Wirtschaft
anders denken.

Lautstarke Ratgeber, auffällige Lücken

02.09.2017
Sprechtrompete von Johann Christoph Sturm & Henri More, 1685

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat eine Liste mit den aus ihrer Sicht einflussreichsten Ökonomen erstellt. Es ist eine Liste, die vor allem die Beschränkungen des eigenen Denkens offenbart.

Clemens Fuest ist Deutschlands einflussreichster Ökonom. Schreibt jedenfalls die Frankfurter Allgemeine und verweist dazu auf ihre jährliche Rangliste der angeblich wichtigsten Wirtschaftsforscher – die eigentlich eher eine Liste darüber ist, in welch einem engen Korridor des Denkens Medien und Politik sich in Fragen der Ökonomie bewegen. Vor allem, wenn man sich die entscheidenden oberen 30 Plätze ansieht.

Nun ist das wahrlich keine Neuigkeit, die Dominanz bestimmter Denkschulen, die Herausgehobenheit einzelner Lautsprecher in Wirtschaftsfragen, die Trägheit, mit der ökonomisch ahnungslose Medien wieder und wieder dieselben Leute zu denselben Fragen dieselben Antworten geben lassen – all das ist seit Jahren so. Und so sehen die Politik und die öffentliche Debatte dann auch aus.

Wenn im wahrsten Sinne des Wortes neoklassische Marktschreier die mediale Öffentlichkeit in ökonomischen Angelegenheiten dominieren, ab und an ein keynesianischer Anhänger in Minderheitenvoten zu mehr staatlicher Intervention aufrufen kann und darüber hinaus kaum einmal eine andere theoretische Schule überhaupt zur Kenntnis genommen wird, erscheint es so, als ob sich die komplette Ökonomie um die Alternative Steuern anheben und damit öffentlich investieren oder Steuern senken und auf privat getriebenen Aufschwung hoffen drehen würde.

Einfluss durch Zitate?

Die Rangliste bildet das ab, und wahrscheinlich ist es umgekehrt so, dass PolitikerInnen und Redaktionen aufgrund von solchen Wissenschaftler-Hitparaden entscheiden, wer angerufen wird. Die Methode ist denn auch auf das medien-politische Setting ausgerichtet: Ein Teil der Wertung wird aufgrund von Zitaten und von Aussagen von PolitikerInnen und ministeriellen »Führungskräften« gebildet, die man danach gefragt hat, von welchen ÖkonomInnen sie »Rat oder Publikationen« am meisten »für Ihre Arbeit schätzen« – was eine steile These beinhaltet: dass nämlich ökonomische Forschungsarbeiten im Politbetrieb gelesen und antizipiert werden. Ist das so? Der zweite große Teil der Wertung für die Rangliste orientiert sich am Zitatewesen in der Wissenschaft: Welcher Ökonom ist da eine häufige Referenz?

Unter dem Strich steht also Fuest an der Spitze – der Präsident des Ifo-Instituts, und damit ein Wissenschaftler, der in den großen Talkshow-Schuhen von Hans-Werner Sinn steht, weshalb selbst die Frankfurter Allgemeine die Frage in den Raum stellt, ob der backenbärtige Reformforderer das »Institut so ins Gerede gebracht« habe, »dass jetzt jeder Journalist einfach immer den aktuellen Präsidenten anruft«. Sinn selbst bleibt, vielleicht weil viele Medienleute noch gar nicht mitbekommen haben, dass der Mann in Rente ist, auf Rang drei.

Mit Marcel Fratzscher (Rang vier) und Peter Bofinger (Rang sechs) stehen auch zwei keynesianisch denkende Forscher auf den vorderen Plätzen – und man merkt der Frankfurter Allgemeinen die Lust an der höflichen Abqualifizierung an, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, na klar, »kommt in der Politik nicht gut an«, weil er gern über Ungleichheit redet und SPD-nah ist. Und gegen Bofinger hat man ja schon die anderen Mitglieder des Sachverständigenrates eine ziemlich unterirdische Volte fahren lassen.

Immerhin: Mit Gustav Horn hat es erstmals ein Ökonom des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in die Liste geschafft. Was an dieser allerdings am meisten auffällt ist – wer nicht darin steht und einen Eintrag auch niemals bekommen wird, weil die Methode dieser Liste dem entgegensteht. Und der politisch-ökonomische Mainstream auch. Als ob es überhaupt keine von Marx her kommenden Wirtschaftswissenschaftler gibt, als ob diese nicht auch etwas zu sagen hätten zu Fragen wie der nach der »richtigen« Erklärung auf das Lohnparadoxon, Probleme der Ungleichheit oder die längst nicht ausgebadete große Krise.

Wo stehen eigentlich kritische Ökonomen?

Ja, Karl Marx taucht auch unter ferner liefen auf. Aber wo stünde eigentlich Elmar Altvater in so einer Liste? Oder sind politikwissenschaftliche Kapitalismuskritiker keine Ökonomen? Muss man Frigga Haug links liegen lassen? Ah. Sie ist Philosophin, aber kann man deshalb nicht auch eine ökonomische Ratgeberin sein?  Warum ist Karl Georg Zinn nicht medial bekannter und politisch einflussreicher? Stattdessen darf ein Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute sich in so einer Rangliste hocharbeiten, ein Ultraliberaler, der allwöchentlich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung so tun darf, als sei die Erde eine neoliberale Scheibe.

Richtig ist freilich auch: Auf einem gesellschaftlichen Boden, der Teile der Wirtschaftswissenschaft an den Rand drängte und in der Medien nicht einmal auf die Idee kommen, es könnte noch eine »dritte Meinung« zu einem Problem geben, verkümmern auch die Biotope kritischer Ökonomie. Dass es inzwischen Initiativen für mehr Pluralismus gegen eine aus Ideologie und Beschränkung auf den ökonomischen Mainstream zur Einseitigkeit (vielleicht besser: Zweiseitigkeit) neigenden Volkswirtschaftslehre gibt, ist gut. Es dürfte eine Weile dauern, bis sich so etwas auch wieder in den Ranglisten der angeblichen Top-Ökonomen niederschlägt.

Geschrieben von:

Vincent Körner

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