Kürzer arbeiten, mehr Lohn: OXI-Überblick zur Tarifforderung der IG Metall
Die IG Metall will in der kommenden Tarifrunde sechs Prozent mehr Geld und eine Wahloption zur Verkürzung der individuellen Arbeitszeit erreichen. Die Unternehmer jaulen wie üblich auf. SPD und Linkspartei unterstützen die Gewerkschaft. Und in den Zeitungen wird der eine oder andere Knackpunkt der Tarifforderung angesprochen.
Es ist Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie, und mit der Empfehlung des Vorstands der Gewerkschaft, sortieren sich auch die Lager. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall wies die Forderung für die Tarifrunde 2018 umgehend als »rückwärtsgewandt statt zukunftsorientiert« zurück.
In Sachen Lohnplus argumentiert Unternehmervertreter Rainer Dulger, es werde »von Jahr zu Jahr schwieriger, das zu erwirtschaften«. Was das gewerkschaftliche Ziel angeht, einen individuellen Anspruch durchzusetzen, der Beschäftigten ermöglicht, ihre Arbeitszeit ohne Begründung für zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden in der Woche absenken zu können, sind die Metallunternehmen ebenso ablehnend: Das gehe am »Alltag in unseren Betrieben vorbei«, zudem erklärte Dulger, »dass 84 Prozent aller Beschäftigten der Metall- und Elektro-Industrie eine solidarische Finanzierung von Auszeiten ablehnten«. Mit anderen Worten: Sie seien gegen eine tarifliche Regelung und der Meinung, dass »Auszeiten vom betreffenden Arbeitnehmer selber zu finanzieren sind«. In ihrer großen Befragung 2017 kam die IG Metall laut eigenen Angaben übrigens auf die gleiche Zahl – aber mit völlig anderer Deutung: »Über 84 Prozent der Befragten stimmen der Forderung nach einem Entgeltausgleich zu«, heißt es da.
Der Arbeitgeberverband Südwestmetall aus Baden-Württemberg warf der Gewerkschaft vor »endgültig im Wolkenkuckucksheim angekommen« zu sein. Die Forderungen der IG Metall würden sich in ihrer Gesamtheit auf zwölf Prozent mehr Lohnkosten aufaddieren, was mehr als die Hälfte aller Betriebe in die Verlustzone brächte.
Soweit die Unternehmen, die zu Beginn einer Tarifrunde noch nie anders geklungen haben: Die Lohnforderung ist zu hoch – denn es könnten ja auch mal schlechtere Zeiten kommen. Die Forderung nach Flexibilisierung zugunsten der Beschäftigten gehe an den Realitäten vorbei – was die Unternehmen zu ihren Flexibilisierungsforderungen noch nie behauptet haben. Die »tarifpolitische Geisterbahnfahrt« machen immer nur die anderen. Kritik kam auch vom Verband der Familienunternehmer.
IG Metall: Mehr Selbstbestimmung statt Mantra der Arbeitgeber
Die Gewerkschaft argumentiert für die rund 3,9 Millionen Beschäftigte ganz anders: »Eine Forderung von 6 Prozent sei angesichts des ungebrochenen Wachstums und vollen Auftragsbüchern auch und gerade in der Automobilbranche angemessen, um die Beschäftigten am Erfolg zu beteiligen«, heißt es bei der IG Metall. Die Beschäftigten »hätten unter anderem mit ihrer Bereitschaft zu flexibleren Arbeitszeiten zu diesem Erfolg beigetragen«. Daher sei es nun auch ein völlig richtiger Beitrag zu mehr Selbstbestimmung der Arbeitszeit, künftig einen individuellen Anspruch anzustreben, die Arbeitszeit ohne Begründung für zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden in der Woche absenken zu können.
»Die Arbeitgeber nutzen alle Möglichkeiten, um Arbeitszeiten zu verlängern«, sagt Gewerkschaftschef Jörg Hofmann. »Die Beschäftigten müssen genauso Möglichkeiten haben, Arbeitszeit zu verkürzen.« So wolle man »das Mantra der Arbeitgeber aus Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus Leistungsdruck durchbrechen«.
Was das Lohnplus angeht, hatte die IG Metall schon vor einigen Tagen daran erinnert, dass die Betriebe der Branche zu 88 Prozent ausgelastet seien – so gut wie seit 2008 nicht mehr. Die Umsatzrenditen hätten den höchsten Stand seit 2007 erreicht. Wem es um das Wachstum bestellt sei, solle an den Beitrag von hohen Löhnen zur Binnennachfrage denken. »Gute Tariferhöhungen helfen der wirtschaftlichen Entwicklung«, so die Gewerkschaft. Trotz der Entwicklung der Löhne seien »die Lohnstückkosten seit dem ersten Halbjahr 2016 nur moderat um 1,1 Prozent gestiegen«.
Noch ist das Tarifziel der IG Metall erst einmal nur eine Empfehlung, die regionalen Tarifkommissionen der Gewerkschaft beraten am 24. Oktober erneut über die Forderungen; dann befasst sich der Vorstand der IG Metall am 26. Oktober erneut damit – und wird die Ziele abschließend festlegen. Die Tarifverhandlungen selbst starten am 15. November.
Linkspartei: »gute, zeitgemäße Forderung« zur Arbeitszeit
Die Empfehlung aus Frankfurt hat also erst einmal auch den Zweck, die öffentliche Debatte vor der Tarifrunde zu beeinflussen. Am Montag berichtete die »Neue Osnabrücker Zeitung« aus einer bislang unveröffentlichten Analyse der Unternehmerlobby, die die Metall- und Elektroindustrie »vor großen Herausforderungen« sieht und »deshalb zu Zurückhaltung in der kommenden Tarifrunde« mahnt – also: Business as usual.
Gesamtmetall argumentiere, dass für die Beschäftigten der Branche »schon jetzt die kürzeste Arbeitszeit Europas« gelte. Wenn die IG Metall fordere, dass die Mitarbeiter noch weniger arbeiten, könne die Rechnung nicht aufgehen. »Kann die Arbeit hier nicht erledigt werden«, so die Analyse, »wird sie halt woanders gemacht.« Überdies werden Herausforderungen wie die Digitalisierung angeführt, nicht zuletzt stehe die Automobilbranche vor einem Umbruch, bei dem die Zukunft noch gar nicht richtig absehbar sei.
Auf Seiten der Gewerkschaft hat sich unter anderem SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles zu Wort gemeldet. Sie lobte gegenüber der »Welt«, dass die Gewerkschaft die Arbeitszeitfrage »zu einem zentralen Punkt in der anstehenden Tarifrunde macht«. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sprach von einer »guten, zeitgemäßen Forderung«, weil die Gewerkschaft nicht nur mehr Geld, sondern auch »Arbeitszeiten die zum Leben passen« anstrebe. Die Linkspartei hatte unlängst ein Gesamtkonzept für »planbare und unbefristete, gut bezahlte, sozial abgesicherte, selbstbestimmtere und demokratisch mitgestaltete Arbeit für alle« vorgelegt.
Auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, sprach von einem »sehr modernen« Vorschlag. Gegenüber der »Passauer Neuen Presse« zeigte sich Horn aber auch im Klaren darüber, dass das Arbeitszeitziel »sicherlich einiges kosten wird« – die Erfüllung der Flexi-Forderung werde wohl den Abzug einiger »Prozentpunkte beim Abschluss« der Tarifverträge mit sich bringen.
Zeitungen begrüßen mehrheitlich Arbeitszeit-Ziel der IG Metall
In den Zeitungen wurde die Forderung der IG Metall ganz unterschiedlich aufgenommen – vor allem was die Arbeitszeit-Flexi angeht. Die »Leipziger Volkszeitung« schreibt mit Blick auf diese Forderung, »das Thema wabert seit Jahren. Es taucht an verschiedenen Stellen auf. Wenn Eltern beklagen, dass ihnen ausreichend Zeit für ihre Kinder fehlt. Wenn die Pflege von Oma zum Problem wird. Wenn Vereine nicht mehr genügend Ehrenamtliche finden. Oder wenn die Zahl der psychisch bedingten Krankschreibungen ansteigt. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe das Thema zum Streitgegenstand in Tarifverhandlungen werden würde. Jetzt ist es so weit.«
In Berlin kommentiert »Der Tagesspiegel«, es sei »der IG Metall und der Gesellschaft insgesamt zu wünschen, dass sie ein Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit durchsetzt. Die Union hat eine entsprechende gesetzliche Regelung auf den letzten Metern der großen Koalition blockiert und damit vor allem viele Frauen, häufig alleinerziehend, in der Teilzeitfalle sitzen lassen. Die IG Metall kann ihre Leute da rausholen und als Vorbild für andere wirken.«
Die linke Tageszeitung »neues deutschland« betont den Ost-West-Aspekt der Tarifrunde und schreibt, »28 Jahre nach dem Mauerfall versteht keiner, warum Metaller in modernen ostdeutschen Betrieben Kollegen zweiter Klasse sind, die 38 Stunden in der Woche arbeiten müssen. Die 35 im West-Tarifvertrag ist ein Produkt harter Kämpfe seit 1884. Ein Streik im Osten für die 35-Stunden-Woche wurde 2003 abgebrochen – er scheiterte auch an der Passivität im Westen und der Distanzierung von ›Betriebsratsfürsten‹ westdeutscher Autokonzerne. Ab Januar bietet sich die Chance, fest an einem Strang zu ziehen. Streiks sollen wehtun. Es darf nicht sein, dass Bahnchaos oder Politikerreden bei Betriebsversammlungen die Produktion mehr bremsen als Arbeitskämpfe.«
Die »Westdeutsche Allgemeine« kommentiert, »nicht zum ersten Mal will die IG Metall tariflich durchsetzen, woran die Politik gescheitert ist. So war es bei der Leiharbeit, so soll es nun bei der selbstbestimmten Arbeitszeit sein. Die soziale Komponente, dass Geringverdiener am wenigsten Nettolohn verlieren, wäre vorbildlich. Ob jemand Zeit für sein Kind oder die demente Mutter erhält, darf nicht von der Lohnhöhe abhängen.«
Die »Nürnberger Nachrichten« schreiben dagegen, »was auf den ersten Blick also ebenso naheliegend wie menschenfreundlich klingt, das hat nicht nur für die Betriebe, sondern auch für manche Beschäftigten allerdings durchaus Tücken: Wenn es die garantierte Arbeitszeit-Verkürzung auf Zeit gibt – wer springt dann für den 28-Stunden-Beschäftigten ein? In aller Regel sind die Unternehmen bestens ausgelastet – sie brauchen also Ersatz. Angesichts eines längst angespannten Arbeitsmarkts ein wachsendes Problem: Mehr Überstunden der anderen Beschäftigten? Mehr befristete Einstellungen? Beides liegt nicht im Interesse der Gewerkschaft. Zugespitzt: Die fest verankerte Flexibilität ist gut für diejenigen, die davon Gebrauch machen – für die anderen kann sie zur Belastung werden.«
Tarifpolitik und gesellschaftliche Fehlentwicklungen
Die »Allgemeine Zeitung« macht auf einen anderen Knackpunkt aufmerksam: »Gegen eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit aus diesen Gründen ist ebenfalls prinzipiell nichts einzuwenden. Aber warum muss dafür der Deckel starr und niedriger sein? Und wer sagt, dass Tarifpolitik geeignet ist, gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren? Das ist mitnichten der Fall. Vielen Menschen wäre mehr geholfen, wenn es mehr – angemessen bezahlte – Erzieher, Lehrer und Pfleger gäbe, deren Fachwissen sie abrufen könnten, anstatt die Verantwortung für Erziehung, Pflege und anderes per Tarifvertrag übergebraten zu bekommen. Die Metaller betreiben hier mit demografischer Rhetorik kaschierte Klientelpolitik reinsten Wassers.«
Die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« nennt die Tarifforderung der Gewerkschaft »maßlos überzogen. 6 Prozent mehr Lohn bei gleichzeitiger Arbeitszeitreduzierung – selbst Wohlmeinende können da nur den Kopf schütteln. Für den Aufschlag zum Verhandlungsbeginn sind die Metaller ein hohes Risiko eingegangen: dass man sie und ihr Anliegen nicht mehr ernst nimmt. Schon von den in der Branche üblichen 35 Wochenarbeitsstunden können die meisten Beschäftigten nur träumen. 40 Wochenstunden sind inzwischen die Regel, viele arbeiten deutlich mehr.«
Das »Handelsblatt« schreibt, »die Arbeitgeber sollten die Entschlossenheit der IG Metall nicht unterschätzen. Seit die SPD den Gang in die Opposition angekündigt hat, ist in der Arbeitszeitfrage von der Politik aus ihrer Sicht wenig Gutes zu erwarten.«
Guter Journalismus ist nicht umsonst…
Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.
Zahlungsmethode