Wirtschaft
anders denken.

Frauen im Revier

16.04.2022
Ein Kohlebagger in der Lausitz steht in einer großen Grube, die sich bis zum Horizont erstreckt.Foto: C MWo sind all die Frauen hin?

Das Ende der Braunkohleverstromung ist politisch besiegelt. Doch was kommt danach? Wo bleiben die Frauen? Aus OXI 4/22.

Die Frauen der LEAG, der Lausitz Energie Bergbau AG, haben in einer Fotoausstellung »Gesicht gezeigt«. Sie erzählt, was die meisten außerhalb der Lausitz kaum oder gar nicht wissen: An vielen Schaltstellen, auf Maschinen, Baggern und Lokomotiven sitzen Frauen. Gut ausgebildet. Technisch versiert. Sie würden gern bleiben, auch wenn die Kohleförderung in der Lausitz demnächst auslaufen soll. Schicht im Schacht mit der Rohkohle und ihrer Verstromung, so ist es politisch beschlossen, soll spätestens im Jahr 2038 sein. Der neue Koalitionsvertrag spricht »idealerweise« von 2030. Das wäre in acht Jahren. Wenig Zeit für einen nachhaltigen Strukturwandel und für Perspektiven der jetzt noch in Lohn und Brot Stehenden. Darüber hinaus wird die absehbare Stilllegung erneut eine harte Zumutung für alle, die in dieser Bergbauregion, die zu den ältesten Deutschlands gehört, leben. Schon einmal, zu Beginn der 1990er Jahre, gingen dort 180.000 Arbeitsplätze verloren. Damals alternativlos. Ohne Aussicht auf neue Arbeit verließen viele die Region. Vor allem die jungen. Und die Frauen. Sind die erst einmal weg, fehlt es an Zukunft. An Nachwuchs.

Daher geht es mit der Fotoausstellung »Frauen im Lausitzer Revier« auch um das Da-Bleiben und um Wertschätzung ihrer Berufe, ihrer Leistung, ihres Könnens. Das ist mehr als ein Rohstoff, vielmehr ein Schatz von unschätzbarem Wert. Insgesamt fotografierte Ullrich Heinemann, selbst tief mit dem Bergbau verbunden, 46 Frauen für die Schau. Sie sind im Alter von Mitte 20 bis Anfang 60, arbeiten im Büro, aber eben auch dort, wo man in der Regel eher Männer vermutet: als Feuerwehrfrau, Brückenfahrerin, Maschinenführerin, Disponentin, Elektrotechnikerin, Metallmeisterin. Es sind keine Schönwetterbilder, sondern mitten aus der jeweiligen Alltagsarbeitssituation heraus fotografiert. Dafür war Heinemann ein Dreivierteljahr lang unterwegs. Tagsüber, aber auch nachts. Immer so, wie die Frauen gerade Schicht hatten, und die meisten von ihnen arbeiten im Drei-Schicht-System. Denn Energie wird rund um die Uhr benötigt. Privat genauso wie in Krankenhäusern, Großbetrieben, bei der Bahn. Von den großformatigen Porträts schauen uns somit Frauen im Blaumann an, in wattierten Jacken, klobigen Arbeitsschuhen, die Haare versteckt unter dem schützenden Helm, und doch sind manchmal die Lippen und Fingernägel leicht rot geschminkt oder lackiert.

Silke Butzlaff ist eine der Fotografierten. Baggerfahrerin seit nun bald 40 Jahren. Sie steuert im Tagebau Welzow-Süd den ältesten noch im Betrieb befindlichen Eimerkettenbagger. Der hat ein Gewicht von 1.200 Tonnen, ist etwa 15 Meter hoch und sie selbst, die Geräteführerin, misst gerade mal 1,65 Meter. Sie und der Bagger, das war »eine Liebe auf den ersten Blick«, erzählt die heute 55-Jährige. Ende November dieses Jahres wird er allerdings in den Ruhestand geschickt. Ausgemustert mit 66 Jahren. Er sei, so Silke Butzlaff, tatsächlich das älteste Gerät im gesamten Lausitzer Revier. Er wird verschrottet, denn eine neue Schaufelradbaggergeneration steht vor der Grube. Und sie selbst, eine Frau Mitte 50, was wird aus ihr in acht Jahren? Für die Rente wäre sie dann noch zu jung. Silke Butzlaff lacht ihr tiefes Lachen. Da will sie auch noch gar nicht hin. Zu viel Lust sei da noch auf Einmischen. »Außerdem heißt: ›Wir machen den Tagebau dicht‹ ja noch lange nicht: ›Das wars.‹ So funktioniert das nicht. Das braucht noch viele Jahre Rückbau, Rekultivierung«. Dann arbeite sie halt dabei mit.

Der Tagebau Welzow-Süd machte 2017 Schlagzeilen. Damals wurde das riesige Areal durch »Ende Gelände« besetzt. Silke Butzlaff mag noch heute nicht wirklich darüber reden. Zu tief sitzt die Fassungslosigkeit von damals. Die Gewalt der Besetzer, ihr Desinteresse am Miteinanderreden. Dabei gab und gibt es viel zu reden, sagt sie. Über die komplexen Zusammenhänge von Rohstoffabbau, Energiegewinnung und -verbrauch, Klima, Umwelt, Renaturierung, aber auch über den Lebensort Lausitz. Wir müssten »Gesicht zeigen«, dachte sie in den Tagen danach. Und der Fotograf Ullrich Heinemann dachte das schon viel länger. Ihm schwebte ein Porträtprojekt über »die besonderen Frauen im Revier« vor. Eine Fotoausstellung als Brücke, um ins Nachdenken und ins sachliche Gespräch zu kommen.

Sophie Wiegand zögerte anfänglich ein wenig, ob sie mitmachen sollte beim Ablichten und sich öffentlich zeigen. Sie sei ja nur »eine aus dem Büro«. Aber dann war sie bei einer nächtlichen Fototour im Tagebau Welzow-Süd mit von der Partie, sah ihre Kolleginnen bei der Arbeit, und war nicht nur fasziniert, sondern auch voller Respekt. Vor sechs Jahren kam sie aus Thüringen in die Lausitz. Jetzt ist sie gerade mal 25 Jahre alt, gelernte Bürokauffrau, arbeitet als Team-Assistentin in der Geschäftsleitung des Kraftwerks Schwarze Pumpe. Sie will bleiben, sich ein Leben in der Lausitz aufbauen, wohnt in der Nähe von Hoyerswerda. In der Abendschule machte sie das Abitur nach, und sie würde gern auch noch ein Studium draufsatteln. Aber nicht ins Blaue hinein, nicht irgendetwas. Sondern zielgerichtet, was Sinn macht für die Zeit nach der Kohle. Dafür allerdings gibt es noch kein Konzept, schon gar nicht eins aus einem Guss. Nur so viel: Der Bund wird Geld geben, sehr viel sogar. 17 Milliarden Euro sollen in die Lausitz fließen, verteilt über die Jahre bis zum endgültigen Ausstieg.

An den aber kann Iris Böhm nicht so richtig glauben. Sie ist Schichtleiterin im Kraftwerk Jänschwalde. Hat neun Männer und eine Frau unter sich. Sie »macht den Strom«, hat den Hut auf, ist verantwortlich für einen 1.000-MB-Kraftwerksblock. In ihrem Wohnzimmer hängt die Urkunde, die sie als »Industriemeister für Metall« ausweist. Sie war die erste und ist immer noch die einzige Frau, die zwei Kraftwerksblöcke im Blick haben muss. Die fährt sie entweder rauf oder runter, je nachdem, wie viel Solar- oder Windstrom zuvor ins Netz eingespeist wurde und wie viel verstromte Kohleenergie gebraucht wird. Auf das »-in«, die weibliche Form ihrer Berufsbezeichnung, legt die 34-Jährige keinen besonderen Wert. Sie ist taff, unglaublich selbstbewusst. Das fiel nicht vom Himmel, das musste sie lernen in dieser »Kohle-Energie-Männerwelt«. Auch Iris Böhm arbeitet in drei Schichten. Gewöhnlich sind es acht Stunden pro Schicht, am Wochenende sogar zwölf. Von sechs bis sechs. Von Vetschau bis zum Kraftwerk Jänschwalde fährt sie etwa eine Dreiviertelstunde mit dem Auto. Das heißt, an manchen Tagen ist sie mit Hin- und Rückfahrt knapp 14 Stunden auf den Beinen. Zu Hause gibt es Vincent, den neunjährigen Sohn. Das klappt, sagt Iris Böhm, weil es Hand in Hand mit ihrem Mann geht.

