Bauernkitsch hilft nicht gegen Konzernstrategie
Warum wir nicht länger von »Land Grabbing« sprechen sollten. Aus OXI 4/21.
Wenn Geld aus »Seniorenresidenzen, Möbelbau und dem Abwickeln von Pleitefirmen« den Boden aufkauft, weckt das in der Öffentlichkeit Emotionen. Regelmäßige Berichte über Großinvestitionen von Münchener Rück, Lindhorst Group oder den Aldi-Brüdern in die Landwirtschaft stellen scheinbar die zentrale Evidenz gegen die Behauptung eines vermeintlich natürlichen, notwendigen Agrarstrukturwandels dar. Bis auf das Thünen-Institut publiziert kaum jemand systematische Analysen. Aber was sagen uns Überschriften wie »Erbeutetes Bauernland« und »Land Grabbing in Deutschland?« über den Zustand der Landwirtschaft? Sie bestärken das Narrativ einer Gefahr von außen, welches den Bauern in Latzhose gegen den Investor im Anzug aufstellt, wie David gegen Goliath. Letztendlich verschleiern diese Schlaglichter unser viel beängstigenderes Unwissen über Eigentumsstrukturen, unsere veralteten Vorstellungen von Landwirtschaft und helfen uns kaum, wirklich zu verstehen, wie es um die Agrarstrukturen bestellt ist.
Die großflächigen Landinvestitionen in Deutschland werden mit dem populären Begriff Land Grabbing benannt. Ursprünglich wurde damit die Vertreibung lokaler Kleinbäuerinnen im globalen Süden durch multinationale Konzerne aufgrund unsicherer Landrechte in schwachen Staaten bezeichnet. Mit dem Rückimport nach Europa wird folglich der ländliche Raum zum indigenen Volk des globalen Nordens. Dem liegt der normative Gedanke zugrunde, dass das Bestehende gegen eine neue Bedrohung geschützt werden muss: Die postkoloniale Widerstandserfahrung übersetzt auf den deutschen Bauern, der seit Generationen auf seiner Scholle sitzt. Dies weckt reaktionäre Reflexe und bestätigt die bestehenden Eigentums- und Nutzungsstrukturen von Land automatisch als Idealzustand. Erstens sind aber komplexe, international tätige Agrarkonzerne längst Teil der Agrarstrukturen und beteiligt an Landspekulation und Steuervermeidung. Zweitens wird so die Forderung nach einem dringenden sozial-ökologischen Strukturwandel und dem Landzugang für Jungbäuer*innen geschwächt.
Kein Feind von außen
Land Grabbing ist ein vielfältig interpretierbarer Slogan und ermöglicht dadurch Bündnisse über politische Lager hinweg. Sein Scharnierpotenzial ist jedoch auch seine Gefahr. Auch wenn wir ihn für ein Phänomen des Neoliberalismus halten – mit der Drohfigur des »ausländischen Investors« wird seit Jahrhunderten reaktionäre und nationalistische Politik betrieben. 1990 argumentierte Prinz Salm-Salm, dass Erleichterungen beim Flächenrückkauf für Alteigentümer im Rahmen der Wiedervereinigung eine »Maßnahme gegen ausländische Profiteure und Immobilienspekulanten aus Westdeutschland« seien. Er war Mitverhandler des Gesetzes, das den Flächenrückkauf von Großgrundbesitzern vor 1945 in Ostdeutschland (EALG) regelte. Auch schon im 19. Jahrhundert waren es feudale Interessen, die vor dem Aufkauf des Bodens warnten. In der Debatte um ein Grundregister für den Deutschen Bund 1869 hieß es, dies sei abzulehnen, da es nicht im Staatsinteresse liegen könne, dass der Boden fungibel würde oder gar in die Hände von Ausländern fiele. Letztlich sollte damit die Ständeordnung gegen ein aufstrebendes Bürgertum geschützt werden. Auch der Nazi-Roman »Volk ohne Raum« von Hans Grimm spielt mit der Angst, dass der Deutsche »nicht so viel Bauernland hat, als es zu seiner Wirtschaft braucht«.
Liegt Transformationspotenzial in einer Land-Grabbing-Debatte? Oder stützt sie einen Status quo, von dem wir kaum etwas wissen, der für die Allgemeinheit jedoch mit dem traditionellen Familienbetrieb gleichbedeutend ist? Dabei besteht die Gefahr, dass wir für den Sektor Landwirtschaft eine Ausnahme machen und statt freier Berufswahl und Chancengleichheit das exklusive Recht des Berufs durch Vererbung und lokale Herkunft anvisieren. Es gibt ein weiteres Problem, das deutlich wird, wenn man zwischen Landnutzung und Landeigentum differenziert: Landwirt*innen vertreten beides. Mit dem Renteneintritt gehen viele Landwirt*innen von der Rolle des bewirtschaftenden Besitzers zu der des profitorientierten Eigentümers über. Erb*innen der zweiten Generationen verlieren noch mehr den »Kontakt zum Land« und sind am Ende diejenigen, die von hohen Bodenpreisen profitieren wollen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Landwirtschaftsverbände gegen stärkere Regulierungsversuche der Bodenmärkte lautstark wehrten. Unter den Begriff Landraub lässt sich das schwer fassen.
