Kritik digitaler Arbeit und Technikpolitik von unten
In München gründet sich am Wochenende das Zentrum für emanzipatorische Technikforschung; einen Monat später geht es in Berlin um »Kritik digitaler Arbeit – Produktionssysteme und Informationskapitalismus«. Ausblick auf zwei Tagungen, die um alte linke Fragen von Technikkritik, Technikpolitik und Technikgestaltung kreisen.
Alle reden von Digitalisierung – und in den meisten fällen möchte man sich die Ohren zuhalten, weil das, was da zu hören ist, irgendwo zwischen politisch getriebenem Hype und Suche nach neuen Profitpotenzialen liegt. Nicht selten tritt beides gemeinsam auf. Der fortschreitende Einsatz von immer leistungsfähigerer Technik im Prozess der Arbeit, der Produktion und des Alltags, wird dabei wie eine Art Naturwunder betrachtet, die hiervon ausgehenden Logiken der politischen Steuerung bleiben im Korsett jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die auch die Anwendung dieser Technik prägen – und wiederum selbst von den Folgen dieser Anwendung geprägt werden. Zwei Tagungen in der nächsten Zeit bringen eine kritische Perspektive auf diesen Prozess zur Geltung.
Am 8. und 9. Oktober geht es in Berlin um »Kritik digitaler Arbeit – Produktionssysteme und Informationskapitalismus«. Die von der Nachwuchsforschungsgruppe Ganzheitliche Produktionssysteme organisierte Tagung will gegenüber den »pauschalen utopischen oder dystopischen Erwartungen«, die im medial-politischen Betrieb vorherrschen (auch weil sie aufmerksamkeitsökonomische Kritierien eher erfüllen als differenzierte und kritische Analyse), »konkreter werden und mit unserer Tagung einen genaueren Blick auf die digitale Arbeit werfen«. Auf dem Arbeitszettel stehen Fragen wie: »Inwiefern sind die Prozesse der ›Informatisierung‹ der Lohnarbeit spezifisch kapitalistisch, inwiefern intensivieren sie die Ausbeutung und Kontrolle der Arbeiterschaft? Oder umgekehrt, wie prägt die ›Digitalität‹ die Lenkung und Verwertung der Arbeit – welche neuen Arbeitsteilungen, Geschäftsmodelle und Unternehmensformen entstehen wirklich auf der Grundlage von ›allgegenwärtiger Datenverarbeitung‹?
Ein Ausgangspunkt dabei ist, »dass die Informatisierung der Arbeit ein langer historischer Prozess ist, der bisher vor allem ihre Kontrolle durch das Kapital sichert und vertieft. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Systeme betrieblicher Überwachung und Optimierung«, wobei das in den meisten Debatten um Schlagwörter wie »Industrie 4.0« kaum noch vorkommt. Aber die Linie, die diese Tagung zieht, kommt historisch auch von den »Ganzheitlichen Produktionssysteme« und Lean-Management-Strategien her, die seit den 1980er Jahren die Produktion »verschlanken« sollten. Lückenlose Erfassung der betrieblichen Prozesse, gesteigerte Standardisierung der Arbeit und der Prozesse, technische Herrschaft über den Produktionsprozess, die Wertschöpfungsketten, die Subjekte, deren Arbeit und Interaktion – damit wurden schon bevor der Begriff überhaupt geprägt wurde, »die organisationale Grundlage für den digitalen Kapitalismus« geschaffen.
Das Programm gibt es hier, die Liste der Diskutanten reicht von Vertretern der syndikalistischen FAU bis zu Hochschullehrern. Gesprochen wird unter anderem über »Widerstand, Empowerment, Mitbestimmung«, die »Regulierung digitaler Arbeit«, den Einfluss von Systemen, die als »Künstliche Intelligenz« bezeichnet werden, über »Umrisse des digitalen Kapitalismus«. Und immer geht es natürlich auch um die alte große linke Frage, wie viel Technikkritik nötig ist und wie viel Technikgestaltung unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen möglich.
Digitalisierung, Gewerkschaft, Emanzipation
Die Frage »nach einer emanzipatorischen Gestaltung der Digitalisierung« steht auch im Zentrum der zweiten Konferenz, auf die hier hingewiesen werden soll – und die bereits am Wochenende in München im DGB-Haus zusammenkommt. »Technikpolitik von unten. Digitalisierung, Gewerkschaft, Emanzipation« ist dabei nicht nur eine weitere Konferenz, sondern zugleich die Gründungstagung des Zentrums emanzipatorische Technikforschung – kurz: ZET.
Was sich hier eine organisatorisch festere Form gibt, festigt gewissermaßen bestehende Diskussionszusammenhänge von »Wissenschaftler*innen, die in den gesellschaftlichen Diskurs um die technische Entwicklung intervenieren wollen«. Um künftig noch besser »den intellektuellen Austausch zu befördern und Kooperationen und gegenseitige Hilfe zu ermöglichen«, soll »ein deutschsprachiges wissenschaftliches Netzwerk« helfen – »das sich aus einem pluralen, aber dezidiert linken, Blickwinkel mit der Frage nach emanzipatorischen Perspektiven im technologischen Wandel befasst«. Die noch im Aufbau befindliche Website des ZET findet man hier.
Auch hier steht eine Kritik an den vorherrschenden Verengungen der Debatte am Anfang: Das ZET – und die Gründungstagung steht unter diesem Eindruck – verfolgt »das Ziel, die gegenwärtige Beschränktheit« des Diskurses auf Wettbewerbsfähigkeit kritisch zu hinterfragen und zugleich »mit dem Nachdenken über mögliche Utopien der scheinbaren Alternativlosigkeit des Bestehenden emanzipatorische Möglichkeitsräume« entgegenzusetzen. Philipp Frey, einer der Initiatoren des ZET, verbindet mit der Gründung »auch die Hoffnung, interventionsfähiger zu werden was die öffentliche Debatte anbelangt«.
In München wird es vor allem um »neue, sich von der gegenwärtigen Entwicklung abgrenzende Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten in der Technikpolitik und -gestaltung« gehen: um Hackerinnen, Maker, Revolutionäre, die als Subjekt einer »Technikpolitik von unten« angesehen werden, um Digitalisierung der Arbeit zwischen Herrschaft und Emanzipation, die gewerkschaftliche Strategien, die in Zeiten von sich beschleunigender Digitalisierung und Automatisierung verfolgt werden oder eben gerade nicht. Außerdem begleiten Workshops die Tagung; das komplette Programm findet sich hier.
Foto: Flickr-User Joe Loong (bearbeitet) / CC BY-SA 2.0
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