Und warum denkt sie, dass ein Abschalten des Kraftwerks zum genannten Termin nicht funktionieren wird? Es sei »nicht machbar«, sagt sie, »schon jetzt nicht. Wir sind bereits jetzt an einem Punkt, wo die Grundversorgung fast nicht mehr ausreicht«. Derzeit würden in Europa viele Kraftwerke abgeschaltet, entweder weil sie müssten oder weil sie pleitegingen oder tatsächlich keine Mitarbeiter mehr hätten. Dann gingen sie automatisch außer Betrieb, weil sie vom TÜV keine Genehmigung mehr bekämen. Für Jänschwalde bedeute das, fast dauerhaft auf Volllast zu fahren. Schon im letzten Jahr. Kein Stillstand, zu keiner Zeit. Und da gab es noch keinen Krieg, keinen Importstopp von russischer Energie. Auch keine explodierenden Strompreise. Man müsse also mehr sehen, wenn es ums »Dichtmachen« geht, sagt die Energieexpertin.

Aber sie sagt auch, sollte es kommen wie beschlossen, würde sie auch woanders hingehen. Allerdings ungern. Die Lausitz ist ihr Zuhause, da wohnen die Eltern, ihre Freunde. Da ist auch ihr Judoverein. Den sie leitet und in dem sie die Kinder des Ortes trainiert. Und sie ist Jägerin, auch dort wieder allein unter Männern. Außerdem könne sie Dachdecken, auch Mauern, dann mache sie eben etwas anderes nach dem Arbeitsleben in der Kohle- und Energieversorgung. Hauptsache, etwas mit den Händen.

Ende November 2018 wurde die Ausstellung »Frauen im Lausitzer Revier« das erste Mal öffentlich gezeigt. Von Schwarze Pumpe im Land Brandenburg ging sie 2019 weiter nach Boxberg in Sachsen. Und dann kam Corona. Seither schlummern die Fotogeschichten der Frauen aus den Tagebauen und den dazugehörigen Kraftwerken der Kohleregion im Keller von Ullrich Heinemann. Die Bürgermeisterin von Spremberg wollte sie eigentlich zum Internationalen Frauentag in ihr Rathaus holen. Doch die Inzidenzen und die Coronaauflagen sprachen immer noch dagegen. Aber die Eröffnung dort ist nur verschoben, nicht aufgehoben. Denn geht die Kohle, geht auch für Spremberg, die Stadt mitten in der Lausitz, vieles wieder den Bach runter. Darum braucht es eine öffentliche und offene Diskussion über die Zukunft. Das ginge gut mit den Frauenporträts, meint Christine Herntier, parteilos und seit 2014 das Oberhaupt der Stadt. Den Fotografen und seine Alltagsmodelle würde es freuen. Und der Mann mit der Kamera hat noch einen Wunsch. Diese Wanderausstellung wäre auch dort wichtig, wo Männer und ihre Familien ebenfalls Althergebrachtes ihrer angestammten Heimat aufgeben mussten: im Bochumer Revier. Denn dort, im Bergbaumuseum Bochum, würden die Porträts nicht nur vom Kohlerevier Lausitz erzählen, sondern auch vom Stolz ostdeutscher Frauen in Berufen, wie es sie in der alten Bundesrepublik für Frauen niemals gab.

Geschrieben von:

Gisela Zimmer

Journalistin

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