die Europäische Linkspartei »ein Koordinationsgremium von geringer Bedeutung bleiben«. Und was bedeutet es, dass nun auch andere Netzwerkprozesse in Gang kommen? Auch Bierbaum sieht »die EL mit weiteren Bestrebungen zur Schaffung europäischer linker Bewegungen konfrontiert«, genannt werden DiEM25 und »zum anderen die Initiative Mélenchons einer europäischen Zusammenarbeit mit linken Bewegungen«. Zu letzterer heißt es, es gebe zwar »Gemeinsamkeiten in der Konzeption einer zur neoliberalen Austerität alternativen Politik, die eine Verständigung auf gemeinsame politische Eckpunkte ermöglichen müssten«. Aber es stünden eben auch »gewichtige politische Differenzen« im Raum – Bierbaum spricht hier besonders die »Frage eines Ausstiegs aus dem Euro oder der EU« an sowie »das Verhältnis von europäischer Entwicklung und nationaler Souveränität«.

Der Riss scheint sich aber inzwischen von der programmatischen oder der Ebene der Analyse und Kritik auf die der Strategie erweitert zu haben. »Schwerer wiegen offenbar Unterschiede in der politischen Strategie«, so Bierbaum. »So scheinen etwa Mélenchon und ›France Insoumise’ davon auszugehen, dass die Kooperation linker Parteien im Rahmen der EL oder auch des europäischen Forums überholt ist und es einer neuen linkspopulistischen Bewegung gegen den Neoliberalismus, der als Wirtschaftsfeudalismus charakterisiert wird, bedürfe. Damit wird die angesichts des zunehmend hegemoniale Dimension annehmenden Aufstiegs der Rechten notwendige Allianz der progressiven Kräfte infrage gestellt.«

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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