Wirtschaft
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Kühnerts Selbstkritik, Gabriels Selbstsicherheit, Nahles‘ Sprachlosigkeit: Die Lage vor dem SPD-Mitgliederentscheid

01.03.2018
OXISind die Würfel schon gefallen?

Andrea Nahles hat keinen Plan B und das sagt überhaupt nichts. Simone Lange hätte sich gefreut, wenn Andrea Nahles mal etwas zu ihr gesagt hätte. Sigmar Gabriel sagt Sachen und Kevin Kühnert will kein Star sein. Der OXI-Überblick zur Debatte in der SPD.

Unser Wort des Tages lautet: Hochleistungsschlitzmaschinen. Mit solchen Hochleistungsschlitzmaschinen werden in der Nacht zum kommenden Sonntag in der SPD-Zentrale in Berlin die Abstimmungsbriefe des Mitgliederentscheids geöffnet. Hochleistungsschlitzmaschinen können bis zu 20.000 Briefe pro Stunde öffnen, lesen wir in den Nachrichtenagenturen. Bei 463.723 stimmberechtigten Genossen kommt man ohne Hochleistungsschlitzmaschinen nicht aus. Wenn die Briefe offen sind, werden rund 120 Helfer im Willy-Brandt-Haus »die ganze Nacht im Einsatz sein, um die Stimmen auszuzählen«, meldet die Deutsche Presse-Agentur. Die Hochleistungsschlitzmaschinen haben dann schon ihren Dienst getan – und warten wahrscheinlich auf den nächsten Mitgliederentscheid. Das ist eine interessante Frage: Was machen Hochleistungsschlitzmaschinen, wenn bei der SPD gerade mal keine Großaktion innerparteilicher Demokratie läuft? Leihen sich Parteien untereinander die Hochleistungsschlitzmaschinen aus? Gibt es dafür spezielle Läden? Wir bleiben dran an unserem Wort des Tages: Hochleistungsschlitzmaschinen.

Im neuen »Freitag« ist ein Auszug aus einem Gespräch von Kevin Kühnert mit Jakob Augstein dokumentiert. Es geht mit der, nun ja: Frage los, ob der Juso-Chef sich als Star fühle. Kühnert darauf: »Eine Partei sollte sich nicht so stark auf einzelne Personen fokussieren.« Das sagt da einer, auf den derzeit alle Kameras gerichtet sind und der durch die Lande tourt wie ein, nein, »Star« wäre das falsche Wort. In dem Gespräch taucht der Begriff »Hoffnungsträger« auf, Kühnert umschifft aber auch die Klippe – denn er kann sich noch gut erinnern. Zum Hype auf Martin Schulz sagt er selbstkritisch: »Es war ein Fehler, dass wir uns so auf diesen Hype eingelassen haben. Ich nehme mich und die Jusos da nicht aus.« Rückblickend sagt der Juso, der für viele wohl tatsächlich ein Hoffnungsträger ist und für manche auch ein Star: »Damals wurde die ganze Partei von der Sehnsucht erfasst, dass die Zeit der Demütigungen endlich vorbei ist.«

Gemeint ist: die Kooperation mit der Union. Das Ende der Koalition war der Ankerpunkt der Sehnsucht. »Darüber hat man aber leider das entsprechende politische Programm ganz vergessen. Es gab am Anfang ein paar Buzzwords, die bei vielen Leuten den Eindruck erweckten: ›Das klingt endlich nach einer Sozialdemokratie, die für mich interessant sein könnte.‹ Aber irgendwann haben wir den Sendebetrieb eingestellt und das Interesse verging so schnell, wie es gekommen war.«

Es geht in dem Gespräch dann auch noch um utopische Fernsichten, um politisches Handwerk im Alltag abseits »von Weltpolitik, Weltfrieden und großen Verteilungsfragen«. Dazu ist von der SPD-Spitze derzeit nicht besonders viel zu hören (immerhin mehr als von anderen Parteien, das bringt die Berichterstattung über die Diskussion vor dem Mitgliederentscheid mit sich). Wenn man sich anschaut, was Simone Lange mitzuteilen hat, die Flensburger Oberbürgermeisterin und Herausforderin von Andrea Nahles um den SPD-Vorsitz, ist das Zuhörbedürfnis der SPD-Oberen zumindest was Lange angeht derzeit nicht besonders groß.

»Es besteht nicht der Wunsch, das Parteimitglied Simone Lange mal zu fragen, was eigentlich los ist und was sie bewegt«, sagte eben diese Simone Lange und nennt das »die Sprachlosigkeit unserer Führung«. Weder Nahles noch der amtierende Kommissar Olaf Scholz hätten das Gespräch mit ihr gesucht – Lange hatte aber genau »das erwartet«. Nicht zuletzt deshalb, weil so ein Gespräch dazu beitragen hätte können, dass sie »möglicherweise« ihre Kandidatur überdenkt. Lange traf Nahles am Rande einer Regionalkonferenz – aber »mehr als ein Handschlag« sei nicht gewünscht gewesen, so Lange gegenüber der »Saarbrücker Zeitung«.

