Wirtschaft
anders denken.

Kooperatives Wirtschaften gibt’s in vielerlei Formen

14.06.2016
Balkone eines Hauses von unten fotografiert.Foto: redzonk / photocase.deWohnen – nicht die einzige Möglichkeit eine Genossenschaft zu gründen.

Die Idee der Genossenschaften existiert in Gesellschaften schon seit Jahrhunderten. Ihre Ausgestaltung ist der aktuellen Rechtsprechung unterworfen. Diese ist nicht nur positiv zu bewerten.

Es gibt eine Form des Wirtschaftens, die in der Lage ist, individuellem Gewinnstreben bestimmte Grenzen zu setzen, nämlich das kooperative Wirtschaften. Garantiert sind diese Grenzen damit allerdings nicht. Wie das Beispiel des Kampfes zwischen Edeka und Rewe um die Übernahme der Tengelmann-Märkte zeigt, können auch Genossenschaften in erbitterter Konkurrenz zueinander stehen und für jeden einzelnen der rund 8.000 Genossen beider Einzelhandelsketten ist Gewinnstreben völlig legitim. Und: Die Position des Kunden ist bei Edeka die gleiche wie bei Aldi oder Metro. Oligopole sind nicht gerade förderlich, auch wenn einige der ihnen zugehörigen Anbieter das Genossenschaftsgesetz anwenden.

Trotzdem können Kooperationen auch von Vorteil über die unmittelbar aktiv Handelnden hinaus sein. Nehmen wir einen kleinen Ort in einer abgelegenen Gegend mit äußerst schwacher Infrastruktur. Dort gründen nun Einwohner einen Verein, dem eine gemeinnützige GmbH angegliedert ist, die wiederum einen kleinen Laden betreibt, der an bestimmten Tagen Backwaren und Fleischwaren (geliefert vom Bäcker und vom Metzger eines größeren Nachbarortes) anbietet. Dann handelt es sich um eine wirtschaftliche Kooperation, die primär allen Einwohnern des Dorfes von Nutzen ist und den Vereinsmitgliedern nur insofern, als sie ebenfalls zum Dorf gehören. Der gesellschaftliche Mehrwert kann durchaus beachtlich sein.

Solche Kooperationen gibt es weltweit und schon immer in der Geschichte der Menschheit. Bereits die Neandertaler, die gemeinsam auf die Jagd nach Mammuts gingen, konnten sich so das Überleben im Winter sichern. Für den Greifswalder Bürgermeister Richard Sigmund Schultze, der – vor 150 Jahren – auch über Assoziationen nachdachte und schrieb, war die Geschichte der Menschheit zugleich die Geschichte der Assoziationen. Und in unseren Tagen stellte die Universität von Ann Arbor in Michigan fest, die Geschichte der menschlichen ökonomischen Kooperation sei wahrscheinlich älter als die Geschichte des Wettbewerbs.

In Deutschland nun initiierte ebenfalls vor 150 Jahren ein anderer Schulze, der aus dem heute sächsischen Delitzsch stammte, ein eigenes Gesetz für eine bestimmte Form des kooperativen Wirtschaftens, für die er die Bezeichnung »Genossenschaft« wählte. Dieses Gesetz ist seitdem dutzende Male geändert worden. Eine sehr weit reichende Änderung führten die Nationalsozialisten im Oktober 1934 ein. Seitdem gilt der Anschlusszwang, wonach jede eingetragene Genossenschaft einem Prüfungsverband angehören muss. Diese Vorschrift diente der konsequenten Durchsetzung des Führerprinzips. Dem liberalen Urheber des Genossenschaftsgesetzes, Schulze-Delitzsch, wäre sie ein Gräuel gewesen.

Genossenschaften sind Schulen der Demokratie

Die aufgrund des Anschlusszwanges gegebene sehr starke Position der Verbände als selbst ernannte Hüter des Genossenschaftsgedankens und die ununterbrochene Existenz des Gesetzes führten (trotz der vielen auch wesentlichen Gesetzesänderungen) zu der herrschenden Meinung, dass die grundlegenden Prinzipien der ursprünglichen Genossenschaftskonzeption eines Hermann Schulze-Delitzschs noch heute angewandt würden. Dazu zählten: Selbstverwaltung, also Wahl der geschäftsführenden Personen; Gesamtheit der Mitglieder als oberstes Entscheidungsorgan; gleiche Rechte und Pflichten für alle, also auch gleiches Stimmrecht, vor allen entschiedene Ablehnung von Mehrstimmrechten; Verteilung von Gewinn und Verlust nach Köpfen; keine Unterstützung aus öffentlichen und/oder privaten Mitteln, also reine Selbsthilfe. Als Teil einer umfassenden Lösung der sozialen Frage gegen den preußischen Obrigkeitsstaat bei Schulze-Delitzsch sollten die Genossenschaften »Schulen der Demokratie« sein.

