Wirtschaft
anders denken.

Kronberger Kreisverkehr: Marktfreunde im Wahlkampf

17.09.2017
Foto: Von OSU Special Collections & Archives / No restrictions

Eine ganze Seite in der Sonntagszeitung. Ein Programm für die nächste Regierung. Von liberalen Ökonomen. Das klingt wie ein Beitrag zur Debatte. Ist aber in Wahrheit: Wahlkampf der Marktfreunde für Schwarz-Gelb.

Die wirtschaftliche Lage ist gut, darf aber nicht durch Umverteilung gefährdet werden, denn das Gerede von Ungleichheit und Investitionslücke führt in die Irre, abgesehen von muss die EZB endlich bei den Zinsen umsteuern und mehr Integration in Europa soll es bitte auch nicht geben. Das ist die Kurzfassung des »Regierungsprogramms« aus der wirtschaftsliberalen Ecke – der Kronberger Kreis hat dafür eine Seite Platz in der »Frankfurter Allgemeinem Sonntagszeitung« bekommen. Und nein, es ist keine Anzeige.

Dabei wäre auch das ein denkbares Format gewesen. Geld wäre sicher nicht das Problem. Und es wäre für viele etwas besser erkennbar geworden, worum es hier geht: den Versuch, auf die wirtschaftspolitische Debatte Einfluss zu nehmen. Anerkannte und als »liberal« eingeführte Experten, die »ein Programm für die nächste Regierung« schreiben. Das macht Eindruck. Und das soll Spuren im Denken hinterlassen.

Dem Zusammenschluss von Ökonomen, die hierzulande dann auch meist als »führend« bezeichnet werden, gehören ein paar wichtige Namen der wirtschaftspolitischen Debatte an, Volker Wieland und Lars Feld vom Sachverständigenrat sind dabei, Clemens Fuest vom ifo-Institut, der auch das Finanzministerium berät, Justus Haucap, der einmal der Monopolkommission vorstand, die Wettbewerbsrechtlerin Heike Schweitzer und der Finanzwissenschaftler Berthold Wigger.

Lobbycontrol nennt die Stiftung Marktwirtschaft, die hinter dem Kreis steht, »eine neoliberale Denkfabrik«, die unter dem Schlagwort »Mehr Mut zum Markt« auf eben diesen setzt. Die Stiftung selbst sagt über sich: Man sei eine »Denkfabrik, die unbeeinflusst von organisierten Gruppeninteressen auf der Basis der wirtschaftlichen Vernunft arbeitet«.

Alte Schlager der Marktfreund

Was der Kronberger Kreis dann für die Zeit nach der Wahl tatsächlich empfiehlt, ist bei Licht besehen keineswegs vernünftig und irgendwie auch ein bisschen enttäuschend – denn es sind die mehr oder weniger alten Schlager der Marktfreunde: ein sparsamer Staat, wenig Regulierung, weil sonst der Standort leidet, auch die Vermögen und Profite sind scheu wie Rehe, weshalb an Umverteilung bitte niemand denken solle, oder höchstens die in Richtung oben, weil das im Steuerwettbewerb gut kommt.

Auch andere Evergreens werden bedient, was zur Ungleichheit geschrieben wird, sind alarmistische Berichten, die Investitionslücke wird bezweifelt. Und wenn man nach den Namen von Parteien sucht, tauchen die von SPD, Linkspartei und Grünen auf – weil vor deren Plänen gewarnt werden muss. Das ist ökonomisch verkleideter Wahlkampf für Schwarz-Gelb.

Interessant sind die rhetorischen Mittel, die dabei in Stellung gebracht werden. Zum Beispiel die Entnennung sozialer Widersprüche, die vom Kronberger Kreis gleich zu Beginn mit der Behauptung in Abrede gestellt werden, dass die 2013 noch geführte »Debatte um tatsächliche oder vermeintliche soziale Schieflagen … dieses Mal keine große Rolle mehr zu spielen« scheine. Ist das so? Oder ist es nicht gerade umgekehrt, dass nämlich das Thema »Gerechtigkeit«, so widersprüchlich es selbst ist, durchaus eine Rolle spielt, man aber, in dem man das Gegenteil behauptet, den Stellenwert schrumpfen lässt, weil das schon selbst ein Argument ist, nichts tun zu müssen für »Gerechtigkeit«?

Was gesagt wird – und was dabei nicht gesagt wird

Natürlich müssen für die Kronberger stets »die öffentlichen Haushalte gerüstet sein« – und zwar auf eine Weise, die kreditfinanzierte Zukunftsbearbeitung im gesellschaftlichen Interesse praktisch ausschließt. Um Probleme wie demografischer Wandel, Digitalisierung, Veränderungen in der Arbeitswelt zu meistern, »bedarf es aber eines innovationsfreundlichen gesellschaftlichen Klimas«, heißt es da – gemeint ist: Alles, was Marktakteure einschränken könnte, sagen wir: Steuern, Regeln, muss dann natürlich innovationsfeindlich sein. Wo »erheblicher Handlungsbedarf« gesehen wird, werden zugleich alternative Reformvorschläge abgekanzelt, weil angeblich »deren Umsetzung mehr schaden als nutzen würde«. Und so geht es immer weiter.

Sprachlich wird dabei gern verschleiert, was die sozialen und ökonomischen Folgen dessen sind, was da expertenhaft formuliert wird. Die Finanzpolitik solle sich »mit der Einnahmeseite befassen«, die gegenwärtige Belastung sei »im mittleren Einkommensbereich stark anreizfeindlich«, das zu ändern solle aber »nicht mit Steuererhöhungen in oberen Einkommensbereichen verbunden« werden, weil dies »dort zu negativen Investitionsanreizen führen« würde.

Sachverständige im Parteienwettstreit

Klingt irgendwie technisch und es sind ja auch »führende Ökonomen« die das sagen – dass hier, verbunden mit dem Appell, keine Schulden zu machen, praktisch gefordert wird, jene zu entlasten, die schon genug oder sogar sehr viel haben, was aber, weil ja auch zum Beispiel mehr für Verteidigung ausgegeben werden müsse, dann irgendwo anders zu Einsparungen führen würde, zum Beispiel: bei denen, die schon jetzt nicht gerade viel haben. Aber das es da ein Problem geben könnte, sieht man beim Kronberger Kreis ja ohnehin nicht.

Dass hier auch Sachverständige zu Wahlkämpfern werden, also Ökonomen, die in dem »Weisen«-Gremium gesetzlich aufgefordert sind, »keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen«, ist das eine. Das andere ist: Man darf gespannt sein, ob am kommenden Sonntag dann in der»Frankfurter Allgemeinen« ganzseitig ein paar keynesianisch orientierte Ökonomen ihre Vorschläge für das Wirtschaftsprogramm der kommenden Regierung aufschreiben dürfen. Oder sogar solche, die von Marx her kommen?

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag