Künstliche Intelligenz: Schaffen wir uns selbst ab?
Die Robotisierung von Industrie und Dienstleistungen erlebt einen immensen Entwicklungsschub. Getrieben wird der Prozess vor allem von den »großen fünf« – Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft. Es geht um selbstlernende Systeme, Chatbots, neue Sensortechnik, vernetzte Maschinen – zusammengefasst unter dem Label »KI«. Ist künstliche Intelligenz die ultimative Bedrohung? Oder bietet sie die Chance zu einem Systemwechsel?
Gehen in den nächsten Jahrzehnten 30, 40 oder 50 Prozent aller Jobs durch intelligente Automatisierung verloren? Studien der letzten Jahre überschlagen sich. Aber der Streit um Prozente ist müßig. Die Entwicklung läuft, getrieben von der Wirtschaft. Unternehmen wie Google, Apple oder Microsoft, oft gemeinsam mit den leistungsfähigsten staatlichen High-Tech-Forschungslaboren, entwickeln gegenwärtig intelligente, autonome Maschinen, die durch immer bessere Sensoren und lernende Software sich in unterschiedlichen Umgebungen »frei« bewegen können. Und dabei mit Menschen zu tun haben, sei es in der privaten Wohnumgebung, in der Öffentlichkeit, im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz.
Je nach Perspektive ein boomender Wirtschaftssektor oder ein globales Outsourcing-Programm. Diesmal übernehmen aber nicht Billiglohnsklaven in Schwellenländern, sondern chipgerüstete Aggregate unterschiedlichster Erscheinungsform. Die Arbeitslosigkeit in den »entwickelten« Ländern wuchs und wächst; neue Jobs sind rar. Intelligente Roboter übernehmen immer mehr Tätigkeiten, vernichten mehr Arbeitsplätze, als sie neue entstehen lassen. In der Arbeitsgesellschaft führt das zu der apokalyptischen Frage, ob wir uns mit der Digitalisierung selbst abschaffen. Die einen sehen Massenarbeitslosigkeit, verarmte Konsumenten, eine Erosion der Gesellschaft und einen Kollaps der westlichen Wirtschaften auf uns zukommen. Untergangsvisionen, wie sie die gesamte Geschichte der Industrialisierung begleitet haben. Die anderen geben sich technikoptimistisch und wirtschaftsfreundlich. Alle Bedrohungsszenarien hätten sich seit Jahrzehnten als haltlos erwiesen. Die Angst vor digitaler Technik werde von technikfeindlichen Paranoikern verbreitet, die nebenbei keine Ahnung von den Chancen der Digitalisierung hätten.
Das Kleben an der Arbeitsgesellschaft
Die zwei Lager sind nicht mal politisch sauber zuzuordnen. Es gibt im »bürgerlichen« Lager (wenn es das überhaupt noch gibt) wie immer die kulturkritisch Konservativen mit ihrer gebildeten Technikaversion neben den Geschäftemachern, denen Wachstum und Mehrwert über alles geht. Und im eher linken Lager grünliche Technikfeinde wie auch eher planwirtschaftlich angehauchte Fortschrittsgläubige.
Allen Lagern gemeinsam ist: Sie kleben an der Arbeitsgesellschaft. Aber wieso schafft sich »der Mensch« ab, wenn er immer weniger Lohnarbeit verrichtet? (Ob das sozial überhaupt gut gehen kann, ist eine andere Frage.) Und wieso wird »das Menschliche überflüssig«, wie es die vor Pathos triefende Süddeutsche Zeitung jüngst in einem Essay behauptete? Das »Menschliche« ist also das Anti-Digitale, Nicht-Technische? Jeder Historiker oder Anthropologe wird dagegenhalten: Gerade das Technische ist immer das Menschliche gewesen. Selbst unsere Idee von Menschlichkeit ist erst entstanden, als ein von Technik umfriedeter Raum gesichert war, in dem darüber diskutiert werden durfte, was der Mensch ist. Aber es ist uninteressant, wie viele Arbeitsplätze durch intelligente Technik irgendwann übernommen sein werden. Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass die einen am Ende mit ihren Prognosen mehr oder weniger Recht haben.
Die Falle der Mehrwertwirtschaft
Das kapitalistischem Wirtschaften innewohnende Prinzip gerät immer deutlicher in die Falle, die es selbst aufgestellt hat. Wo »teure« menschliche Arbeit verschwindet, verschwindet auch der Lohn, der in Konsum, Umsatz und Produktion verwandelt werden muss, damit der Laden weiter läuft. Wenn Menschen mit immer niedrigeren Löhnen mit immer effizienteren und billigeren Maschinen konkurrieren, ist irgendwann, vielleicht bald, ein Grenzwert erreicht, der zu einem Kurzschluss führt.
Der schlimmste Fall besteht in einem Kollaps des Prinzips einer mehrwertschöpfenden Wirtschaft, die sich selbst ihre Käufer wegrationalisiert, weil immer weniger Löhne und Gehälter an immer weniger arbeitende Menschen ausgezahlt werden. Der zweitschlimmste Fall sähe so aus: Die Ungleichheit hätte weiter zugenommen, die Sozialleistungsempfänger sind ein Zigmillionen-Heer geworden, die Schuldenlasten der Regierungen überträfe den aktuellen Stand um ein Vielfaches. Der Kollaps wäre immer noch vermieden, aber um den Preis einer Instabilität mit sozialen Verwerfungen, deren Profil heute am ehesten in den Slums asiatischer Millionenstädte zu identifizieren ist. Es geht also nicht um Digitalisierung, Robotisierung, die Schaffung künstlicher Intelligenz. Ob Letztere mit uns konkurriert oder kooperiert und vielleicht gar anregend für beide Seiten kommuniziert, hängt vom Wirtschaftssystem ab, in das die Evolution technoider Intelligenz eingebettet ist. KI ist deshalb in erster Linie kein technisches Problem, sondern eine soziale Herausforderung an Gesellschaften, die nicht mehr recht wissen, wo sie bei aller Effizienzsteigerung noch Arbeit für Menschen herholen sollen.
Die klammheimliche Revolution: Robotersteuer
Eine fast paradiesisch anmutende Lösung gibt es. Sie nennt sich Robotersteuer. Das ist nun keine Idee einiger »linker Spinner«. Im Sommer 2017 dachte sogar Post-Chef Frank Appel öffentlich darüber nach. »Man könnte zum Beispiel bei Arbeit, die von Menschen geleistet wurde, auf die Mehrwertsteuer verzichten – und nur die Arbeit von Robotern besteuern«, sinnierte er in einem Interview. Im Kern denkt Appel aber an eine Art roboterfinanziertes Weiterbildungspaket für alle Opfer der Digitalisierung. Sie sollen fitter werden, als die jeweiligen Roboter. Im Grunde also eine alte Idee, die dem alten Arbeitsgedanken verfallen ist. Von einer »Maschinensteuer« schwärmte auch der österreichische Bundeskanzler Helmut Kern. Oder Eric Hilgendorf, Jurist und Philosoph an der Uni Würzburg, der als Experte für »Roboterrecht« in den Medien herumgereicht wird.
Und der Rechtsausschuss der EU fordert in einer Resolution vom Januar 2017 die Kontrolle der Wirkung von Automatisierung. Sollte sich diese als Jobkiller erweisen, »sollte ein allgemeines Grundeinkommen ernsthaft in Erwägung gezogen werden«, so der Text. Dessen Finanzierung könnte durch eine solche Steuer abgesichert werden. Sehr früh hat Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, über das Dilemma der Robotisierung nachgedacht. Er hat die Robotersteuer »Automatisierungsdividende« genannt, was ökonomisch gesehen der bessere Ausdruck ist. Hintergrund ist die Tatsache, dass das Prinzip bisheriger Besteuerung sich selbst ad absurdum führt. Steuereinnahmen erzielt der Staat durch die Besteuerung von Einkommen und Konsum. Wenn verfügbare Einkommen sinken, sinken beide Bereiche der steuerlichen Einnahmen. Es bleibt – eine Zeitlang und wie es die USA vormachen – nur die Verschuldung der privaten Haushalte, deren Konsum den Laden noch knirschend am Laufen hält.
Wieso schafft sich »der Mensch« ab, wenn er immer weniger Lohnarbeit verrichtet?
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Die Lösung bestünde in der Besteuerung nicht-menschlicher Arbeit. Wenn ein Unternehmer seine Roboter für sich »arbeiten« lässt, werden die Effizienzgewinne des Robotereinsatzes als geldwerter Vorteil, also als Gewinn definiert. Für diese Ersparnis müssen nun Steuern gezahlt werden. Der Roboter wird also teurer, ist aber vielleicht immer noch günstiger, als es menschliche Arbeitskraft wäre. Die Steuern auf die Automatisierungsdividende könnten dann in einen Fond eingezahlt werden, der zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens genutzt wird.
Die Vorteile: Die Sozialsysteme hätten eine frische Einnahmequelle. Zugleich müssten Digitalisierung und Robotisierung nicht mehr verteufelt werden. Sie mögen zwar weitere klassische Arbeitsplätze vernichten, Menschen müssten sich aber keine Sorgen mehr um eine Grundsicherung machen. Zugleich wären Unternehmer daran interessiert, ihre Robotertechnik noch effizienter zu machen. Von dem Rationalisierungsgewinn müssten sie zwar einen Teil in die Sozialsysteme einzahlen, es müssten aber Gewinne übrigbleiben. Die Effizienzlogik des Kapitalismus wäre nicht aufgehoben, ihre Gewinne würden aber anders kanalisiert. Nebeneffekt: Über die Verteuerung der Robotisierung qua Steuer wäre Robotereinsatz nicht mehr so häufig günstiger als menschliche Arbeit. Der Übergang könnte sich also langsamer und sozial verträglicher gestalten.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens scheint sich in immer mehr Köpfen festzusetzen. Selbst Milliardär Elon Musk, Chef von Tesla, dem E-Auto-Hersteller, konstatierte im Dezember 2016: »Die Chance ist ziemlich hoch, dass wir am Ende das bedingungslose Grundeinkommen haben.«
Grenzen der Automatisierung
Wie sähe bei dieser Entwicklung der Grenzwert aus? Wenn Roboter unabhängiger von menschlicher Kontrolle werden, würde die Sphäre der Produktion irgendwann ohne menschliche Arbeit auskommen. Denn Roboter »arbeiten« nicht, sie üben Funktionen aus. Sind sie in ihrem Funktionieren nicht vollständig autonom, brauchen sie menschliche, also arbeitsförmige Unterstützung. Ziel der technischen Evolution aber ist es, sich zunehmend unabhängig zu machen.
Dazu müsste die automatisierte Produktionssphäre aber für ihre eigene Weiterentwicklung sorgen. Künstliche Intelligenzen würden sich selbst warten, reparieren, produzieren und optimieren. Sie müssten selbstständig einen Kreislauf aus Rohstoffen und Recycling aufrechterhalten. Und Menschen könnten, wie von Marx herbeigeträumt, ihren Neigungen und Interessen entsprechend tätig sein. Klassische Lohnarbeit würde in Vergessenheit geraten. Ob Menschen eine solche Existenz verkraften, ist eine andere Frage. Wir hätten bei einem hinreichend langsam gestalteten Übergang aber genug Zeit zu lernen. Denn die Entwicklung würde Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die Weichen müssten aber schnell umgelegt werden, denn der Grenzwert des aktuellen Wirtschaftens könnte schneller erreicht sein, als wir in unserem aktuellen Wurschteln merken könnten.
Dieser Beitrag erschien in der Februarausgabe von OXI.
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