Wirtschaft
anders denken.

Im Urlaub konnte ich Kunst machen

28.06.2021

Die Pandemie trifft Künstler:innen. Doch viele der Probleme, die jetzt öffentlich werden, bestanden schon zuvor für die Kunst. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…

Linde Kauert ist bildende Künstlerin. Druckgrafik, Zeichnung, Malerei, Skulptur – sie beherrscht eine große Spannbreite künstlerischen Handwerks. Ihr Weg dahin war lang. Für sie war immer klar, nie etwas anderes als Kunst machen zu wollen. Linde Kauert lebt und arbeitet in Brandenburg. Mit ihr sprach Gisela Zimmer.

Lehrerin, Tischlerin, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Studium zur Kunstpsychotherapeutin. Und zwischendurch und mittendrin immer wieder Ausbildungen zur »wahren« Kunst. Warum die Haken und Umwege?

Der Wunsch, Kunst zu machen, war immer da. Ich hatte ein Studium in Erfurt absolviert, war mit 22 Jahren Kunstpädagogin, wusste aber schon nach kurzer Zeit, dass ich das nicht will. Ich lernte dann Tischlerin, bekam ein Kind, und bei einem Arbeitsunfall brach ich mir die linke Hand. Die Prognose fürs Zusammenwachsen war denkbar schlecht. Ein Vierteljahr war ich zu Hause und hatte viel Zeit zum Zeichnen. Da war ich 27, 28 Jahre alt.

War das schon zu alt, um sich an der damaligen Hochschule der Künste in Ostberlin zu bewerben?

Ich habe mich beworben. Aber mir wurde gesagt, ich hätte schon eine eigene Handschrift, da könnten sie ja gar nichts mehr machen. Und zu alt? Das haben sie mir nicht direkt gesagt, aber es lag unausgesprochen in der Luft. Das Kunststudium habe ich zunächst begraben und Klamotten genäht, damit Geld verdient. In Prenzlauer Berg entdeckte ich dann einen Bildhauerzirkel, hatte das Glück, dass jemand abgesprungen war, und ich konnte mitmachen. Auf dem zweiten Bildungsweg lernte ich plastisches Gestalten, Akt- und Porträtzeichnen, Figuren in Ton aufzubauen, in Gips abzugießen – alle handwerklichen Techniken. Das war toll, aber leider kein anerkanntes Studium. Dazu alles kurz nach der Wende. Ich wollte zwar unbedingt Bildhauerin werden, mir wurde auch bescheinigt, dass ich wirklich gut bin, aber zugetraut habe ich mir das nicht.

Warum nicht?

Du musst in dieser Branche schon aus dir selbst heraus sehr stark und durchsetzungsfähig sein. Ich wollte starten, aber rundherum wurde plötzlich alles anders. 1989/90 brach alles zusammen, meine Ehe kriselte, es lief schief, was nur schieflaufen konnte. Ich fühlte mich wurzellos, konnte mir nicht vorstellen, eine Bildhauerwerkstatt aufzubauen.

Hatte das auch mit der Unsicherheit zu tun, überhaupt von der Kunst leben zu können?

Ich hatte keine Vorstellung, wie die wirtschaftliche und Vermarktungsstruktur läuft. Ich wusste nicht, wenn eine Figur fertig ist, wie ich die an den Mann oder die Frau bringen könnte. Ich wusste nur, dass ich das machen will. Was ich gebraucht hätte, wären mehr Luft und Zeit und weniger Alltagssorgen. Und vom Selbstbewusstsein her war ich damals auch noch nicht so weit.

Wovon haben Sie denn gelebt?

Manchmal denke ich, dass wir damals nicht verhungert sind, grenzt an ein Wunder. Ich hatte zwar den Abschluss in der Tasche, aber ich kannte mich noch lange nicht in der Kunstszene aus. Es war nur die unbändige Lust da, Kunst zu machen, gleichzeitig aber auch das Wissen, ich muss Geld verdienen, für mein Kind sorgen. Ein Jahr lang war ich Mädchen für alles in einer Tischlerei, danach habe ich eine Holzwerkstatt geleitet. Und welch ein Zufall: Im Netzwerk Spielkultur kriegte ich eine Festanstellung. Ich bin da hin, irgendeine himmlische Kraft ließ mich sagen: Ich bin Linde Kauert, kann zeichnen, hab Tischler gelernt und eine pädagogische Ausbildung. Könnt ihr mich gebrauchen? Das Büro war voller Leute, alle lachten, sie wollten noch wissen, ob ich eine Fahrerlaubnis hätte. Damit war mein Einkommen gesichert, für mich und meine Tochter, und ich konnte meine künstlerischen Fähigkeiten dort super einbringen.

Und eigene Kunst machen?