Übrig geblieben ist davon wenig: So sind Mehrstimmrechte aufgrund höherer Beteiligung an den Geschäftsguthaben heute ebenso möglich wie die Gewinnverteilung nach der Höhe dieser Geschäftsguthabens. Für die überwiegende Mehrzahl der heute rund 22 Millionen Genossenschaftsmitglieder, nämlich für fast alle 17 Millionen Mitglieder der Genossenschaftsbanken (aber auch noch für viele andere) ist die Mitwirkung in der Generalversammlung versperrt. Denn sie ist durch eine Vertreterversammlung ersetzt. Die Mitglieder dürfen nur noch alle vier Jahre einer vorgelegten Liste von ihnen unbekannten Personen komplett zustimmen (oder sie ablehnen) und damit die Vertreterversammlung »wählen«. Mit Selbsthilfe und Selbstverwaltung hat das nichts mehr zu tun.

Trotzdem bieten die deutschen Genossenschaftsbanken Vorteile: Sie sind von feindlichen Übernahmen sicher (wenn man von manchen Fusionen absieht, bei denen die kleine Volksbank von der größeren eher geschluckt wird, als dass zwei Gleichberechtigte ihren gemeinsamen Weg suchen); sie agieren regional, nicht global. Keine Volks- oder Raiffeisenbank hat in der Finanzmarktkrise das finanzielle Rettungspaket der Bundesregierung in Anspruch nehmen müssen, im Unterschied gerade zu einigen staatlichen Banken.

Das ist viel weniger als die Gründerväter einst erstrebten. Aber es wird heute gerne noch so getan, als würden die alten, hehren Prinzipien aus der Zeit der entstehenden Genossenschaftsbewegung vor 160 Jahren weiterhin angewandt. Tatsächlich sind sie weitgehend zu ideologischen Beschwörungen geronnen. Die Genossenschaftsbewegung ist zum Genossenschaftswesen mutiert.

Die Rechtsform bestimmt das Sein

In Deutschland ist die Wertigkeit des kooperativen Wirtschaftens von der Fixierung auf das Genossenschaftsgesetz und damit auf die Rechtsform bestimmt. Es gelten – fast –ausschließlich die eingetragenen Genossenschaften als vollwertig. Dadurch erscheinen sie alle im gleichen durchaus angenehmen Licht, handele es sich um Edeka oder eine kleine Produktivgenossenschaft von sechs gleichberechtigten Friseurinnen. Zwischen ihnen bestehen aber tatsächlich himmelweite Unterschiede. Wesentlich näher sind sich dagegen diese Genossenschaft von Friseurinnen und der eingangs beschriebene Verein zur Hebung der dörflichen Lebensqualität. Die Rechtsform richtet es jedenfalls nicht. Wichtiger sind die realisierten Prinzipien. Zielen sie auf innerorganisatorische Demokratie und Gleichberechtigung aller Beteiligten, auch in Hinblick auf den Nutzen, ist schon viel gewonnen. Mit anderen Worten, genossenschaftliche Prinzipien lassen sich auch in anderen Rechtsformen (zum Beispiel in einer GmbH oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts) realisieren. Das hängt von den selbst bestimmten Regularien in Satzung, Statut oder Gesellschaftsvertrag ab.

Geradezu ein Mantra im offiziellen Genossenschaftswesen ist die Beschwörung des genossenschaftlichen Förderauftrages. Der erste Paragraph des Gesetzes gestattet es »Gesellschaften«, die den Erwerb oder die Wirtschaft oder die sozialen oder kulturellen »Belange« ihrer Mitglieder durch »gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb« fördern, die Rechte einer eingetragenen Genossenschaft zu erwerben. Also nicht jede Gesellschaft kann das. Andererseits: Auch jede GmbH fördert, sofern sie nicht gemeinnützig ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Gesellschafter. Wozu sollte sie sonst gegründet werden? Auch jede GbR kann ihren Kooperationsvertrag entsprechend ausfüllen. Und im Übrigen, was die kulturellen und sozialen Belange betrifft, Voraussetzung ist auch hier der gemeinsame Geschäftsbetrieb, also das Wirtschaften. Dabei spielt es keine Rolle, ob damit eine hohe, eine niedrige oder gar keine Rendite erzielt wird.

Alles in Allem wird in den deutschen Diskussionen (wenn es sie denn gibt) über Genossenschaften selten klar, worüber eigentlich gesprochen wird: Über kooperatives Wirtschaften unabhängig von der Rechtsform oder über die Regularien des Genossenschaftsgesetzes oder über die Intentionen der Anfänge in grauer Vorzeit oder über die genossenschaftliche Realität oder über die genossenschaftlichen Ideale oder worüber sonst. Das macht Verständigungen schwierig.

Im Übrigen seit deutlich gesagt, dass die Rechtsform der Genossenschaft natürlich spezifische Vorteile hat. Aber es blühen halt auch andere Blumen.

Geschrieben von:

Wilhelm Kaltenborn

Aufsichtsratsvorsitzender Zentralkonsum eG

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