Wirtschaft
anders denken.

Konzerne in Schulen: Kultusbehörden vs. Amazon

05.06.2016

Amazon drängt mit einem Wettbewerb für »kreatives Schreiben« an die Grundschulen – und bringt eigene Lesegeräte gleich mit. Nun wehren sich die Kultusbehörden mehrerer Bundesländer gegen den wachsenden Konzerneinfluss auf den Unterricht.

Wehren sich Kultusbehörden endlich gegen Konzerne? Ein Wettbewerb des Internethändlers Amazon für GrundschülerInnen stößt auf Widerstand. Der Wissenschaftler Tim Engartner sagt dazu: »Dass gleich vier Landesregierungen ihn ablehnen, macht Hoffnung.« Felix Kamella erläutert, was LobbyControl jetzt von der Politik verlangt.

Die Kultusbehörden von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen äußern nach Medienberichten teilweise erhebliche Bedenken gegen den Amazon-Wettbewerb »Kindle Storyteller Kids«. Amazon behauptet, es wolle die Schreib- und Lesekompetenz der SchülerInnen fördern; als Preise spendiert der Konzern unter anderem E-Book-Reader. Der Frankfurter Wissenschaftler Tim Engartner kommentiert: »Amazon will nach eigenen Angaben das kreative Schreiben fördern.« Da gegen Kreativität nichts einzuwenden sei, so Engartner, »sollten Schülerinnen und Schüler lernen, dass Amazon seit Jahren kreative Steuersparmodelle nutzt« und in seinen Logistikzentren viele LeiharbeiterInnen beschäftige und Mitbestimmung verweigere.

Der Wettbewerb ist nur die Spitze des Eisbergs

Bei diesem Wettbewerb handelt es sich buchstäblich um die Spitze des Eisberges: Seit vielen Jahren verbreiten Unternehmen in Schulen unkontrolliert ihre Ideologie in Fragen der Wirtschaft- und Arbeitswelt und betreiben Werbung für ihre Produkte. In einem ausführlichen OXI-Gespräch analysiert Engartner: »Wir haben es mit einem Massenphänomen zu tun. … Es findet buchstäblich ein Kampf um die Köpfe der Kinder im Klassenzimmer statt.« Das Ziel der Unternehmen beschreibt der Professor für politische Didaktik so: »Sie wollen die geistig-moralische Grundhaltung der künftigen Generationen prägen.« Die meisten der Dax-Konzerne »drängen mit Unterrichtsmaterialien, Lehrerfortbildungen und Schülerassessments in den einstigen ›Schonraum Schule‹, um die Kunden von morgen möglichst früh an ihre Marke zu binden, ihr Image aufzubessern, Mitarbeiter zu gewinnen oder aber unternehmenskompatible Weltbilder heranzuzüchten.«

Felix Kamella, verantwortlicher Campaigner bei LobbyControl, ist verhalten optimistisch: »Auf jeden Fall hat die kritische Diskussion deutlich zugenommen.« Im Gespräch hatte er jüngst konstatiert, es gebe zwar konkrete Erfolge, aber enttäuschend sei »dass sich generell die verantwortlichen Kultusministerien der Länder weigern, etwas Handfestes gegen die Einflussnahmen zu unternehmen. Sie schieben bis auf wenige Ausnahmen die Verantwortung alleine den Schulen zu.« Zeigen sich nun erste Erfolge der anhaltenden Kritik? Die Forderung von Kamella: »Entscheidend ist: Es muss mehr Geld für Schulen und Bildung geben. Denn das deutsche Bildungssystem ist unterfinanziert. Und das ist das zentrale Einfallstor für Lobbyisten.«

Mit diesem Thema beschäftigen sich auch zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung. Markus Balser und Uwe Ritzer haben zwei Jahre lang, so die Angaben des Verlages, zu dem Thema »Lobbykratie« recherchiert und dabei auch den Einfluss der Unternehmen auf den Schulunterricht zu Wirtschaft-, Finanz- und Arbeitsmarkt-Themen untersucht.

Markus Balser, Uwe Ritzer: Lobbykratie – Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheit, Gesetze erkauft. Droemer Knaur, München 2016. 368 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 17,99 Euro.

Geschrieben von:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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