Ich habe weiter Fortbildungen besucht. Schauspielkurse, kreatives Schreiben, Bühnenbilder gemalt, und immer wieder gezeichnet. Ein richtiger Knoten platze bei einem Spielmobiltreffen in Coventry. Wenn die anderen beisammensaßen und redeten, zeichnete ich sie. Ganz frei, das floss alles aus mir heraus, ich war wie elektrisiert. Und von da an habe ich in jeder freien Minute gezeichnet. Außerdem jede Woche zweimal abends nach Feierabend ein Weiterbildungsstudium an der Hochschule der Künste absolviert.

Ist das eigentlich ein Tabu unter Künstlerinnen und Künstlern, darüber zu reden, den eigentlichen Lebensunterhalt mehr oder weniger über Nebenjobs zu verdienen?

Manche können gut von ihrer Kunst leben, weil sie gut verkaufen. Aber dieses regelmäßige Verkaufen ist schwierig. Ich konnte einiges verkaufen. Eine Zeit lang funktionierte das auch gut mit der Edition Zwiefach, da haben wir unsere schönen Bücher verkauft. Aber die Haupteinnahmen waren tatsächlich immer diese Honorarjobs in der Klinik. Meine eigene Kunst lief im Urlaub. Zum Beispiel bin ich vier Jahre lang nach Marburg gefahren, jeweils für drei Wochen zur Sommerakademie. In einem Mädchentreff konnte ich Mädchen und jungen Frauen Kurse für kreatives Malen geben. Trotzdem, meine Kunst musste ich hintenanstellen. Ich studierte dann noch Kunsttherapie. Das hat mir sofort gefallen. Ein berufsbegleitendes Studium, drei Jahre lang. In der Zeit musste ich mich um kein Geld kümmern, weil ich eine einmalige modifizierte Abfindung für meine zuvor feste Stelle erhielt. Endlich hatte ich Zeit für künstlerisches Arbeiten. Am Ende war ich dann Kunstpsychotherapeutin, dachte, das kannst du ewig machen. Aber als ich 2004 fertig war, hatten die Kliniken sämtliche Stellen abgewickelt. Von einem Tag auf den anderen war ich Sozialhilfeempfängerin. Das war so bitter.

Wie sind Sie da rausgekommen?

Das letzte Angebot vom Jobcenter war, ich sollte Hilfsnäherin werden. Das reichte dann endgültig. Aber manchmal lernt man zur richtigen Zeit die richtigen Leute kennen. In mein Leben lief der Buchgestalter und Typograf Heinz Hellmis mir über den Weg. Mit ihm zusammen gründete ich den Künstlerverlag Edition Zwiefach. Das war 2007. Ich machte mich selbstständig, erhielt vom Jobcenter ganze 500 Euro dafür, eine Einmalzahlung. Mein eigentliches Glück war, dass das frühere gemeinsame Haus mit meinem Ex-Mann zwangsversteigert wurde. Aus dem Erlös bekam ich 15.000 Euro. Die habe ich voll in den Verlag gebuttert. Wir haben schön gestaltete Bücher hergestellt, in die meine Bilder zur Literatur flossen. Das war eine sehr arbeitsreiche, schöne Zeit. Bis Heinz Hellmis 2014 starb.

Und jetzt?

Ich bin jetzt gerade 68 geworden und habe endlich die Traute, zu sagen, ich bin Künstlerin und es gibt auch nichts anderes mehr. Was klar ist, man muss wissen, was man kann und möchte. Und wenn du Geld haben willst, musst du dich kümmern, woher du es kriegst. Was andere Künstler viel früher gemacht haben, da steige ich jetzt ein, schaue mich nach Förderprinzipien und -geldern um. Na ja, und dass ich noch einmal heiraten würde, das war auch nicht vorgesehen. Plötzlich kommt da jemand und rüttelt an allen Ecken und Enden. Mittlerweile finde ich das toll, ich muss mich um keine Miete, keine Heizung, keinen Strom kümmern. Trotzdem übernehme ich in diesem neuen kleinen Familiensystem natürlich viele Aufgaben.

Also endlich keine Existenzängste mehr, dazu der Mut, nur noch als Künstlerin zu arbeiten. Und dann macht aber die gesamt Kunst- und Kulturszene dicht. Mit welchen Folgen für Sie?

Die Kunstmesse in Ahrenshoop wurde schon das zweite Mal verschoben. Die Ausstellung in der Gedok-Galerie in Rangsdorf wurde Ende Oktober 2020 eröffnet. Das war ein Sonntag, und am Montag danach wurde sie geschlossen. Keine Besucher. In dieser Ausstellung sind drei Radierungen von mir. An denen habe ich hart gearbeitet, das ist wirklich eine sehr schwierige Technik. Zurzeit schreibe ich an einem Ausstellungskonzept, damit will ich mich in Galerien bewerben. Aber die haben mit der Pandemie natürlich schon so viele Künstler auf ihren Wartelisten, die erst nach und nach abgearbeitet werden. Dann wurde auch der Tag der Offenen Ateliers verschoben. Er soll nun im August stattfinden, aber ob da jemand etwas kauft?

Geschrieben von:

Gisela Zimmer

Journalistin

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