Wirtschaft
anders denken.

Wirtschaft wie im Krieg

15.02.2021
Zentrale der Kriegswirtschaft: Die Spitze des Hochhauses der Europäische Zentralbank in Frankfurt am MainBild von Frank Bender auf PixabayZentrale der Kriegswirtschaft: Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main

Vielfach wird vor einer ökonomischen Dominanz des Staates gewarnt. Im Finanzbereich ist sie jedoch längst Alltag. Ein Blick auf die „Kriegswirtschaft“ aus OXI 02/2021.

Angesichts des Mangels an Corona-Impfstoff in Europa ist der Ökonom Moritz Schularick radikal geworden: Es sei der Zeitpunkt gekommen, über »Kriegswirtschaft« zu sprechen, schrieb er im Januar auf »Spiegel Online«. Denn führte man wirklich Krieg gegen das Virus, »dann würde der Staat die Regie übernehmen und alle Ressourcen auf diese zentrale Aufgabe bündeln«. So ist es nicht gekommen. Doch herrscht in einem anderen Bereich der Wirtschaft seit Längerem eine Form von Kriegswirtschaft: bei den Finanzen. Die Fachbegriffe dafür sind »fiskalische Dominanz« und »finanzielle Repression«.

»Kriegswirtschaft« ist ein weiter Begriff. Im Kern bedeutet er, dass die Politik der Privatwirtschaft nicht mehr nur die Bedingungen setzt, sondern sie für ihre Zwecke instrumentalisiert. Teilweise tut dies ein Staat immer, etwa wenn er CO2-Preise setzt, um den Klimawandel zu bremsen. In Zeiten von Not und Krieg jedoch wird dieser Standpunkt radikalisiert: Ob es beispielsweise ein bestimmtes Gut zu einem bestimmten Preis gibt, überlässt die Politik dann nicht mehr privaten Gewinnrechnungen, stattdessen wird die Produktion quasi verordnet. Diese Unterordnung des Profitprinzips ist allerdings kein Einstieg in die Planwirtschaft, sondern soll letztlich der privaten Wirtschaft nützen. Auch bei der staatlich geförderten Herstellung von Corona-Impfstoff. Schließlich, so Schularick, »kostet uns jeder Monat im Lockdown mehr als zehn Milliarden Euro«.

In den Bereichen Produktion und Verteilung beschränken sich die Staaten noch darauf, die Privatwirtschaft zu stützen und das Gewinnstreben der Unternehmen zu bedienen. Im Bereich Finanzierung dagegen hat die Politik weitgehend das Ruder übernommen. Sie »macht« den Markt. Ihre Hebel dafür sind ihre Schulden – die Staatsanleihen – und ihre Zentralbank.

Als Schuldner hat der Staat eine herausgehobene Position, denn seine Schuldscheine sind der Fixpunkt des Finanzmarkts. »US-amerikanische Staatsanleihen sind das schlagende Herz des globalen Systems«, erklärt R. Martin Chavez von der US-Investmentbank Goldman Sachs, »sie dienen als Sicherheit für alles«. Was heißt das?

Als Erstes setzt der Staat als solidester Schuldner der Gesellschaft mit seiner Anleihe den Zins für eine sichere Geldanlage – die risikolose Rendite. Investoren können in Staatsanleihen ihr Geld sicher parken. Für riskantere Investments dienen die Staatspapiere als Absicherung, die Anlegern das Eingehen von Risiken erst ermöglicht. Auf diese Weise dient die Staatsanleihe als »Anker« des Systems.

Zweitens dient der Zins auf Staatsanleihen als Bezugspunkt für alle anderen Anlagen am Finanzmarkt. Ein Beispiel: Bietet der Staat fünf Prozent Rendite, so muss ein Privatunternehmen wie Siemens mindestens ebenso viel bieten, wenn es Kredite nimmt – schließlich ist es riskanter, Siemens Geld zu leihen, als dem Staat. Bietet der Staat weniger, muss auch Siemens weniger zahlen. Auf diese Weise bestimmt der Staat das Zinsniveau der gesamten Gesellschaft. Auch für Aktien ist der Staatsanleihen-Zins der Maßstab. Liegt er bei fünf Prozent, so ist eine Aktie mit einer Dividendenrendite von drei Prozent eher unattraktiv für Anleger, zumal sie ein höheres Risiko trägt. Sinkt der Zins aber auf ein Prozent, wird die Aktie für Anleger relativ rentabler, ihr Kurs kann steigen, obwohl sich an der Situation des Unternehmens nichts geändert hat.