Die Kritik am Land Grabbing verhandelt keine kapitalistischen Dynamiken
Marktmacht kann nicht nur zu Bodenpreissteigerungen, sondern auch zu Bodenpreis- und Pachtsenkungen führen. Großpächter, wie z.B. große Agrarkonzerne, können diese ausspielen, wenn neben ihnen nicht viele weitere Pächter zur Verfügung stehen. Dies wird auch in einer Zeit deutlich, in der bei institutionellen Landeigentümern ein Bewusstsein für die eigene sozial-ökologische Verantwortlichkeit bei der Verpachtung beginnt. Im Rahmen einer Agrarinitiative wollten institutionelle Eigentümer mit den Pächter*innen der Flächen ökologische Vereinbarungen treffen und kamen über sehr vage Willenserklärungen nicht hinaus. Auch die Kirchen in Bayern zögern, ihre Pachtkriterien zu überdenken, obwohl dies seit dem Volksbegehren »Rettet die Bienen« zunehmend gefordert wird.
Alle diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass das Problem nicht nur »von außen« kommt und dass es nichts hilft, es zu personifizieren. Es geht nicht um einige herzlose Investoren. Nicht, dass die Münchener Rück statt eines ehrbaren Landwirts Flächen kauft, ist das Problem. Es geht um kapitalistische Dynamiken, Unternehmensverflechtungen und Konzentrationsprozesse, die nicht mit romantisierten Vorstellungen von Land aufgehalten werden können, jedoch aber derweil demokratische Prozesse aushebeln und Neuzugänge in die Landwirtschaft verhindern. Das personifizierende Argument, dass »der Investor« nur die Wertsteigerung abschöpft, während »der Landwirt« nur bewirtschaften wolle, übersieht, dass es gerade alte Landeigentümer, Landwirte und deren Kinder sind, die das Land verkaufen. Darüber hinaus ist der Markt nicht alles. Nur 0,5 Prozent des Bodens wird jährlich verkauft, der Rest wird vererbt, verschenkt oder liegt z. B. in Stiftungen, kirchlichen und staatlichen Institutionen. Wer neue Großgrundbesitzer kritisiert, sollte aber alte Großgrundbesitzer nicht vergessen. Dass im ländlichen Raum innovative, neue Gedanken wenig Platz finden, hat auch mit diesen Strukturen zu tun.
Stärkung des Gemeingut Boden statt reaktionärer Protektionismus
Ackerland ist etwas Besonderes. Der Boden ist eine nicht vermehrbare Lebensgrundlage. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass mit ihm nicht gehandelt werden kann wie mit jedem anderen Gut. Insbesondere der landwirtschaftliche Bodenmarkt ist stark reguliert. Ein Landkauf kann versagt werden, wenn es neben dem nicht-landwirtschaftlichen Käufer einen interessierten Landwirt gibt. Staatliche Landgesellschaften können Land zu diesem Zweck »zwischenkaufen«. Der Kauf von Agrarunternehmen ist jedoch nicht reguliert. Über Anteilskäufe an Betrieben und zunehmend komplexe Unternehmenskonstruktionen können Steuern und Beschränkungen leicht umgangen werden. Gerade weil das Bodenmarktrecht auf das Idealbild des Familienbetriebs ausgerichtet ist, kann es der Bodenkonzentration in intransparenten finanziellen Verflechtungen von Gesellschaften und Unternehmen nichts entgegensetzen. Mit der Bestimmung des Bodens für den Familienbetrieb wird nicht nur eine zahnlose Flächenverkehrsregulierung hergestellt: Auch die Agrarstatistik erhob bis zu diesem Jahr lediglich Einzelbetriebe, selbst wenn diese Teil eines Agrarkonzerns waren. Das ist ungefähr so, als würde man sämtliche Fabriken von VW und BMW als eigenständige Autohersteller zählen. Aber noch eine dritte Barriere wird mit dem Bild des Familienbetriebs stabilisiert: Eigentum an Ackerboden als Teil der intimen Privatsphäre einer Familie erschwert eine statistische Erhebung von Eigentumsstrukturen sehr. Während ein Gesellschafter eines Unternehmens, das er selbst mit aufgebaut hat, im Handelsregister teils mit Adresse und Geburtsdatum verzeichnet und für jeden zugänglich ist, sind die Berechtigten am leistungslosen Einkommen des Bodens im Grundbuch schwer herauszufinden. Von der Idee von Land als Teil der persönlichen Privatsphäre profitieren gerade die Agrarkonzerne, auch wenn diese wohl kaum die Persönlichkeitsentfaltung nötig haben, die dieser zugrunde liegt. Die Besonderheit des Gemeinguts Boden wird mit der Annahme des Familienbetriebs als seines Wächters zur Schwachstelle.
In den letzten Jahren und aktuell werden in vielen Bundesländern Leitbildentwicklungen für die Landwirtschaft angestoßen. Wenn dabei neue Bilder trotz der verhärteten Lager entstehen können, braucht es davor wahrscheinlich erst einen Realitätsabgleich. Denn in Deutschland werden zwar jedes Jahr statistische Jahrbücher produziert, welche ausgedruckt einige Kilo wiegen würden, aber wir wissen nichts über die Verteilung von Landeigentum und nichts über die Verflechtungen von Agrarunternehmen.
Bei den anstehenden Reformen für mehr Transparenz, gerechtere Besteuerung und sozial-ökologische Regulierung der Bodennutzung sollte nicht die Frage sein, wie man bestehende Strukturen erhält, sondern wie man den Zugang zu Land ermöglicht für diejenigen, die verantwortungsvoll mit ihm umgehen wollen. Wie sollte Landeigentum aussehen, damit es den sozialen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht? Für die Antwort auf diese Frage braucht es keinen reaktionären Protektionismus gegen Land Grabbing – es braucht eine grundlegende Stärkung des Gedankens von Gemeingut am Boden.
Pheli Sommer ist RLS-Promotionsstipendiatin. Sie forscht ethnografisch zu staatlichen Dateninfrastrukturen und Statistiken in Deutschland und wie sie Landeigentumsverhältnisse herstellen und repräsentieren.
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