Wirtschaft
anders denken.

Labour Partei: Stillstand oder Öffnung

09.08.2016

Während die konservativen Tories nach dem Brexit-Votum einen halbwegs geregelten Führungswechsel hinbekamen, zerlegt sich die oppositionelle Labour-Partei: Die Vorstellungen der verschiedenen Flügel über die ›richtige‹ Wirtschaftspolitik sind unvereinbar.

Wie sich die Bilder doch gleichen: Es ist noch kein Jahr her, dass Jeremy Corbyn mit einer überwältigenden Unterstützung der Parteibasis zum Vorsitzenden der ehemaligen Arbeiterpartei gewählt wurde – und nun steht er seit Wochen erneut im Wahlkampf. Hunderte, ja Tausende strömen seit Wochen zu seinen Veranstaltungen; jüngst musste die Polizei den größten Platz von Liverpool sperren, weil über 5000 Menschen den Mann hören wollten, den die eigenen Unterhausabgeordneten mit einem Putsch wegfegen wollten. Sein Gegenkandidat Owen Smith hingegen hat Mühe, mehr als ein paar Dutzend Parteimitglieder zu seinen Veranstaltungen zu mobilisieren. Auch er war vor kurzem in Liverpool. Aber nicht einmal hundert Leute wollten seine Rede hören.

Das war vor einem Jahr ähnlich gewesen, als Corbyn – seinerzeit eher zögerlich – die drei KandidatInnen der damaligen Labour-Führung herausgefordert hatte. Er sprach in überfüllten Räumen; seine MitbewerberInnen um den Labourvorsitz referierten in Hinterzimmern. Im Laufe seines Wahlkampfs verdoppelte sich die Mitgliederzahl auf rund eine halbe Million; bei der Urwahl votierten knapp sechzig Prozent für den Hinterbänkler.

Trotz dieser Mehrheit und der beachtlichen Massenmobilisierung war von Anfang an erkennbar, dass die Parlamentsfraktion, die mehrheitlich von AnhängerInnen der früheren Vorsitzenden Tony Blair und Gordon Brown besetzt ist, das Ergebnis nicht einfach akzeptieren würde. Und so handelte die bisherige Parteielite, als nach dem Brexit-Referendum eine vorgezogene Parlamentswahl absehbar schien: Zuerst traten die meisten Mitglieder des Schattenkabinetts zurück, dann sprachen über achtzig Prozent der Parlamentsabgeordneten Corbyn ihr Misstrauen aus und forderten ihn zum Rücktritt auf. Was Corbyn mit Verweis auf seine Wahl durch die Parteimitglieder ablehnte.

Und nun also ein neuer Urnengang. Zuerst wollte Angela Eagle gegen Corbyn antreten; zur Empörung der Mitglieder ihres Wahlkreises, die postwendend ihre Absetzung verlangten. Jetzt zieht Owen Smith als Gegenkandidat durch das Land. Smith, seit sechs Jahren Unterhausabgeordneter und bis Ende Juni Schattenarbeitsminister unter Corbyn, hatte vor seiner politischen Karriere als BBC-Produzent, als Lobbyist für den US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer und als politischer Berater gearbeitet. Dass Smith – er gilt inzwischen als moderater Linker – den Vorzug vor Eagle bekam, hat einen einfachen Grund: Im Jahr 2003, als Blair in treuer Gefolgschaft zum damaligen US-Präsidenten George W. Bush sein Land in den Irakkrieg verwickelte, saß Smith noch nicht im Parlament. Und konnte daher, anders als Eagle und viele andere altgediente Labourabgeordnete, der Invasion nicht zustimmen.

Smith enthielt sich – wie Eagle und viele andere Labourabgeordnete – jedoch bei einer zentralen Abstimmung im Juli 2015, als die konservative Regierung dem Unterhaus einen Plan für weitere empfindliche Kürzungen im Sozialetat vorlegte; besonders Behinderte waren davon getroffen. Genau um diese Themen geht es nun heute bei der Auseinandersetzung in der Labour Partei. Hier der prinzipienfeste Altlinke Corbyn, der den privaten Reichtum umverteilen, die Macht der (Finanz-)Konzerne begrenzen will, Gemeinnutz vor Privateigentum stellt, jedwede rigide Sparpolitik (Austeritätspolitik), militärische Interventionen und Freihandelsabkommen wie TTIP konsequent ablehnt – und sich auch nicht scheut, die Eigentumsverhältnisse bei den Großverlagen in Frage zu stellen; was ihm eine denkbar schlechte Presse beschert. Und dort der Kandidat des alten Parteiestablishments, das sich längst mit den Machtverhältnissen arrangiert hat. Deren Leitlinien: Die neoliberale Wirtschaftspolitik sei alternativlos. Die Finanzelite der Londoner City müsse erhalten bleiben. Die gerade beschlossene Modernisierung der atomaren Trident-U-Bootflotte sei richtig gewesen; zu den Gesamtkosten von etwa 200 Milliarden Euro siehe die Online-Zeitung Independent: Sozialkürzungen seien zwar bedauerlich, aber leider nicht zu vermeiden.

Noch ist nicht absehbar, wohin der Machtkampf die Labour-Partei führt und wie er ausgehen wird. Sicher ist nur: Er wird die Partei grundlegend verändern. Setzt sich die Fraktionsmehrheit durch, fällt Labour zurück in die Zeit unter Tony Blair, als sie noch New Labour hieß. Und das bedeutet unter anderem: weiterer Abbau von Schutzrechten für Arbeitnehmer und materiell arme Schichten, weitere Privatisierungen, Verringerung von Sozialleistungen, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, mehr kriegerische Interventionen, noch mehr Gängelung der Gewerkschaften. Gewinnt hingegen die in der Unterhausfraktion seit jeher marginalisierte Linke um den Vorsitzenden Jeremy Corbyn, dann könnte aus der Partei das werden, was die ehemalige Gewerkschaftspartei einmal war: zwar keine sozialistische Partei (das war Labour nie gewesen), aber das parlamentarische Spielbein einer breiten, vielfältigen Bewegung, die sich der Solidarität, der sozialen Gerechtigkeit, des gesellschaftlichen Miteinanders verpflichtet fühlt.

Corbyn, sagen seine parteiinternen KritikerInnen, sei ja »ein anständiger Kerl« und auch »sehr integer«, aber halt »kein Parteiführer«. Nur: Wer braucht in einer Zeit, in der das Vertrauen in die politischen Eliten – siehe Brexit – zunehmend erodiert, noch eine Führung in herkömmlichen Sinne? Wer kann die Machtlosen und an den Rand Gedrängten für eine gemeinsame Zukunft begeistern – wenn nicht Corbyn? Inzwischen gehen viele davon aus, dass er seinen Vorsitz verteidigen kann.

Geschrieben von:

Pit Wuhrer

freier Journalist

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