Die Staatsanleihe ist also das »Basisprodukt«, das an den Märkten gehandelt wird. Diese Macht nutzen die Regierungen weltweit aus, um den Markt zu lenken. Seit der US-Finanzkrise 2009 kaufen ihre Zentralbanken Abertausende von Milliarden Anleihen auf und drücken so die Zinsen. Auf diese Weise haben sich die Bilanzen der Zentralbanken Japans, der USA und der Eurozone von Werten zwischen 1.000 und 2.000 Milliarden Dollar auf 6.000 bis 8.000 Milliarden ausgedehnt.

Mit den Anleihekäufen agieren die Zentralbanken letztlich als Kreditgeber ihrer Regierungen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hält bereits ein Viertel aller Staatsschulden der Eurozone. Offiziell begründet wird dies mit der Steuerung der Inflationsrate. Offenes Geheimnis aber ist, dass die »Währungshüter« durch niedrige Zinsen die Kreditwürdigkeit hoch verschuldeter Unternehmen und Staaten erhalten wollen. Auf diese Weise sichern sie die Verschuldungsfähigkeit der Gesellschaft in der Krise, die eigentlich keine höhere Verschuldung rechtfertigt – und gerade deswegen stattfinden muss. Ergebnis: Die »EZB finanziert 2021 die gesamte Neuverschuldung der Eurostaaten«, stellt die Commerzbank fest.

Ökonomen beschreiben dieses Arrangement als »fiskalische Dominanz«: Die Fiskalpolitik der Regierung bestimmt die Geldpolitik der Zentralbank. »Wenn die Schuldenquote zu hoch gestiegen ist«, erklärt die französische Bank Natixis, »bleibt der Zentralbank schlicht nichts anderes mehr übrig, als über niedrige Zinsen die Kreditwürdigkeit des Staates aufrechtzuerhalten«. Um dies zu erreichen, greift die Zentralbank zu »finanzieller Repression«: Sie drückt über Anleihekäufe die Zinsen und zwingt so Anleger dazu, auf Rendite zu verzichten. »Es gibt keinen Ausweg«, konstatiert die britische »Financial Times«.

Auf diese Weise bewirtschaftet der Staat seinen Finanzmarkt: Über »kriegswirtschaftliche« Verschuldung zieht er Ressourcen der Gesellschaft an sich. Seine Ausgaben zielen auf eine Erhöhung der Wirtschaftsleistung, seine Schulden sind daher eine Spekulation auf Wachstum. Diese Spekulation sichert die Zentralbank per Zinssenkung ab, was nicht nur dem Finanzminister hilft, sondern auch den Unternehmen: In der Eurozone sind deren Schulden seit 2008 von etwa 90 Prozent der Wirtschaftsleistung auf fast 130 Prozent gestiegen. Das Nachsehen wiederum haben erstens die Sparer, die »Enteignung« beklagen; zweitens die Banken, denen die Zentralbank mit ihren Nullzinsen das Geschäft verdirbt; und damit drittens die Bankaktionäre, an die die Banken auf Anweisung der EZB so gut wie keine Dividenden mehr ausschütten dürfen.

Zu solchen Methoden greifen ökonomisch potente Staaten üblicherweise in Kriegen. So kaufte die US-Zentralbank auf Drängen der Regierung bereits 1935 und 1937 Staatsanleihen auf. Nach Kriegseintritt unterstützte sie die Kriegsfinanzierung, indem sie die Zinsen deckelte, unabhängig von der Inflationsrate, die die Zinserträge auffraß. Auch nach dem Krieg kaufte die US-Zentralbank weiter massiv Anleihen auf. Erst 1951 gab Washington die Erlaubnis, die Zinskontrolle aufzugeben.

Durch den Krieg kletterte die US-Staatsverschuldung auf 106 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die anschließende Senkung dieser Quote gelang durch starkes Wirtschaftswachstum, hohe Inflation und niedrige Zinsen. Heute liegt die Verschuldung wieder bei 82 Prozent, in der Eurozone sogar noch höher, und steigt weiter. Doch dieses Mal wird kein Boom den Abbau bewerkstelligen. Denn »zum einen wird die Wirtschaft kaum wieder so stark wachsen wie in den 50er und 60er Jahren«, so die Commerzbank. Zum anderen werde die Neuverschuldung hoch bleiben. Daher »werden Regierungen und Notenbanken alles daransetzen, die Finanzierungskosten und damit die Zinslast für die öffentlichen Haushalte möglichst niedrig zu halten«. Die Kriegswirtschaft geht in die Verlängerung.

Geschrieben von:

Stephan Kaufmann

Journalist

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