Wirtschaft
anders denken.

Labour und die Verstaatlichung: Tickt die Mehrheit der Briten sozialistisch?

04.10.2017
Mtaylor848, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Labour ist unter Jeremy Corbyn nach links gerückt und hat unter anderem Pläne zur Verstaatlichung von Wasserwerken, Energieversorgern, Post und Eisenbahnen vorgelegt. Eine Studie zeigt nun: Die Mehrheit der Briten ist dafür.

Labour steht bereit, so hat es Jeremy Corbyn zum Abschluss des Parteitags in Brighton vor einigen Tagen gesagt, in London die Regierung zu übernehmen und eine »neue fortschrittliche Verbindung zu Europa aufzubauen«. Von hier aus betrachtet, wurde vor allem die Brexit-Politik der Sozialdemokraten beäugt. Aber die unter Corbyn nach links geschwenkte Partei will auch gegen soziale Ungleichheit angehen und die öffentliche Gesundheitsfürsorge reformieren. Im letzten Wahlprogramm konnte man Forderungen nach Investitionen in Schulen und Ausbildung lesen, die Studiengebühren sollen abgeschafft werden, ein 250-Milliarden-Euro-schweres Investitionsprogramm für die Infrastruktur ist versprochen. Bis 2020 soll ein Mindestlohn von zehn Pfund gelten.

Doch die politische Agenda geht noch weiter: Corbyn hat Pläne zur Verstaatlichung von Wasserwerken, Energieversorgern, Post und Eisenbahnen vorgelegt. Die Tories haben auf ihren Parteitag in Manchester Corbyns Pläne für Großbritannien als »klare und unmittelbare Bedrohung für unseren Wohlstand« bezeichnet. Labour sei mit der Forderung nach Verstaatlichung ein »Dinosaurier«, der »aus den Glasvitrinen ausgebrochen« sei. Corbyn wolle »den eingreifenden, dirigierenden Staat, der die Wirtschaft lenkt und seinen Bürgern vielfache Rechte und Hilfen zusichert«, meinte auch eine Kommentatorin der »Zeit« – musste aber eingestehen: »Viele Wähler hat das offenbar nicht verschreckt. Im Gegenteil. Die Ideologie des geschrumpften Staates von Margaret Thatcher hatte tiefe Gräben aufgerissen.«

Drei von vier Befragten unterstützen die Verstaatlichung

Denn was sagen die Briten? Wie nun der Londoner Thinktank Legatum zeigt, ist eine überwiegende Mehrheit für Corbyns Pläne: Mehr als drei von vier Befragten unterstützen die geforderten Verstaatlichungen; jeder zweite findet auch eine Sozialisierung von Banken sinnvoll. Eine überwiegende Mehrheit sagt, die britischen Unternehmen sollten vom Staat deutlich stärker reguliert werden. »Wir sind jetzt der politische Mainstream«, hatte Corbyn auf dem Parteitag in Brighton ausgerufen. Die Legatum-Ergebnisse legen nahe, dass er Recht hat. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sieht es so aus, fürchtet sich die »Frankfurter Allgemeine«, als »könnten mit einem sozialistischen Programm auf der Insel wieder Wahlen gewonnen werden«.

Legatum selbst spricht von einer »bahnbrechenden Studie«, immerhin sei eine Mehrheit »für die Nationalisierungsagenda der Labour-Partei« – während die seit Jahrzehnten den wirtschaftspolitischen Mainstream bestimmende Forderung nach Förderung des freien Unternehmertums viel weniger Unterstützung finde. Die Studie zeichne »ein ungeschminktes Bild von dem, was die Öffentlichkeit über Unternehmen, Regulierung, Big Business, Banken, Verstaatlichung, Kapitalismus und Sozialismus denkt«.

Sozialismus wird positiver gesehen

Zu den wichtigsten Ergebnissen zählt Legatum, dass große Mehrheiten von weit über 70 Prozent die Förderung des öffentlichen Eigentums beim Wasser, der Elektrizität, beim Gas und der Eisenbahn befürworten. Viele Briten meinen zudem, dass die Steuern angehoben werden sollten, um das Gesundheitssystem zu stärken. Sie sind für Gehaltsobergrenzen für Vorstände – und halten den Kapitalismus für eine Ordnung, die mit Begriffen wie »gierig«, »egoistisch« und »korrupt« beschrieben wird. Sozialismus wird gegenüber dem Kapitalismus positiver gesehen – er »bringe den meisten Menschen etwas« und sei »fair«.

Die Ergebnisse legten also nahe, »dass die wirtschaftliche Einstellung im Land weiter links« orientiert ist als bisher allgemein geglaubt – oder behauptet. Legatum, keineswegs eine linke Denkschmiede, sieht darin »eine Herausforderung für diejenigen«, die »die Macht des Wettbewerbs, des Unternehmertums und des freien Handels« ganz nach vorn stellen, wenn es um die Frage geht, wie man Wohlstand fördern kann. Corbyn zeigt nun, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, jedenfalls finden seine Ideen durchaus breite Unterstützung.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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