Während also NoGroKo-Kühnert selbstkritisch über die Überhöhung von Personen als Hoffnungsträger spricht und Frau Lange aus Flensburg weiter darauf wartet, dass mal ein SPD-Oberer mit ihr telefoniert, demonstriert der amtierende Außenminister Sigmar Gabriel seine Selbstsicherheit: »Ich bin mir sicher, dass der Koalitionsvertrag eine Mehrheit bekommt«, sagte der Ex-Parteichef auf einer Konferenz in Düsseldorf. »Daran gibt es gar keinen Zweifel.«

Gar keinen Zweifel zu haben ist so ziemlich genau der Fehler, der in die politische Besoffenheit des Schulz-Hypes führte. Es geht dabei gar nicht mal darum, wie groß die Chancen für ein Ja zur GroKo sind oder ob man sich auf Prognosen verlassen soll. Sondern um eine Haltung, die auch von der Möglichkeit eines anderen Ausgangs ausgeht als den, den man selbst anstrebt. Darin steckt Respekt für die andere Seite. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Was wird sonst noch berichtet? Die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles macht Worthülsengymnastik bei den Zeitungen der Funke Mediengruppe und sagt dort zu den Ministerposten in einer neuen Bundesregierung: »Wer für die SPD ins Kabinett will, muss kompetent sein und den Koalitionsvertrag umsetzen können. Wichtig sei auch, dass die SPD-Minister »als Team funktionieren«. Man versteht, was Frau Lange mit Sprachlosigkeit meint. Diese kann auch vorliegen, wenn Menschen viel reden.

Nahles sagt zum Beispiel auch, für den Fall, dass die Parteimitglieder die Große Koalition scheitern lassen: »Einen Plan B habe ich nicht.« Das ist genau genommen gar keine Aussage, weil sie, wenn es stimmte, saudumm wäre, die SPD hatte schon keinen Plan B, als Jamaika platzte und viel von dem aktuellen Schlamassel der Sozialdemokraten hat damit zu tun. Wenn es aber, was wahrscheinlicher ist, zum Nudging der Basis durch die SPD-Spitze gehört, weil die dann Angst vor einer SPD ohne Plan haben und deshalb die auch nicht eben groß geplante Reise in die Fortsetzung der Großen Koalition mitmachen, glaubte man sie Nahles ohnedies nicht.

Nahles hat auch erklärt, momentan scheide »überhaupt niemand aus« – was natürlich als Aussage über die Optionen interpretiert wird, die Sigmar Gabriel noch hat. »Ich habe ein paar Überlegungen, aber wir haben noch keine fertige Liste«, sagt Nahles. Jürgen Habermas hat in der aktuellen »Zeit« ausdrücklich für Gabriel als Außenminister plädiert. Ohne den Niedersachsen drohten die »wegweisenden« europapolitischen Worte des Koalitionspapiers zu vergilben.

Das Plädoyer von Habermas ist in europapolitischer Perspektive weitaus interessanter denn als Personalempfehlung. Immerhin macht er auf die Möglichkeiten aufmerksam, die die SPD über das Finanzministerium hätte, wo wichtige europapolitische Kompetenzen liegen. Die Frage ist, ob der designierte Amtsinhaber Olaf Scholz dabei auch an dasselbe denkt wie der Denker Habermas. Jüngste Äußerungen deuten eher auf die Fortsetzung der austeritätspolitischen Linie.

Ob Scholz das Amt überhaupt bekommt, wissen wir übrigens erst am 12. März. Bis dahin will Nahles keine Namen nennen. Wie die »Rhein-Neckar-Zeitung« meldet, will die Vorsitzende in spe so verhindern, »dass ihr Personaltableau eine Woche lang ›zerredet wird‹«, wie die Zeitung schreibt. Woanders liest man, dies sei in Parteikreisen zunächst nicht bestätigt worden. Für den 14. März ist bereits ein möglicher Termin zur Wahl der dann neuen und alten Kanzlerin vorgesehen. Wenn, ja wenn die SPD-Basis entsprechend abstimmt. Gabriel ist sich ja absolut sicher.

Eine jüngste Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschlands rechnet derweil vor: 56 Prozent der SPD-Anhänger sind für eine erneute Groko aus.

Abschließend für das Protokoll noch Horst Seehofer: »Das wäre eine Katastrophe, wenn keine Regierung zustande käme, eine absolute Katastrophe.« Absolute Katastrophen stellen wir uns ein bisschen anders vor. Ein Heimatminister aus Bayern ist da näher dran als keine Regierung.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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